Deutsches Ergebnis der Europawahl:Eine Wahl zum Durchatmen

Die Europawahl kennt in Deutschland fast nur Gewinner: Die Wahlbeteiligung ist höher, die etablierten Kräfte stabilisieren sich. Der große Rechtsruck bleibt aus, trotz AfD. Wer mag sich da beschweren? Allenfalls eine Partei, die sich jetzt erst recht Sorgen machen muss.

Eine Analyse von Thorsten Denkler, Berlin

Die CDU wird sich langsam fragen müssen, was sie eigentlich macht, wenn Angela Merkel mal nicht mehr ist. Der Name der Kanzlerin war ihr einziger Programmpunkt. Und augenscheinlich das einzige personelle Angebot der Christdemokraten. Dass es noch einen deutschen Spitzenkandidaten (David McAllister) und einen europaweiten Spitzenkandidaten (Jean-Claude Juncker) gab, konnte nur erkennen, wer das Kleingedruckte in diesem Unions-Wahlkampf studierte.

Plakatiert wurde fast ausschließlich die Kanzlerin. Never change a winning campaign, mag die Parole im Konrad-Adenauer-Haus gewesen sein. Im Vergleich zur Europawahl 2009 hat sich die CDU kaum verändert, gegenüber der Bundestagswahl 2013 aber bereits absehbar Prozentpunkte verloren. Anders die bayerische Schwesterpartei CSU, die bei der Europawahl ersten Prognosen zufolge um acht Prozentpunkte schlechter abschneidet.

Die AfD war 2013 wohl noch nicht so weit, die Wählerinnen und Wähler der FDP vollends zu absorbieren. Viele von ihnen wechselten zur Union, was der mehr als 41,5 Prozent bescherte. Die AfD scheiterte mit 4,7 Prozent am Einzug ins Parlament. Das ist diesmal anders. Das neue Europawahlrecht ohne jede Prozent-Hürde war geradezu eine Einladung an alle euroskeptischen Denkzettelwähler, es mit der AfD zu versuchen. Die hat ihre Wahlziele mit mehr als sechs Prozent jedenfalls sehr klar erreicht. Und spielt jetzt in einer Liga mit den Linken.

Die konnte sich stabilisieren. Was angesichts des müden Wahlkampfes mit einer nahezu unsichtbaren Spitzenkandidatin Gabi Zimmer ein geradezu sensationeller Erfolg ist. Die letzte Wahl, an der Gabi Zimmer als Spitzenkandidatin beteiligt war, ging "in die Hose", wie sie im Wahlkampf einmal freimütig einräumte. Das war die Bundestagswahl 2002, als die Linke die Fünf-Prozent-Hürde riss.

Sattes Plus - aber Sorgen für die SPD

Die SPD kann sich über ihr Ergebnis auch nicht beschweren: Ein sattes Plus von sechs Prozentpunkten gegenüber der Europawahl 2009. Ein kleines Plus von knapp zwei Prozentpunkten gegenüber der Bundestagswahl 2013. Der Weg scheint mühsam zu sein, aber zumindest führt er aufwärts. Die dritte Auflage der großen Koalition im Bund hat der SPD bisher nicht geschadet. Wenn auch noch nicht viel genutzt.

Das allerdings ist schon erstaunlich: Mindestlohn, Rente mit 63, Staatsangehörigkeitsrecht - die SPD hat ihre wichtigsten Wahlversprechen bereits umgesetzt oder arbeitet erkennbar daran. Trotzdem nur etwas mehr als 27 Prozent? Das muss der SPD Sorgen machen. In der Partei fragen sich einige, was eigentlich noch passieren muss, damit es mal wieder für Ergebnisse jenseits der 30-Prozent-Marke reicht.

Auch die Grünen können mit ihrem Ergebnis gut leben. Zweistellig sollte das Ergebnis sein. Darin waren leichte Verluste gegenüber den 12,1 Prozent von 2009 schon eingepreist. Dass das jetzt mit etwa 10,5 Prozent wohl geklappt hat, war nach dem als üble Niederlage empfundenen Bundestagswahlergebnis kaum zu erwarten. 8,4 Prozent gab es da. Für eine Partei, die mal mit um die 15 Prozent gerechnet hat, ein niederschmetterndes Ergebnis.

Großer Rechtsruck ist ausgeblieben

Gut ist: Die Wahlbeteiligung war etwas höher als 2009 - was mit den Kommunalwahlen in zehn Bundesländern zusammenhängt, die gleichzeitig stattfanden. Und der ganz große Rechtsruck ist - zumindest in Deutschland - ausgeblieben. Das Ergebnis der AfD - etwa 6,5 Prozent - ist zunächst nicht mehr als ein Warnschuss. Ähnlich den zeitweilig guten Ergebnissen der Piraten. So schnell wie die Piraten kann auch die AfD wieder in der Versenkung verschwinden. Bis auf Linke und Grüne hat es noch keine Protestpartei geschafft, sich dauerhaft bundesweit zu etablieren.

Und die FDP? Die ist da, wo sie gehofft hatte nie zu landen. Sie ist - mit etwa drei Prozent - geschrumpft auf den härtesten Kern ihrer Stammwähler. Die hätten auch dann noch FDP gewählt, wenn die FDP gar nicht zur Europawahl angetreten wäre. Parteichef Christian Lindner hat Glück, dass es zu ihm im Moment keine Alternative gibt. Sonst wäre den Liberalen die nächste Personaldebatte jetzt sicher. Vom Fernziel Wiedereinzug in den Bundestag aber ist die FDP an diesem Europawahlabend weiter entfernt als am Tag nach der Bundestagswahl 2013.

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