Süddeutsche Zeitung

Deutsche Waffenexporte:Verdruckste Debatte im Geheimen

Lesezeit: 3 min

Saudi-Arabien sollte weder "Boxer" noch "Leoparden" oder sonst irgendwas geliefert bekommen, womit man Menschen erschießen oder niederwalzen kann. Wenn die Opposition sich jetzt über das umstrittene Geschäft empört, ist das zwar ein bisschen heuchlerisch. Sinnvoll ist die Kritik trotzdem.

Ein Kommentar von Christoph Hickmann, Berlin

Ob die Bundesregierung die Lieferung hochmoderner gepanzerter Fahrzeuge des Typs Boxer an Saudi-Arabien genehmigen sollte, diese Frage ist schnell beantwortet. Es genügt dafür ein Blick in die Regierungsgrundsätze "für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern". Dort heißt es, Genehmigungen würden "grundsätzlich nicht erteilt", wenn ein "hinreichender Verdacht besteht", dass die Waffen "zur internen Repression" oder für sonstige Verbrechen missbraucht würden. "Für diese Frage", so geht der Text weiter, "spielt die Menschenrechtssituation im Empfängerland eine wichtige Rolle."

Wer da mit dem Räsonieren anfangen will, ob der Verdacht im Fall Saudi-Arabiens auch wirklich "hinreichend" sei, dem ist, was den sogenannten inneren Kompass angeht, wohl nicht mehr zu helfen. Die Antwort lautet: Nein, dieses Land sollte aus Deutschland weder Boxer noch Leoparden oder sonst irgendetwas geliefert bekommen, womit man Menschen abschießen oder niederwalzen kann.

Es wäre praktisch, wenn sich jede Frage zu Rüstungsexporten derart einfach erledigen ließe, doch so ist es nun mal nicht. Das Thema ist so moralisch aufgeladen wie komplex, vor allem seit die Regierung Merkel Gefallen an einer neuen Leitidee gefunden hat: "Ertüchtigung statt Einmischung", was bedeutet, dass man möglichst keine Soldaten mehr in größere Auslandseinsätze schicken, sondern lieber, so die Kanzlerin, "vertrauenswürdige Partner" so ausrüsten möchte, dass sie im Konfliktfall selbst genug Feuerkraft aufbringen. Es ist die militärische Version des aus der Entwicklungspolitik lange geläufigen Mottos "Hilfe zur Selbsthilfe".

Waffenindustrie sucht neue Absatzmärkte

Aus Merkels Sicht hat die neue Linie zwei Vorteile. Erstens wird nicht nur in Deutschland, sondern auch im restlichen Europa an den Ausgaben für Kriegsgerät gespart - die Waffenindustrie sucht also neue Absatzmärkte, ausdrücklich auch außerhalb der Nato und damit oft in Weltgegenden, in denen man, nur zum Beispiel, unter Angriffen etwa auf die Pressefreiheit andere Dinge versteht als Regierungssprecher, die Fernsehredakteure anrufen.

Zweitens sieht die deutsche Bevölkerung Auslands- und erst recht Kampfeinsätze der Bundeswehr (aus bestens nachvollziehbaren Gründen) derart skeptisch, dass man dabei als Regierung nur verlieren kann - zumal in Afghanistan immer deutlicher wird, dass solche Einsätze trotz aller technologischen Überlegenheit am Ende scheitern können.

Beschränkt man sich hingegen auf "Ertüchtigung", sterben (erst mal) keine deutschen Soldaten, das ist ein kaum zu überschätzender Wert an sich. Trotzdem wiegen die Vorteile dieses Weges seine Nachteile nicht auf: Einem Einsatz der Bundeswehr geht stets eine intensive Debatte über Ziel, Begründung und vor allem Beschränkung dieses Einsatzes voraus.

In dem Augenblick aber, in dem Exportwaffen das importierende Land erreicht haben, gibt es von hier aus keinerlei Kontrolle mehr darüber, gegen wen sie gerichtet werden, warum und wie lange. Mal ganz abgesehen davon, dass an die Stelle eines "vertrauenswürdigen" Regimes schnell eines treten kann, dem man dieses Adjektiv nicht einmal bei weitester Auslegung zubilligen würde, das dann aber trotzdem über tödliche deutsche Technik verfügt.

Bundesregierung verweist stets auf die Geheimhaltung

Genauso problematisch ist die Sache mit der Transparenz. Zwar sind Streitkräfte nicht gerade gläserne Institutionen, sie neigen zu Verschleierung und Beschönigung. Doch die großen, entscheidenden Linien ihrer Einsätze sind in demokratischen Gesellschaften stets bekannt - erst recht hierzulande, wo der Bundestag entscheidet, bevor Soldaten ausrücken.

Ganz anders ist das im Fall von Rüstungsexporten. Mit keinem anderen Thema geht die Regierung derart verdruckst um, die Ausflucht lautet stets, dass der für die Genehmigung zuständige Bundessicherheitsrat nun mal der Pflicht zur Geheimhaltung unterliege (was die Regierung ja jederzeit ändern könnte, es steht schließlich nicht im Grundgesetz). Stattdessen wird dann im Rüstungsexportbericht mit vielen Monaten Verspätung darüber informiert, wer welche Waffen bekommen hat oder bekommen darf - und selbst in diesem Dokument bleibt, was Transparenz angeht, einiges an Luft nach oben. Eine Debatte über die Exporte ist nicht erwünscht und findet nicht statt.

Wenn SPD und Grüne sich nun darüber empören, ist das so löblich wie heuchlerisch, Panzerdeals wurden auch zu rot-grünen Regierungszeiten nicht gerade offen verhandelt. Sollte die Opposition, worauf einiges hindeutet, die Exportpolitik zum Thema im Wahlkampf machen, wäre das trotzdem eine gute Sache. Das Thema wäre dann zumindest ein paar Wochen lang, was es immer sein sollte: Teil der öffentlichen Aussprache.

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Quelle:
SZ vom 04.12.2012
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