Nur einen Tag nach dem Sturz des syrischen Gewaltherrschers Baschar al-Assad verschärfen deutsche Behörden ihren Asylkurs. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge kündigte am Montag an, Asylanträge syrischer Staatsbürger vorerst nicht mehr zu bearbeiten. Auch Großbritannien und Italien setzen vorläufig ihre Asylverfahren für Menschen aus dem Bürgerkriegsland aus.
In Deutschland sind etwa 47 000 Anträge aus diesem Jahr betroffen, die bisher nicht bearbeitet sind. Sie werden vorerst zurückgestellt. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) begrüßte den Schritt, betonte aber auch, er sei vorläufig. „Viele Flüchtlinge, die in Deutschland Schutz gefunden haben, haben jetzt endlich wieder eine Hoffnung auf eine Rückkehr in ihre syrische Heimat und auf den Wiederaufbau ihres Landes“, erklärte sie. Die Lage in Syrien sei aber sehr unübersichtlich. Konkrete Rückkehrmöglichkeiten seien deshalb „im Moment noch nicht vorhersehbar“.
Syrerinnen und Syrern stellen mit einer knappen Million Menschen die größte Gruppe von Geflüchteten in Deutschland, neben Ukrainerinnen und Ukrainern. Asyl gewährt wurde allerdings nur gut 5000 Menschen aus Syrien. Weiteren 650 000 wurde Flüchtlingsschutz nach der Genfer Konvention zugesprochen oder der eingeschränkte, subsidiäre Schutz. Er steht Menschen zu, denen im Herkunftsland die Todesstrafe, Folter oder willkürliche Gewalt droht. Dieser Schutz kann allerdings widerrufen werden, wenn sich die Lage im Herkunftsland ändert.
Ein Gericht befand schon vor Monaten, dass es sichere Regionen in Syrien gebe
Die Entscheidung, Asylanträge aus Syrien in Deutschland bis auf Weiteres auf Eis zu legen, stieß auf Zustimmung in der Union. Aus dem Ende des Assad-Regimes müssten auch in Deutschland Konsequenzen gezogen werden, hieß es hier. Man hoffe auch auf beschleunigte Ausreisen. „Sollte sich die Lage dauerhaft stabilisieren, erwarten wir, dass die Menschen, die in Deutschland vorübergehend Schutz gefunden haben, in ihre Heimat zurückkehren“, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei (CDU), der Süddeutschen Zeitung. Es bestehe nun zum ersten Mal die realistische Chance, dass Syrien sich zu einem Ort entwickle, „in dem weder politische Verfolgung noch eine individuelle Gefahr für Leib und Leben drohen“.
Das Oberverwaltungsgericht Münster, so wird in der Union argumentiert, habe schon vor einem halben Jahr festgestellt, dass die Lage in Syrien nicht mehr durchgängig die Zuerkennung eines Schutztitels rechtfertige. Es gebe sichere Regionen im Land. Mit dem Ende der Ära Assad verbinde sich nun die große Hoffnung, dass sich die Lage im gesamten Land stabilisiere – und die Bundesrepublik entlastet werde.
„Deutschland hat seine Verpflichtungen übererfüllt. Wir brauchen jetzt ein internationales Signal, dass wir die Aufnahme von Syrern stoppen, bis die Lage übersichtlicher wird“, sagte die stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Andrea Lindholz (CSU). „Den pauschalen Schutzanspruch für Syrer kann es bei veränderter Tatsachengrundlage nicht mehr geben.“ Bis wann Asylanträge von Syrern zurückgestellt bleiben sollen, blieb offen. Jetzt schon eine Frist zu nennen, sei „unseriös“, sagte Lindholz.
Brüssel dämpft Hoffnung auf zügige Heimreisen nach Syrien
Aus der SPD kam scharfe Kritik. „In dieser unübersichtlichen Situation über beschleunigte Rückführungen und Aufnahmestopps zu fabulieren, zeigt die zynische Haltung der Union“, sagte SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese. Die Haltung von CDU und CSU sei „reiner Populismus“. Deutschlands Unterstützung müsse nun Syrerinnen und Syrern gelten, die jahrelang unter dem furchtbaren Regime leben mussten, „hin zu einem freien und sicheren Syrien“.
Im Bundestag warnten am Montag auch die Grünen vor einem überstürzten Kurswechsel in der Migrationspolitik. Die Entwicklung in Syrien sei historisch für das Land, vergleichbar mit dem Fall der Berliner Mauer für Deutschland, sagte die Grünen-Abgeordnete Lamya Kaddor. Die innenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion ist selbst Tochter syrischer Einwanderer. Fast jede Familie in Syrien habe politische Gefangene durch das Assad-Regime zu beklagen, sagte sie. Es stünden also auch Racheakte zu befürchten. Es gebe zwar positive Signale durch die Islamistengruppe HTS, etwa den Schutz von Minderheiten. Aber es müssten Taten folgen. „Die Lage in Syrien ist nicht stabil“, warnte Kaddor. Rückkehrforderungen an Syrer in Deutschland gingen auch am Arbeitskräftebedarf hierzulande vorbei.
Auch aus Brüssel kamen Warnungen vor übersteigerten Hoffnungen auf zügige Heimreisen nach Syrien. Die Bedingungen für eine sichere und würdevolle Rückkehr seien momentan nicht gegeben, sagte ein Sprecher der EU-Kommission. Darin sei man sich einig mit dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR). Die aktuelle Lage sei von großer Hoffnung, aber auch von großer Unsicherheit geprägt. Es werde an jedem Einzelnen und an jeder Familie sein zu entscheiden, was sie tun möchte. Der Sprecher machte damit auch deutlich, dass es aus Sicht der Kommission bis auf Weiteres keine Abschiebungen geben sollte.