"Deutscher Verbrauchertag" in Berlin:Kunden sind Wähler

Deutscher Verbrauchertag der Verbraucherzentrale

Stimme der Verbraucher? Kanzlerin Angela Merkel in Berlin

(Foto: dpa)

Der Titel klingt schnarchig, aber die Gästeliste ist wow: Beim Deutschen Verbrauchertag in Berlin buhlen Kanzlerin Merkel, Herausforderer Steinbrück und die Spitzenkräfte aller Parteien um die Gunst der Kunden. Die sind offenbar schwer verunsichert - und Rot-Grün zugeneigt. Obwohl Steinbrück blass bleibt.

Von Michael König, Berlin

Die Menschen mit den Namensschildern können ihr Glück kaum fassen. Die vielen Kameras, die Journalisten, und selbst der extra geschaffene, nicht gerade eingängige Hashtag #dvt13 hat es bei Twitter in die trending topics geschafft. "Toll", flüstert eine aus dem Veranstalter-Team ihrem Kollegen zu.

Der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) hat zum "Deutschen Verbrauchertag" nach Berlin eingeladen. Das macht er alle zwei Jahre, aber 2011 interessierte es kaum jemanden. Ministerin Ilse Aigner war da, die Nachrichtenagenturen schickten ein paar Zeilen, das war's. Diesmal ist die Kanzlerin gekommen, ihr Herausforderer auch, und darüber hinaus haben alle im Bundestag vertretenen Parteien ihre führenden Köpfe geschickt.

Was ist passiert? Nun ja: Pferdefleisch in der Lasagne. Die neue Xbox One von Microsoft, die ihre Kunden beobachten kann. Telekom-Flatrates mit eingebauter Drosselklappe. Um nur drei Punkte zu nennen.

Verbraucherschutz hat Konjunktur, so sehen das naturgemäß auch die Verbraucherschützer. Die Kunden seien zutiefst verunsichert, ihre Rechte in Gefahr. "Das Kleingedruckte von Verträgen hebelt regelmäßig unsere Grundrechte aus", sagt Gerd Billen, Vorstand des VZBV, und fragt: "Wer von uns ist in der Lage, seitenlange AGB zu lesen? Selbst ich nicht." Erst neulich habe er, der Experte, die Frist verpasst, als er seinem Telefonanbieter kündigen wollte.

Verbraucher sehen Grüne vorne

Der VZBV hat eine Umfrage in Auftrag gegeben, wonach fast zwei Drittel der Menschen fürchten, bei Geldangelegenheiten und beim Einkauf von Lebensmitteln getäuscht zu werden. Nur 43 Prozent vertrauen darauf, dass die Wirtschaft mangelhafte Produkte aussortiert. Dem Staat trauen das nur 34 Prozent zu. Bei den Parteien schneiden FDP (ein Prozent), SPD (acht Prozent), CDU/CSU (neun Prozent) gleichermaßen mies ab, wenn es um Engagement für Verbraucher geht. Die Grünen kommen dagegen auf 25 Prozent. 24 Prozent antworteten, "gar keine Partei" setze sich für Verbraucher ein.

Hier kommt ein zweiter Punkt ins Spiel, der die Aufmerksamkeit der Politik auf diese eher biedere Veranstaltung am Alexanderplatz lenkt: "Wir Verbraucher sind eine Macht", sagt der Moderator und Journalist Hajo Schumacher zur Begrüßung. Jeder Verbraucher sei potentiell ein Wähler.

VZBV-Vorstand Billen rechnet vor, es seien noch 111 Tage zur Bundestagswahl. Da will es offenbar kein Spitzenpolitiker riskieren, durch Abwesenheit zu glänzen. Selbst wenn der Besuch im Falle der Bundeskanzlerin ein bisschen unangenehm ist.

"Das effizienteste Fahrzeug ist demnach ein Panzer"

Die Kanzlerin kommt zu spät, aber noch früh genug, um eine Art Abrechnung der Verbraucherschützer mit ihrer Politik zu hören. Zwar habe Merkel erreicht, "dass uns die Krise nicht in den Ruin treibt", sagt VZBV-Vorstand Billen. Jetzt müsse sie erreichen, dass Banken und Versicherungen dies nicht mit ihren Kunden tun.

Die zahlreichen SPD-Mitglieder im Saal applaudieren. Billen fordert die Einsetzung eines Finanzmarktwächters, um etwa unseriöse Anbieter von Finanzprodukten frühzeitig zu erkennen. Die Sozialdemokraten wollen Entsprechendes am Donnerstag im Bundestag fordern. "Da ich weiß, dass sie die CDU noch an ihrem Programm feilt, bitte ich Sie, unsere Idee zu unterstützen", sagt Billen zu Merkel. Die Kanzlerin wird ihm später widersprechen und auf den Verbraucherbeirat der Bafin verweisen, der dieselbe Funktion habe.

Billen geißelt die Regierung auch für ihre Idee, das Fahrzeuggewicht bei der Einstufung von Autos in Energie-Effizienzklassen zu berücksichtigen: "Nach dieser Logik ist das energieeffizienteste Fahrzeug der Leopard-Panzer", ruft Billen. Und geht dann zum Abmahn-Wahn über, der 4,3 Millionen Bürger betreffe und der "gewaltige Kosten" verursache. Das habe ihm neulich "ein betroffener Vater im Kanzleramt" geschildert, der aber anonym bleiben wolle.

Ein Vater im Kanzleramt? Während das Publikum noch grübelt, betritt die Kanzlerin die Bühne. Sie hat einiges gerade zu rücken, 111 Tage vor der Wahl.

78 Prozent für Rot-Grün

Zum Beispiel die Sache mit der Energieeffizienz. Der Vergleich mit dem Panzer "mag ja ganz nett sein", sagt Merkel, aber große Autos seien eben Technologieträger und würden deshalb gebraucht. "Viele Innovationen in kleinen Autos gibt es nur deshalb, weil die Entwicklung großer Autos vorangetrieben wurde." Vereinzelter Applaus im Plenum. "Nun ja, das ist noch steigerungsfähig", sagt Merkel. Sie gibt sich selbstkritisch bis -ironisch.

Beim Verbraucherschutz habe die Regierung "schon viel auf den Weg gebracht", sagt Merkel, was nach vier Jahren Schwarz-Gelb ein bisschen merkwürdig klingt. Als Beispiele nennt sie die "Telefon-Hotline des Verbraucherministeriums" und "Verbraucher-Apps".

"Empörungswelle" überstanden

Deutscher Verbrauchertag der Verbraucherzentrale

Kanzlerkandidat Peer Steinbrück (rechts) neben VZBV-Vorstand Gerd Billen

(Foto: dpa)

Sogar das umstrittene Leistungsschutzrecht, mit dem Verlage vom Geschäft der Suchmaschinenbetreiber profitieren sollen, verkauft Merkel als Verbraucherschutzmaßnahme. Sie sei "ganz froh, dass wir es da geschafft haben, eine Empörungswelle von Google zu überstehen".

Merkel wiederholt ihre Forderung nach einer Mietpreisbremse und gibt zu, dass diese Idee ursprünglich von der SPD stamme. Aber "ich bin ja die letzte, die das nicht übernimmt. Jetzt muss nur noch die FDP überzeugt werden, aber ich arbeite daran."

Nicht im Punktemodus

Für Peer Steinbrück ist Merkels Performance eine Chance. Der Spiegel hat gerade beschrieben, dass die Wirtschaft mit ihm fremdelt. Nun kann er zumindest bei deren Kunden punkten. Aber Steinbrück ist nicht im Punktemodus, nicht hier und heute. Er nimmt sich Zeit für die Leute, spricht im Foyer mit Betroffenen, die von kriminellen Anlageberatern getäuscht wurden. Aber seine Rede gerät dann arg geschäftsmäßig.

"Wir müssen uns von der Vorstellung eines solchen mündigen Verbrauchers trennen, weil sie eine Fiktion ist", sagt Steinbrück und meint: Niemand hat Zeit, Gebrauchshinweise und Zutatenlisten auf ihre Fallstricke hin zu überprüfen. Verbraucherschutz gehöre zur "moralischen DNA" seiner Partei. Beim Thema Finanzmarkt verweist Steinbrück seine Zuhörer auf "ein Papier von mir aus dem Herbst des vergangenen Jahres", als würde das irgendjemand schnell nachschlagen wollen. Als konkrete Forderung bleibt hängen, dass Steinbrück den Verbraucherschutz aus dem Landwirtschaftsministerium auslagern möchte, weil "die Konzentration auf Lebensmittel ist eine Verkürzung".

Nahles macht es besser

Steinbrück, so scheint es, ist an diesem Tag selbst ein Fall für die Verbraucherschützer: kompliziert, rätselhaft, schwer zu händeln. Seine Generalsekretärin Andrea Nahles macht das in der anschließenden Elefantenrunde nebst Probe-Abstimmung besser. Sie gibt sich schlagfertig, unterstellt CDU-General Hermann Gröhe "Ausreden" in der Energiepolitik und erreicht ein Traumergebnis: 39 Prozent der Zuhörer im Saal stimmen für die SPD als Verbraucherschutzpartei.

Die Grünen kommen mit ihrer Politischen Geschäftsführerin Steffi Lemke auf denselben Wert, sodass Rot-Grün den Verbrauchertag mit einer satten Mehrheit von 78 Prozent beschließt. Schwarz-Gelb kommt auf 16 Prozent.

Angela Merkel ist da schon lange weg. Sie wird am Dienstag die Hochwassergebiete bereisen, vermutlich in Gummistiefeln. Auch Flutopfer sind potentielle Wähler. Der Wahlkampf hat begonnen.

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