Deutscher Ethikrat:Begleitschäden sind zumutbar

Trotzdem fordern die Sachverständigen eine offene Debatte über Solidaritätskonflikte.

Von Matthias Drobinski, Frankfurt

Der Deutsche Ethikrat plädiert für eine offene Debatte darüber, wie lange und zu welchen Kosten die gegenwärtigen Beschränkungen des öffentlichen Lebens weitergehen sollen. Angesichts der Corona-Pandemie seien "Freiheitsbeschränkungen vertretbar" und auch "erheblich belastende Begleitschäden zumutbar", heißt es in den Ad-hoc-Empfehlungen, die das Sachverständigen-Gremium aus 26 Medizinern, Juristen, Philosophen, Theologen und weiteren Vertretern des öffentlichen Lebens einstimmig beschlossen hat. Die Politik müsse aber ständig die Folgen dieser Freiheitsbeschränkungen bedenken - für die Sozialpsychologie, die Ökonomie und die demokratische Kultur.

"Gerade weil wir - je länger desto mehr - Solidaritätskonflikte wahrnehmen, müssen wir über Öffnungsperspektiven nachdenken," sagte der Vorsitzende des Ethikrats und evangelische Theologe Peter Dabrock der Süddeutschen Zeitung, "sonst geht die Zustimmung der Bevölkerung zum Lockdown verloren." Der Solidarität bedürfen dem Ethikrat zufolge nicht nur die an Covid-19 Erkrankten, sondern auch Patienten, die auf ihre Operation warten müssten, Menschen in Pflege- und Hilfeeinrichtungen, die keinen Besuch mehr bekämen, Personen, denen Vereinsamung drohe sowie "Frauen und Kinder, die von häuslicher Gewalt bedroht sind". Zudem sei die wirtschaftliche Existenz gerade von Kleinunternehmen und Selbständigen sowie von prekär Beschäftigten gefährdet. Der Rechtsstaat dürfe "nicht in ein Denken in Kategorien des Ausnahmezustands verfallen".

"Wesentlicher Orientierungspunkt" müsse "die weitgehende Vermeidung" von Triage-Situationen seien, bei der Ärzte entscheiden müssen, wem sie helfen und wem nicht. Wenn aber die begründete Hoffnung bestehe, dass die Überlastung des Gesundheitssystems vermieden oder revidiert werden könne, gewännen "kollidierende Interessen zunehmend an Gewicht".

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