Süddeutsche Zeitung

Berlin:"Die haben auf dem Wohnungsmarkt nichts zu suchen"

Mit einem Volksbegehren will Rouzbeh Taheri durchsetzen, dass Unternehmen wie die Deutsche Wohnen enteignet werden. Es wäre nach dem Mietendeckel die nächste Revolution.

Von Jan Heidtmann, Berlin

Ein gutes Jahr lang war es ruhig um die eigentlich sehr lautstarke Initiative "Deutsche Wohnen und Co. enteignen!". Fast konnte man meinen, die Berliner Bürokratie hätte die Revolution am Wohnungsmarkt erfolgreich zermahlen. Doch jetzt ging es Schlag auf Schlag. Vergangene Woche erklärte die Berliner Innenverwaltung das Volksbegehren für zulässig, an diesem Dienstag gab auch der Senat sein Votum dazu ab. Was Anfang 2019 bereits mit 77 000 statt der nötigen 20 000 Unterschriften begann, kann wirklich anlaufen. Sollen Unternehmen, die in der Stadt mehr als 3000 Wohnungen besitzen, vergesellschaftet werden? Diese Frage können die Berliner nun beantworten.

Der Kopf hinter dieser Initiative ist Rouzbeh Taheri, er ist 46 und sagt von sich, er sei ein zurückhaltender Mensch. In einer Podiumsdiskussion mit dem Chef der Deutsche Wohnen, einem der größten Wohnungsunternehmen in Deutschland, hörte sich das dann so an: "Wir Mieterinitiativen sind zäh, lassen nicht los. Eine Bulldogge ist nichts gegen uns", sagte Taheri. "Machen Sie noch fünf Jahre weiter so, dann ist die Enteignung Ihre kleinste Sorge." Es war einer der seltenen Momente, in denen Taheri wie der Investorenschreck wirkte, als der er manchmal dargestellt wird. Doch tatsächlich liest der Volkswirt Taheri eher Bilanzen, als dass er Fahnen schwenkt. Er organisiert den Widerstand im Hintergrund.

Taheri stammt aus Iran, im Alter von 14 Jahren kam er zu Verwandten nach Berlin. In seiner Heimat drohte ihm der Militärdienst, sein Vater, ein widerständiger Unternehmer, saß mehrere Jahre in Haft. In Berlin engagierte sich Taheri als Schulsprecher, studierte an der Humboldt-Universität und trat der Linken bei. Als diese in der Koalition mit der SPD wegen des maroden Haushalts großflächig Wohnungen privatisierte, gab er seine Mitgliedschaft auf. Denn Strom, Wasser, Bildung, Gesundheit und Wohnen, so seine Überzeugung, seien "soziale Infrastruktur, die für den Menschen da sein sollte".

2015 gehörte Taheri zu den Initiatoren des angestrebten Mietenvolksentscheids, mit dem besonders sozial bedürftige Mieter geschützt werden sollten. Der Berliner Senat aus aus SPD und CDU übernahm zentrale Forderungen in einem Gesetz und verhinderte so eine Volksbefragung. Doch die Mieten in Berlin stiegen weiter, mehr als in jeder anderen deutschen Metropole. Zugleich verdienen die Berliner im Schnitt wesentlich weniger.

"Wir wollen die Spekulanten ja nicht noch für ihre Spekulation belohnen"

Taheri und seine Mitstreiter sagen, sie hätten deshalb immer wieder versucht, mit den Wohnungsunternehmen wie der Deutsche Wohnen ins Gespräch zu kommen - erfolglos. Nächtelang habe er daraufhin über den Berichten der Firma gesessen. Sein Schluss: "Die können nicht reformiert werden." Das Geschäftsmodell eines börsennotierten Unternehmens widerspreche den Bedürfnissen der Mieter. Die einen wollen Rendite, die anderen Sicherheit. "Es geht um die Angst, morgens den Briefkasten zu öffnen." Es könne ja eine Mieterhöhung darin sein oder eine Modernisierungsankündigung. Deshalb müsse man nun "die Grundfrage stellen", sagt Taheri, "die Eigentumsfrage".

Es wäre nach dem Mietendeckel, den Berlin kürzlich beschlossen hat, die nächste Revolution auf dem Wohnungsmarkt. Die Initiative "Deutsche Wohnen und Co. enteignen!" beruft sich dabei auf den Artikel 15 des Grundgesetzes - ein Novum in der Geschichte der Bundesrepublik. Betroffen wären derzeit zwölf große Unternehmen in Berlin, sagt Taheri. "Die haben auf dem Wohnungsmarkt nichts zu suchen." Anders als der Berliner Senat, der die dafür notwendigen Entschädigungen auf bis zu 29 Milliarden Euro beziffert, geht die Initiative von höchstens 13 Milliarden aus. "Wir wollen die Spekulanten ja nicht noch für ihre Spekulation belohnen."

Taheri ist froh, dass das Volksbegehren nun starten kann. Freude macht ihm aber etwas anderes: Sein Sohn arbeite nun auch bei einer Mieterinitiative - "da bin ich sehr stolz drauf".

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SZ vom 24.09.2020/saul
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