Deutsche und Polen: Fremde Nachbarn:"Die Autowitze nerven mich"

Polen suchte den "Supervater" - und fand einen Deutschen: Der gebürtige Kieler Sven Sellmer wurde in der polnischen TV-Show "Papa des Jahres" auf den zweiten Platz gewählt. Er lebt seit 2004 in Posen. Im Gespräch mit sueddeutsche.de redet er über nationale Eigenheiten, hartnäckige Vorurteile und die Scheu der Deutschen, sich einfach mal bei den Nachbarn umzusehen.

Matthias Kolb

Der 41 Jahre alte Sven Sellmer ist gebürtiger Kieler und lehrt seit sieben Jahren an der Universität Posen (Poznań) in Westpolen Indologie. Zuvor lebte er mit seiner polnischen Ehefrau, einer studierten Germanistin, und der gemeinsamen Tochter Maja in Schleswig-Holstein. Als Übersetzer arbeitet er unter anderem für den Suhrkamp-Verlag.

Sven Sellmer Polen Papa des Jahres Familienvater Vater

Zweiplatzierter bei der Wahl zum "Papa des Jahres" in Polen: der gebürtige Kieler Sven Sellmer.

(Foto: Privat)

sueddeutsche.de: Herr Sellmer, herzlichen Glückwunsch! Sie haben in der TV-Show "Papa des Jahres" den zweiten Platz belegt. Sind Sie jetzt nach Papst Benedikt XVI. und Michael Schumacher der bekannteste Deutsche in Polen?

Sven Sellmer: Nein, das glaube ich nicht. Im Ernst: Ich habe den Eindruck, dass die deutschen Journalisten mein Erfolg viel mehr interessiert als die polnischen Kollegen. Die Zeitungen in der Region Breslau und natürlich in Posen haben über mein Abschneiden berichtet, doch auf Landesebene war dies kein Thema, obwohl die Show im öffentlich-rechtlichen Sender TVP lief.

sueddeutsche.de: Immerhin mussten Sie sich als deutscher Protestant nur einem einzigen der 20.000 anderen Kandidaten der "Papa des Jahres"-Show geschlagen geben. In welchen Disziplinen mussten Sie die Jury überzeugen?

Sellmer: (lacht) Den Titel habe ich meiner neunjährigen Tochter Maja zu verdanken, deren Schulklasse an dem Wettbewerb teilgenommen hat. Alle Kinder mussten eine Art Fragebogen über ihren Vater ausfüllen. Ich wusste gar nichts davon, und meine Frau hat die Antworten nur kurz gelesen.

sueddeutsche.de: Wie hat Maja Sie beschrieben?

Sellmer: Es ging um Themen wie Hilfsbereitschaft, Vertrauen oder Klugheit. Maja gefällt, so erinnert sich meine Frau Izabela, unter anderem, dass ich Gras für ihre Meerschweinchen pflücke und Fahrräder reparieren kann. Auch die Tatsache, dass ich Sanskrit und einige Fremdsprachen beherrsche, hat meine Tochter beeindruckt - und dass mich ab und an Kollegen anrufen und nach Rat fragen. Und Maja hat mich für meinen Einsatz in unserer kleinen deutschen Schule gelobt.

sueddeutsche.de: Wie sieht der aus?

Sellmer: Maja ist zweisprachig aufgewachsen, doch in ihrer normalen Schule läuft der Unterricht natürlich auf Polnisch ab. Zu Hause spreche ich dann mit ihr deutsch und eines unserer Lieblingsspiele ist die "deutsche Schule": Ich bin der Lehrer und Majas Plüschtiere sitzen im Klassenraum. Diese Beschreibung hat auf alle Fälle gereicht, um einer der 16 Finalisten zu werden.

sueddeutsche.de: Wer hat die Sieger gekürt?

Sellmer: Das war eine Jury unter Leitung des katholischen Paters Bogusław Barański, der den Wettbewerb 2006 initiierte. Er wollte dafür sorgen, dass die Rolle des Vaters in der Gesellschaft stärker respektiert wird. Die genauen Kriterien sind mir unbekannt: Ich wurde auf den zweiten Platz gewählt und Maja besitzt nun einen silbernen Engel als Trophäe, auf den sie unglaublich stolz ist.

sueddeutsche.de: Sie leben seit sieben Jahren in Posen. Wie haben Ihre Kollegen und Nachbarn reagiert, als diese merkten, dass ein Deutscher zu ihnen zieht?

"Die Atmosphäre war alles andere als freundlich"

Sellmer: Für meine Kollegen an der Uni war ich kein Exot. Ich unterrichte Indologie und an unserem Institut falle ich neben Kollegen aus China oder Japan vergleichsweise wenig auf. Für die Nachbarn in unserem Wohnblock war es schon eher etwas Besonderes, dass ein Deutscher neben ihn wohnt. Einige haben neugierig nachgefragt und vielen hat es sicher gefallen, dass ich polnisch spreche.

Maja Sellmer, Tochter von Sven Sellmer, Polen, Wahl zum Papa des Jahres

Sellmers Tochter Maja: "Ihr gefällt unter anderem, dass ich Gras für ihre Meerschweinchen pflücke."

(Foto: Privat)

sueddeutsche.de: Wo sind Sie denn auf mehr Vorurteile gestoßen - als Sie in Deutschland mit ihrer polnischen Frau lebten oder während der Zeit in Posen?

Sellmer: Zum Glück hat keiner von uns schlimme Erfahrungen gemacht. Meine Frau spricht als Germanistin exzellent deutsch und fällt deswegen nicht sofort als Polin auf. In schlechter Erinnerung sind mir allerdings die Besuche in deutschen Ausländerbehörden: Damals gehörte Polen noch nicht zur EU und die Atmosphäre in den Amtsstuben war alles andere als freundlich.

sueddeutsche.de: Das polnische Selbstbewusstsein ist seit dem EU-Beitritt 2004 gestiegen: Die Wirtschaft boomt, das Land wurde von der Finanzkrise kaum getroffen und Warschau gilt zumindest für deutsche Reisemagazine als "das neue Berlin".

Sellmer: Diese Veränderung im nationalen Befinden nehme ich am stärksten in der Presse wahr. Dort werden die wirtschaftlichen Erfolge Polens oft mit dem entsprechenden Stolz hervorgehoben. Zugleich gibt es aber noch viele selbstkritische Texte, in denen angemerkt wird, was noch nicht funktioniert und in welchen Bereichen Aufholbedarf besteht.

sueddeutsche.de: Bei der Fußball-Europameisterschaft 2012 will Polen ein guter Gastgeber sein.

Sellmer: Ja, aber die Befürchtungen sind momentan sehr groß, dass doch nicht alles pünktlich fertig wird. Es gibt Probleme mit den Stadien, der Autobahnbau stockt und gerade hier im Raum Posen werden viele Großprojekte erst nach der EM fertig werden. Das trübt die Vorfreude, aber es ist ja noch etwas Zeit bis zur Eröffnung.

sueddeutsche.de: Nehmen Sie einen Unterschied zwischen den Generationen wahr, wenn es um die Meinung über Deutschland geht? Haben die älteren Polen weiterhin Vorbehalte?

"Die mentale Entfernung ist enorm"

Sellmer: Diese Unterschiede gibt es. Allerdings gibt es auch unter den jungen Polen weiterhin Denkmuster und Vorurteile, die fortbestehen. Da wird einiges weitergegeben, aber das sind natürlich nicht mehr jene Vorbehalte, die aus den schlimmen persönlichen Erfahrungen der Verwandten herrühren. Das merke ich im persönlichen Umgang, speziell jüngere Leute sind extrem offen und neugierig.

sueddeutsche.de: Eine aktuelle Online-Umfrage des Goethe-Instituts über das deutsche Image hat ergeben, dass jeder vierte Pole eines an Deutschland besonders mag: Ordnung.

Sellmer: Diese Meinung ist noch immer weitverbreitet. Diese Klischees sind sehr hartnäckig, aber das ist auf der deutschen Seite schlimmer. Die polnische Wahrnehmung von Deutschland entspricht stärker der Realität als umgekehrt. Selbst von jüngeren Deutschen höre ich manchmal dumme Sprüche ...

sueddeutsche.de: ... "die Polen sind katholisch, konservativ und klauen deutsche Autos".

Sellmer: Genau. Ich habe aufgehört, mir all die Autowitze zu merken, die mir Deutsche erzählen, wenn sie hören, wo ich lebe. Das nervt ziemlich. Das Desinteresse zeigt sich auch darin, dass wenige Deutsche einfach mal nach Osten fahren, um Polen und seine Menschen kennenzulernen.

sueddeutsche.de: Welche Erklärung gibt es dafür? Liegt es auch an der Berichterstattung der deutschen Medien?

Sellmer: Mir fehlt ein wenig die Ausgewogenheit. Die einzelnen Artikel, die gedruckt werden, sind in Ordnung und sicherlich kann man über skurrile Einzelfälle berichten, die manches Klischee erfüllen. Aber ich wünsche mir auch mal ein paar Texte, in denen beschrieben wird, welche Fortschritte dieses Land gemacht hat.

sueddeutsche.de: Zuletzt forderten die Polen in Deutschland mehr Geld und wollen etwa Polnisch-Unterricht an deutschen Schulen. Haben Sie dafür Verständnis?

Sellmer: Dieses Thema wird gerade von den konservativeren polnischen Medien sehr breit diskutiert. Ich kenne die genauen juristischen Hintergründe nicht, wodurch sich der Status der deutschen Minderheit in Polen von den Deutschen polnischer Herkunft unterscheidet. Aber die finanzielle Unterstützung unterscheidet sich doch substanziell: Die deutsche Minderheit in Polen erhält - wenigstens nach dem, was ich in der polnischen Presse gelesen habe - etwa 23 Millionen Euro pro Jahr von der Regierung in Warschau, während die polnischen Vereine in Deutschland nur einige hunderttausend Euro bekommen. Wenn sich das nun angleicht, wäre das in meinen Augen gut. Aber das hätte natürlich schon längst geschehen sollen.

sueddeutsche.de: Polens Präsident Bronislaw Komorowski hält heute die Berliner Rede anlässlich des 20. Jahrestags der Unterzeichnung des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrags. Wenn Sie ihm einen Absatz ins Manuskript schreiben könnten, welcher wäre dies?

Sellmer: Er sollte die Deutschen ermuntern, nach Polen zu reisen. Es dauert nur wenige Stunden und man entdeckt ein schönes Land mit vielen freundlichen Menschen. Das ist doch der entscheidende Punkt für eine gute Nachbarschaft: Wenn sich die Menschen kennen und mögen, dann lassen sich alle Probleme lösen und Missverständnisse ausräumen. Die mentale Entfernung zwischen den Deutschen und ihren östlichen Nachbarn ist noch enorm. Die Polen haben da weniger Nachholbedarf, weil viele eine Zeitlang in Deutschland gearbeitet beziehungsweise studiert haben, oder auch einfach so einmal da gewesen sind, und daher Land und Leute besser kennen.

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