In den ersten Apriltagen des Jahres 1977 saß Generalbundesanwalt Siegfried Buback auf Arbeitsbesuch im Büro von Horst Herold, dem Chef des Bundeskriminalamts. Bei Kaffee und Kuchen begann das letzte Gespräch der beiden Fahnder. Herold legte seinem Gast Fotos vor und sagte: "Das sind unsere künftigen Mörder, Buback." Die Fotos zeigten Christian Klar, Knut Folkerts und andere. Sie waren von Herolds Computer-Fahndung als Reisebegleiter von gesuchten Tatverdächtigen der Rote-Armee-Fraktion (RAF) ermittelt worden und es hatte sich herausgestellt, dass sie abgetaucht waren.
Ein paar Tage später, am Gründonnerstag, 7. April 1977, wurde Buback auf der Fahrt ins Büro in Karlsruhe erschossen. Der Dienstwagen hatte um 9.10 Uhr an einer Ampel gehalten. In diesem Moment war ein Motorrad auf gleiche Höhe gefahren, zwei Täter mit Schutzhelmen, der hintere schoss 15 Mal. Buback und sein Fahrer Wolfgang Göbel starben am Tatort, der Beamte Georg Wurster, Chef der Fahrbereitschaft, der auf dem Rücksitz gesessen hatte, starb Tage darauf. "Erstmals", so sinnierte Herold Jahrzehnte später, "kannten die Sicherheitsbehörden die mutmaßlichen Täter vor der Tat; aber die Chance, die Täter vorher zu ergreifen, ließ sich nicht realisieren." Die von Herold betriebene Öffentlichkeitsfahndung war auf ein empörtes Echo gestoßen, sie hatte eingestellt werden müssen.
Knut Folkerts, einer der Leute auf den Fotos, wurde im Juli 1980 als Mittäter an der Ermordung Bubacks verurteilt. Christian Klar zusammen mit Brigitte Mohnhaupt im April 1985. Nach Einschätzung von Kriminalisten waren an der Planung und Durchführung des Mordes bis zu zwei Dutzend Personen beteiligt; aber nur die genannten drei sind wegen Mittäterschaft verurteilt worden. Sehr viel später, im Jahr 2012, 35 Jahre nach dem Mord und nach 97 Verhandlungstagen, wurde Verena Becker, auf Betreiben des Buback-Sohnes und Nebenklägers Michael Buback, wegen psychischer Beihilfe am Mord zu vier Jahren Haft verurteilt. Das Urteil hatte nur notdürftig kaschiert, dass der Prozess nichts an neuen Erkenntnissen gebracht hatte.
Die 45 schrecklichen Tage tragen den Namen "Deutscher Herbst"
Heute, nach vierzig Jahren, sind die Fragezeichen hinter dem Jahr 1977 nicht weniger geworden. Selbst die Morde, die als geklärt gelten, sind es nicht. Das Verbrechen vom Gründonnerstag 1977 war der Auftakt eines brutalen Terrorjahres: Jürgen Ponto, Chef der Dresdner Bank, wurde am 30. Juli erschossen - und die 45 schrecklichen Tage vom 5. September bis zum 19. Oktober tragen den Namen "Deutscher Herbst": Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer, Entführung der Lufthansa-Maschine Landshut, Mord an Flugkapitän Jürgen Schumann, Befreiung der Geiseln in Mogadischu, Selbstmord der RAF-Mitglieder Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe im Gefängnis.
Die RAF bleibt ein dunkles Kapitel in der Geschichte der Bundesrepublik. Sie hat 34 Menschen ermordet und mit ihrem Terror das deutsche Strafrecht grundlegend verändert. Man kennt viele RAF-Täter, aber nicht alle. Und auch bei denjenigen, die zu lebenslanger Haft verurteilt wurden, weiß man nicht genau, wer was getan hat. Besonders drastisch ist das beim Mord an Buback. Die Gerichte seinerzeit ließen die Details offen. Die Richter arbeiteten stattdessen die "arbeitsteilige Kollektivität" der RAF heraus, die alle Mitglieder zu Mittätern machte. Die Mitwisserschaft reichte so für ein ,lebenslang'. Das war prozessökonomisch, aber unbefriedigend.
Es ist schwer zu akzeptieren, dass mit den Mitteln der Justiz ein Mehr an Aufklärung nicht möglich war. Die Wahrheit? Sie wird nur noch herauskommen, wenn die Täter sie nicht mit ins Grab nehmen.