Deutsche Waffenexporte:"Die Saudis wollen ihre G36, unbedingt"

  • Saudi-Arabien verlangt deutsche Waffenteile für das Sturmgewehr G36.
  • Aber seit Mitte 2014 verweigert die Bundesregierung jede Ausfuhr der Teile.
  • Seit Monaten protestiert das saudische Königshaus deshalb in Berlin.
  • Die Waffenschmiede Heckler & Koch hat Untätigkeitsklage vor dem Verwaltungsgericht in Frankfurt erhoben und will so die Ausfuhr erzwingen.

Von Christoph Hickmann und Georg Mascolo, Berlin

Wann immer in diesen Tagen deutsche und saudische Diplomaten aufeinandertreffen, scheinen die Erwartungen ziemlich unterschiedlich zu sein. Die Deutschen hoffen auf eine konstruktive Rolle des Königreichs bei der Suche nach einem bisschen Frieden für die Region, aus der zurzeit Hunderttausende nach Europa fliehen. Die Saudis hingegen verlangen deutsche Waffen, genauer gesagt Waffenteile. Es geht um zwei Druckfedern, Kolbenring, Gabel und einen Auszieher.

Die Geschichte von den fünf sogenannten Schlüsselkomponenten kennt inzwischen jeder deutsche Diplomat, der mit den Saudis verhandelt. Sie gehören zum Sturmgewehr G36, das sie seit 2008 in Lizenz herstellen dürfen. Aber seit Mitte 2014 verweigert die Bundesregierung jede Ausfuhr der Teile. Dabei hat Saudi-Arabien nach Zeitungsberichten für einen dreistelligen Millionenbetrag eine Fabrik für die Fertigung der Waffe gebaut.

Inzwischen hat sich die Lage verschärft

Seit Monaten protestiert das Königshaus deshalb in Berlin, mal im Auswärtigen Amt, dann direkt im Kanzleramt. Das Ganze sei ein eklatanter Vertragsbruch. Inzwischen hat sich die Lage verschärft: Die Golf-Monarchie scheint die Waffenlieferungen zum Testfall für die deutsch-saudischen Beziehungen erklären zu wollen, zu einer Sache des Prinzips.

Gerade erst war Außenminister Frank-Walter Steinmeier in Riad, um die Aussichten auf einen Friedensprozess zu sondieren - die Botschaft der Saudis gegenüber seinen Mitarbeitern soll deutlich gewesen sein: Wenn Berlin als Partner ernst genommen werden wolle, solle man erst einmal zu Hause den störrischen Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel auf Linie bringen. "Die Saudis wollen ihre G36, unbedingt," sagt ein mit den Vorgängen vertrauter Regierungsbeamter. Die Weigerung der Bundesregierung zu liefern, würden sie als Misstrauensvotum begreifen. Man fühle sich in schwierigen Zeiten von Berlin im Stich gelassen.

Merkel und Steinmeier sollen dem heiklen Geschäft zugestimmt haben

Der Konflikt um das G36 steht geradezu sinnbildlich für die Probleme, in die sich Deutschland mit seinem freizügigen Export von Waffen in alle Welt gebracht hat. In Zeiten der ersten großen Koalition wurde der schwäbischen Waffenschmiede Heckler & Koch der Export der Fabrik genehmigt, Kanzlerin Angela Merkel und Steinmeier sollen dem heiklen Geschäft im Bundessicherheitsrat zugestimmt haben. Blaupausen und Maschinen wurden geliefert, die Saudis bauten eine Fabrik auf dem riesigen Gelände des staatlichen Rüstungsbetriebs "Military Industries Cooperation" außerhalb von Riad. Auf dem Flughafen der Hauptstadt traf Jan van Aken, Waffenexperte der Bundestagsfraktion der Linken, einmal vier Mitarbeiter in roten Heckler-&-Koch-T-Shirts, womöglich Ausbilder aus Deutschland.

Die saudische Armee schoss schon immer gern deutsch, 1969 erteilte die damalige Bundesregierung eine Lizenz für den Bau des G3-Gewehrs, 1985 folgte die Genehmigung für die Maschinenpistole MP5, vier Jahre später für die Pistole P7. Beim G36 hatte Heckler eine besondere Klausel in den Vertrag eingebaut: Produziert werden sollte in Saudi-Arabien, aber hierfür benötigte Schlüsselkomponenten sollten weiter aus Deutschland angeliefert werden.

Jahrelang ging das gut, Heckler beantragte die Ausfuhr, der Bundessicherheitsrat stimmte zu, die Schlüsselkomponenten wurden verschickt. Schließlich gab es ja einen Vertrag. Spätestens Mitte 2014 stockte das Geschäft. Wirtschaftsminister Gabriel, ohnehin ein Gegner der Lieferung sogenannter Kleinwaffen, störte sich an dem Deal. Und auch Merkel und Steinmeier bekamen Bedenken. Kurz zuvor hatte ein saudisches Gericht das Urteil gegen den Blogger Raif Badawi noch einmal verschärft: Zehn Jahre Haft und 1000 Peitschenhiebe wegen Beleidigung des Islam. Badawi hatte Muslime, Christen, Juden und Atheisten als gleichwertig bezeichnet. Der Fall machte international Schlagzeilen, die Bundesregierung sprach von einer Belastung der Beziehungen. Was aber tun, wenn man einem solchen Regime eine komplette Waffenfabrik geliefert hat?

Die Saudis sollten die Vernichtung alter Gewehre nachweisen

Die Regierung entschied, das Problem erst einmal zu vertagen. Im Bundessicherheitsrat wurde einfach jede Entscheidung über die Lieferung von G36-Schlüsselkomponenten zurückgestellt, Ausfuhranträge von Heckler & Koch werden nicht beschieden. Die Firma hat deshalb im August Untätigkeitsklage vor dem Verwaltungsgericht in Frankfurt erhoben und will so die Ausfuhr erzwingen.

Schon als die Proteste der Saudis immer lauter wurden, machten sich Regierungsbeamte auf die Suche nach einer möglichen Lösung. Als Modell galt etwa eine sogenannte Neu-gegen-Alt-Regelung. Die Saudis sollten die Vernichtung alter Gewehre vom Typ G3 nachweisen - für jedes zerstörte Exemplar hätte es dann Teile für ein G36 gegeben. Zudem wurde überlegt, die Menge zu begrenzen.

Die Überlegungen liefen noch, da verschärfte sich die Lage abermals. Saudi-Arabien übernahm die Führung einer arabischen Koalition, die gegen die Huthi-Rebellen in Jemen Krieg führt. Die UN sprechen heute von einer humanitären Katastrophe, Human Rights Watch wirft Saudi-Arabien gar Kriegsverbrechen vor, was die Regierung in Riad bestreitet. Es gilt als hoch wahrscheinlich, dass in dem Krieg auch deutsche Waffen eingesetzt werden.

Der Krieg schafft seine eigenen Gesetze

Experten identifizierten bereits im April von saudischen Militärflugzeugen über dem Flughafen von Aden abgeworfene Kisten mit Gewehren als Typ G3. Eigentlich verlangt der Lizenzvertrag, dass die Sturmgewehre nur für die saudische Armee produziert werden dürfen, eine ebensolche Regelung gibt es auch für das G36. Theoretisch muss sich das Königshaus also den Export vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle im hessischen Eschborn genehmigen lassen. Aber der Krieg schafft seine eigenen Gesetze. Inzwischen musste die Regierung einräumen, dass sie überhaupt nicht überprüfen kann, ob Saudi-Arabien sich an die vereinbarten Regeln hält. Für eine "Vor-Ort-Kontrolle" fehle es an einer Zustimmung des Königreichs.

In der Bundesregierung wird nun nach einer Lösung für die Krise gesucht. Auf die Kooperation der Saudis sei man zwingend angewiesen, heißt es, sie seien einer der wichtigsten Partner in der Region. Und weil die meisten der vor Krieg und Bürgerkrieg Fliehenden nach Deutschland kommen, sei das Interesse an einer Friedensregelung überragend. Saudische Diplomaten studieren dieser Tage aufmerksam eine Erklärung des Sprechers des Auswärtigen Amtes. Der verteidigte vergangene Woche die Lieferung von Leopard-Kampfpanzern nach Katar mit der Pflicht zur "Vertragstreue". Eine frühere Bundesregierung habe das Geschäft genehmigt, nun müsse auch geliefert werden. Nun fragen sich die Saudis, warum dies nicht für sie gilt.

Womöglich erledigt sich der Konflikt noch auf ganz andere Weise. Es gibt Hinweise, wonach Saudi-Arabien die Schlüsselkomponenten auch selbst herstellen kann oder zumindest könnte. Bestätigt ist das allerdings nicht. Immerhin ist man in Berlin aus der Geschichte klüger geworden, auf Initiative des Wirtschaftsministeriums wurden neue Exportrichtlinien erlassen. Der Export einer ganzen Waffenfabrik in ein Land wie Saudi-Arabien ist künftig nicht mehr genehmigungsfähig.

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