Deutsche und Italiener:Die lange Tradition, sich misszuverstehen

Die beiden Völker können sich gar nicht verstehen, das liegt an der Geschichte der beiden Länder: Gemeinsamkeiten und Streitigkeiten seit dem 19. Jahrhundert.

Wolfgang Schieder

Der in der Toskana lebende Schriftsteller Robert Gernhardt brachte vor einiger Zeit das schwierige Verhältnis von Deutschen und Italienern ironisch auf den Punkt: "Italiener sein, verflucht! Ich habe es oft und oft versucht - es geht nicht." Deutsche und Italiener sehen sich in der gegenseitigen Wahrnehmung seit je als fremd an.

Das hindert sie zwar nicht, sich zeitweise für die Lebensart der anderen zu begeistern, die Deutschen für Pesto und Prosecco, die Italiener, wenn auch zurückhaltender, für die Bierkultur nach Art des Münchner Hofbräuhauses oder für "Wurstel con Krauti". Doch gelten die Italiener in den Augen der Deutschen als theatralisch, wenig glaubwürdig und chaotisch organisiert.

Für die Italiener sind die Deutschen dagegen in erster Linie humorlos, pedantisch und stillos. Auf einen Begriff gebracht gelten die Italiener in Deutschland als unzuverlässig und die Deutschen in Italien als überheblich.

Zwar handelt es sich hier um stereotype Repräsentationen, die den komplexen Zusammenhang gegenseitiger kultureller Wahrnehmungsprozesse nur sehr vereinfacht markieren. Doch ist allein schon bemerkenswert, dass solche kollektiven Deutungsmuster überhaupt im Umlauf sind. Zu erklären sind sie nur aus der Geschichte von Italienern und Deutschen seit dem 19. Jahrhundert.

Italiener und Deutsche fanden 1861 respektive 1871 fast gleichzeitig zu nationaler Einheit. Die vergleichsweise späte Staatsgründung führte unter dem Druck der Industrialisierung in beiden Staaten zu politischen und gesellschaftlichen Dauerkrisen, die sich schließlich im ersten Weltkrieg entluden. Erstmals gerieten dabei Deutsche und Italiener aneinander, weil letztere sich 1915 auf die Seite Englands und Frankreichs schlugen.

Weil weder Italien noch Deutschland ihre Nachkriegsprobleme bewältigen konnten, fanden sie sich 1922 respektive 1933 in faschistischen Diktaturen wieder. Die von Mussolini und Hitler 1936 ausgerufene "Achse Rom-Berlin" symbolisierte auf makabre Weise die politische Gemeinsamkeit von Italienern und Deutschen.

Als die Italiener jedoch am 8. September 1943 aus dem Krieg ausschieden und die Deutschen daraufhin in Norditalien bis 1945 eine brutale Besatzungsherrschaft ausübten, entfernte man sich wieder voneinander. Erst der Aufbau der Europäischen Gemeinschaft brachte Deutsche und Italiener nach dem Zusammenbruch der faschistischen Regime unter der klugen politischen Führung Adenauers und De Gasperis wieder einander näher.

Die deutsche Wiedervereinigung stellte dann in den neunziger Jahren wieder alles in Frage. Danach sollte, wie der Turiner Politikwissenschaftler Gian Enrico Rusconi kürzlich feststellte, "das deutsch-italienische Klima nicht mehr so herzlich werden wie zuvor".

In Italien fürchtet man seitdem, dass Deutschland die Hegemonie in Europa beanspruchen könnte und reagiert darum häufig überempfindlich gegenüber deutscher Kritik. In Umfragen rangieren die Deutschen in Italien regelmäßig am Ende der durchschnittlichen Beliebtheitsskala, weit nach Amerikanern und Franzosen und noch nach Japanern, Briten und Russen. Die freundliche Haltung gegenüber jedem einzelnen Deutschen, die jeder Tourist erleben kann, verdeckt die gegenüber "den" Deutschen vorhandene Distanz.

Spaghetti mit Pistole

Der christdemokratische Ministerpräsident Giulio Andreotti gab diesem verbreiteten Empfinden Ausdruck, als er 1977 erklärte, er liebe Deutschland so sehr, dass er froh sei, dass es zwei davon gäbe.

In Deutschland war man entrüstet. Doch hätte man es besser wissen können. Unter dem Deckmantel der europäischen Gemeinsamkeiten waren in Italien alte antideutsche Gefühle lebendig geblieben. Man hatte sie in Deutschland nur kaum wahrgenommen.

In den sechziger Jahren interessierten die Westdeutschen fast ausschließlich die deutschsprachigen Südtiroler, für die man einseitig Partei nahm. In den siebziger Jahren waren es dann die terroristischen Brigate Rosse, die die deutsche Aufmerksamkeit fesselte.

Der Umgang der Italiener mit dem Terrorismus wurde als dilettantisch angesehen, obwohl man zur gleichen Zeit in Deutschland keineswegs besser damit fertig wurde. Das Titelbild des Spiegel vom Juli 1977, auf dem eine Pistole in einem Teller Spaghetti zu sehen ist, war hierfür symptomatisch. Es hat sich tief in die kollektive Erinnerung der Italiener eingebrannt und taucht bis zum heutigen Tag prompt wieder auf, wenn man sich von jenseits der Alpen geschulmeistert glaubt.

Noch in den achtziger Jahren interessierte man sich in Deutschland kaum für die traumatischen Erinnerungen der Italiener an die deutsche Besatzungszeit von 1943 bis 1945. Erst recht setzte man sich nicht mit der für die Nachkriegsgeschichte Italiens so wichtigen Resistenza gegen die deutsche Terrorherrschaft auseinander, was freilich auf Gegenseitigkeit beruhte, da der Widerstand gegen Hitler bis zu dieser Zeit in Italien noch weitgehend unbekannt war.

Allen Ernstes behauptete etwa damals der Italienkorrespondent der FAZ, Hans-Joachim Fischer, dass die Italiener die Resistenza nur dazu benutzten, "die Misserfolge im Zweiten Weltkrieg, die Besetzung durch die deutsche Wehrmacht, die Überlegenheit der deutschen Kriegsmaschinerie" zu kompensieren.

Selbst die beiden größten von zahllosen Massakern, die von der SS und der Wehrmacht in Italien verübt wurden - die Erschießung von 335 Geiseln in den römischen Fosse Ardeatine und die Ermordung von etwa 770 Frauen und Kindern in der Gemeinde Marzabotto in der Nähe von Bologna - nahm man in Deutschland nur verzerrt zur Kenntnis. Am meisten regte man sich darüber auf, dass die beiden Hauptverantwortlichen, Herbert Kappler und Walter Reder, in der Festung Gaeta zu Unrecht lange in Haft gehalten würden.

Dies rührte daher, dass man in Deutschland an die Legende von der "sauberen Wehrmacht" glaubte, die sich auch in Italien nicht die Hände schmutzig gemacht habe. Der militärische Widerstand wurde zum bloßen "Bandenkrieg" herabgestuft.

Lange Zeit galt auch noch die propagandistische Sprachregelung, wonach die Italiener die Deutschen 1943 "verraten" hätten. Sie war von der nationalsozialistischen Propaganda vorgegeben und nach dem Krieg in den Memoiren deutscher Kriegsteilnehmer wiederholt worden.

Berlusconi und die Vox populi

Erst seit den neunziger Jahren änderte sich das grundlegend. Die Bücher von Lutz Klinkhammer, Gerhard Schreiber, Friedrich Andrae und Gabriele Hammermann deckten das ganze Ausmaß der Brutalität nationalsozialistischer Herrschaft in Italien auf. Die späte deutsche Einsicht wurde auch dadurch nicht getrübt, dass die geradezu mythologische Überhöhung, welche die Resistenza in Italien jahrzehntelang erfahren hatte, seit den neunziger Jahren im Schwinden ist.

Man bezweifelt heute vor allem die Vorstellung der Resistenza als einer demokratischen Massenbewegung und weist ihr eher eine Minderheitsrolle zu. Doch die von der Resistenza wesentlich geprägten Einstellungen gegenüber den Deutschen bleiben davon unberührt.

Der nationalkonservative Staatspräsident Ciampi lässt keine Gelegenheit aus, den Italienern zu versichern, dass sie "brava gente", gute Leute, seien. Das Gegenbild zum anständigen Italiener ist der "cattivo tedesco", der böse Deutsche.

In dem großen, von Mario Isnenghi herausgegebenen Werk über italienische Erinnerungsorte finden sich überwiegend positiv konnotierte Stichworte. Eines aber ist eindeutig negativ gekennzeichnet: "I tedeschi". Nach Auffassung des Florentiner Historikers und hervorragenden Deutschlandkenners Enzo Collotti, der diesen Artikel verfasst hat, hätten zwei Weltkriege im Bewusstsein der Italiener für die Deutschen das Stereotyp des "Kriegers" geschaffen, der, "je nachdem, als Unterdrücker, als Schlächter, als Barbar tout court" erscheine.

Das kollektive Feindbild vom bösen Deutschen speist sich aus verschiedenen Quellen, literarischen, politischen und wissenschaftlichen. Nur zwei Autoren seien hier genannt. Primo Levi, der vielleicht bedeutendste italienische Schriftsteller der Nachkriegszeit, schrieb seine Bücher ausdrücklich gegen die Deutschen, so wie er sie in Auschwitz kennengelernt hatte. Sie hätten ihm nicht in die Augen sehen können und seien unfähig gewesen, "ein humanes Wort über die Lippen zu bringen".

Auch Nuto Revelli, der unermüdliche Sammler von Zeugnissen Überlebender, ging davon aus, dass "alle Deutschen, nicht nur die SS, Bestien und keine Menschen" seien. Er stieß dann zwar auf einen Soldaten aus Marburg, den er als "guten Deutschen" erkennen musste. 1994 hat er über ihn ein bewegendes Buch veröffentlicht, ohne jedoch seine Auffassung über die Deutschen wesentlich zu revidieren.

Erst recht können die Deutschen in weniger reflektierten Milieus auch heute noch als Inkarnation des Martialischen erscheinen. Dazu nur drei Beispiele. Vor einigen Jahren gewann Schalke 04 im Uefa-Cup das Endspiel gegen AS Turin. In den italienischen Sportzeitungen wurde das prompt als Sieg der deutschen "Panzer" bezeichnet, obwohl in diesem Fall ironischerweise zehn der elf Spieler des Gelsenkirchener Vereins keine Deutschen waren.

Finden in Deutschland, zumal in der Häufung wie in den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung, ausländerfeindliche Anschläge statt, erscheinen in Italien sofort Karikaturen, auf denen Stacheldraht, Wachttürme und Maschinengewehre zu sehen sind. Und wenn heute auf das wiedervereinigte Deutschland angespielt wird, ist schnell vom "colosso Germania" die Rede.

Dabei ist zweifellos viel Heuchelei im Spiel. So verständlich es ist, an die deutschen Kriegsverbrechen in Italien zu erinnern, so wenig ist es zu begreifen, weshalb man sich in Italien für jene des faschistischen Regimes jahrzehntelang fast überhaupt nicht interessiert hat. Es wäre unangemessen, hier irgendwelche Aufrechnungen vorzunehmen. Dass die Deutschen mit Panzern und mit Lagern in Verbindung gebracht werden oder als bedrohlicher Koloss erscheinen, hat sich jedoch im Gedächtnis der Italiener so verfestigt, dass es geradezu automatisch abgerufen werden kann. Je mehr man sich in Italien mit der Geschichte der faschistischen Gewalt auseinandersetzt, desto weniger wird dieser Mechanismus greifen.

Einstweilen kann jedoch ein kulturloser Ministerpräsident, der sich selbst als Vox populi versteht, nichts dabei finden, einen deutschen Politiker als KZ-Wächter zu verunglimpfen. Es wäre angesichts diffuser antideutscher Vorurteile nicht erstaunlich, wenn er damit daheim immer noch Anklang fände. Allerdings geht es nicht mehr bloß um Italiener und Deutsche, sondern um ihre gemeinsame Qualität als Europäer.

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