Deutsche Wirtschaft:Die Zeit danach

Die Bundesregierung führt das Land bisher gut durch die Corona-Krise. Nun muss sie darüber hinausdenken und den Wandel der Wirtschaft durch Digitalisierung und Klimaschutz kraftvoll begleiten.

Von Alexander Hagelüken

Sieben Jahrzehnte nach Gründung der Bundesrepublik halten viele Bürger deren Vorzüge für selbstverständlich. Es fällt ihnen schwer anzuerkennen, wenn ihr politisches System einen bahnbrechenden Erfolg erzielt. Hier ist einer: Diese Regierung schützt ihre Bürger nicht nur besser als andere Länder davor, an der Pandemie zu sterben. Sie hat mit ihren Milliardenprogrammen auch dramatische Arbeitslosigkeit verhindert, obwohl Corona die Wirtschaft einbrechen ließ wie nie zuvor in der Bundesrepublik. Nun sollte die Regierung wachsam bleiben, denn Corona beschleunigt gerade einen Wandel der Wirtschaft, der trotzdem noch Millionen Jobs kosten kann - aber nicht muss.

Manchmal zeigt sich ein großer Erfolg in einer relativ kleinen Zahl, in diesem Fall 30 000. Um 30 000 ist die Arbeitslosigkeit im Juli und August zurückgegangen, wenn man die üblichen Sommerfaktoren herausrechnet, etwa dass Personalchefs in der Urlaubszeit keine Leute einstellen. Anders als befürchtet steigt die Arbeitslosigkeit nicht auf ein Niveau wie zuletzt vor zehn Jahren. Die Regierung sagte am Dienstag zudem voraus, die Konjunktur werde 2020 weniger einbrechen als erwartet. Und der Welthandel scheint sogar schneller aufzuholen als nach dem jüngsten Schock, der Finanzkrise 2008. Das alles gibt Hoffnung, dass Deutschland mit Schrammen davonkommt, während etwa die weltgrößte Wirtschaftsmacht USA unter Donald Trump gesundheitlich, ökonomisch und moralisch abstürzt.

Die wirtschaftliche Erholung in Deutschland steht natürlich unter Vorbehalten. Einer davon ist, dass eine Exportnation leidet, solange die Käufer ihrer Waren darben. Und was andere Länder gegen die Pandemie tun, kann die Bundesregierung wenig beeinflussen. Immerhin sorgt sie mit ihrer Geburtshilfe für den Brüsseler Wiederaufbauplan dafür, dass ihr größter Exportmarkt stabilisiert wird: die EU.

Ein weiterer Vorbehalt lautet, dass ein neuer flächendeckender Lockdown die Erholung vernichten würde. Firmen würden dann in die Pleite rutschen oder von Kurzarbeit zu Entlassungen schwenken. Deshalb sollte die Politik Infektionswellen lokal bekämpfen - und entschieden. Gegen die Maskenpflicht zu verstoßen, fällt nicht unter Meinungsfreiheit, sondern unter Menschengefährdung. Corona-Restriktionen schützen nicht nur die Gesundheit der Bürger, sondern auch deren Jobs.

Eine besonders große Herausforderung für die Bundesregierung liegt darin, den immer neuen Windungen der Corona-Rezession zu begegnen. Ja, sie hat viel getan, mehr als andere Staaten. Und bei allen Fehlern im Detail funktioniert ihre Strategie erstaunlich gut. Nun allerdings sollte sie sich darum kümmern, dass die Pandemie einen Strukturwandel befeuert, der ohnehin im Gange ist - und bei dem die erfolgsverwöhnten deutschen Firmen teils schlecht aussehen.

Die Stichworte heißen Digitalisierung und Klimaschutz. Da die Menschen seit der Pandemie mehr online kaufen, heißt der Gewinner bisher Amazon und der Verlierer Karstadt. Und wenn Corona-Kaufprämien E-Autos fördern, heißt der Gewinner bisher Tesla und nicht VW. Verschärft durch die Corona-Rezession könnte dieser Wandel Millionen Jobs verschwinden lassen.

Er muss es aber nicht. Um das zu verhindern, sollte die Regierung Unternehmen und Arbeitnehmer im Wandel stärken. Was heißt das? Sie sollte ihre Corona-Politik mehr damit verbinden, die Volkswirtschaft auf die Zukunft auszurichten.

Ja, es ist richtig, den Unternehmen länger Kurzarbeit zu finanzieren, wie die Regierung gerade beschlossen hat. Jetzt pingelig Branchen im Wandel auszuschließen, wie mancher Ordoliberale fordert, gefährdet unnötig Arbeitsplätze. Falls die Autoindustrie Massen von Menschen entlässt, weil sie bald weniger Benziner und Diesel herstellt, gehen diese gut bezahlten Jobs womöglich für immer verloren. Die Regierung sollte es aber früher zur Bedingung für Kurzarbeit machen, dass eine Firma ihre Mitarbeiter qualifiziert. Nur so können Millionen Deutsche Tätigkeiten mit neuer Technologie ausüben, ob in der Fabrik, im Handel oder in der Bank.

Außerdem sollte Wirtschaftsminister Peter Altmaier seinen vorsichtig eingeschlagenen Kurs verstärken, Investitionen in Neues zu fördern. Industriepolitik war in Altmaiers CDU bisher ein Bäh-Wort. In China oder den USA ist sie selbstverständlich, um Innovationen vom iPhone bis zu künstlicher Intelligenz herauszukitzeln. Und wenn dann Firmen hierzulande neue Geschäftsmodelle wagen und dabei zusätzliches Personal erwägen, sollte die Regierung ihnen in der Rezession befristet Zuschüsse gewähren.

Alles zusammen wäre ein Paket, um nicht nur kurzfristig drastische Arbeitslosigkeit zu verhindern, sondern auf Dauer Jobs und Wohlstand zu sichern. Die Regierung würde so zeigen, dass sie an die nächsten 70 Jahre der Bundesrepublik denkt, während stolze Wirtschaftsnationen wie Großbritannien oder die USA die Basis ihres Wohlstands erodieren lassen.

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