Deutsche Russland-Politik:Jenseits von Putin

Deutsche Russland-Politik: Graffiti in Kiew: Präsident Viktor Janukowitsch mit Russlands Präsident Wladimir Putin auf seinen Schultern.

Graffiti in Kiew: Präsident Viktor Janukowitsch mit Russlands Präsident Wladimir Putin auf seinen Schultern.

(Foto: AFP)

Die Demonstranten in der Ukraine erhoffen eine engere Bindung ihres Landes an Europa. Doch die kann es nur geben, wenn die EU endlich das eigentliche Problem ihrer Ostpolitik angeht: Was tun mit Russland? Deutschland ist in der Pflicht, eine Strategie zu entwerfen. Doch dafür muss die große Koalition eine traditionelle Spaltung überwinden.

Ein Kommentar von Stefan Kornelius

Nächste Woche wollen die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union ihre gemeinsame Außenpolitik kritisch überprüfen. Wenn diese Übung ernst gemeint ist, dann kann sie sich hinziehen. Die EU weiß, dass sie ein kümmerliches Bild abgibt, wenn sie anderen Staaten gegenübertritt.

Statt Fehler zu analysieren, sollte die EU ihre Zeit nutzen und sich dem drängendsten Problem an ihrer Grenze zuwenden - der Ukraine. Die EU trägt ihren Anteil an dieser Krise. Der Protest rührt aus der Enttäuschung der Menschen, die auf eine Bindung an Europa gehofft hatten. Die wird aber nicht zustande kommen, solange das eigentliche Problem der europäischen Ostpolitik ungelöst bleibt: Was tun mit Russland? Ohne ihr stärkstes Mitglied Deutschland wird die EU die Frage nicht beantworten können.

Die deutsche Politik ist Russland gegenüber traditionell gespalten. Vereinfacht gesagt: Auf der einen Seite steht die Fraktion der Menschenrechtler und Systemkritiker, die Wladimir Putin abgeschrieben hat und dem Präsidenten mit Härte und Isolation begegnet. Auf der anderen Seite stehen die Rationalisten und Merkantilisten, die Russland als großen Markt und zähmbaren politischen Koloss mit enormen internen Problemen sehen.

Übersetzung auf die neuen Verhältnisse in Berlin: auf der einen Seite Angela Merkel, auf der anderen Seite Frank-Walter Steinmeier. Vom kommenden Dienstag an könnte die Konstellation heißen: Kanzlerin gegen Außenminister.

Weil das Bild einfach ist, ist es auch nicht ganz richtig. Und dennoch könnte sich für die deutsche Außenpolitik in einer Schlüsselfrage ein Konflikt abzeichnen, den der Koalitionsvertrag nicht löst.

Angela Merkel hat bei Putin fast schon resigniert. Der Präsident geriert sich ihr gegenüber als ewiger Machtspieler, für den es nur Sieg oder Niederlage gibt. Putin sieht in jedem Problem ein Duell. Für Merkel, die vor allem in Kompromissen denkt, ist das unerträglich. Bei der jüngsten Begegnung in St. Petersburg, aus Anlass einer Kunstausstellung, fügte sie ihm eine Niederlage zu. Wirklich Interesse an diesen Duellen hat sie nicht. Aber Putin aussitzen wird sie auch nicht können.

Steinmeier ist wahrlich nicht der Putin-Versteher, wie es einst Gerhard Schröder war. Als Außenminister setzte er auf den späteren Brücken-Präsidenten Dmitrij Medwedjew. Danach muss sich sein Russland-Bild genauso gedreht haben wie das Machtkarussell in Moskau. Putins Metamorphose hin zum lupenreinen Autokraten ist jedenfalls unübersehbar.

Merkels und Steinmeiers Fehde muss enden

Für die Regierung Merkel III wird es ein paar grundlegend neue Erfahrungen in der Russland-Politik geben. Erstens zählt Deutschland. Der Rest Europas erwartet geradezu, dass in Berlin eine Russland-Strategie für die EU entworfen wird. Die US-Regierung hat zwar im Fall der Ukraine schon mal Sanktionen angedroht, die Führung überließe aber auch sie gerne den Deutschen.

Zweitens hat sich die Abhängigkeit gedreht. Russlands Einfluss auf den Westen schwindet. Die Raketenabwehr verliert mit der amerikanisch-iranischen Verständigung an Bedeutung. Dagegen kann man nicht mehr opponieren. Die Nato ist nicht mehr das bevorzugte Vehikel für die Anbindung etwa der Ukraine oder Georgiens an den Westen. Also kann man sie nicht mehr attackieren. Das neue Feindbild müsste jetzt die EU mit ihrer Nachbarschaftspolitik sein. Aber die EU ist weniger angreifbar, weil es vor allem Russland ist, das von Importen profitiert und auf westliche Technologiehilfe hofft.

Drittens aber ändert sich die Machtgleichung vor allem bei Gas und Öl. Deutschland hat sich dem Anti-Monopol-Verfahren der EU-Kommission gegen den russischen Staatskonzern Gazprom gebeugt und diversifiziert - ähnlich wie die Nachbarn in Europa - seine Bezugsquellen. Dazu kommen der Verfall der Gaspreise, die Marktverschiebungen durch die Schiefergas-Förderung in den USA und massive strategische Fehler der russischen Förderer in der Energiemarktpolitik. Putin, der einst über die staatliche Rohstoff-Wirtschaft promoviert hat, verliert also seinen wirksamsten Hebel.

Für eine neue Russland-Politik ergeben sich also eine Menge neuer Optionen. Die lassen sich aber nur ergreifen, wenn Merkel und Steinmeier ihre alte Russland-Fehde beilegen und die Vielfalt des Landes jenseits seines Präsidenten erkennen und nutzen: Opposition, Bürger-, Kulturbewegungen. Es gilt Wirtschaftskontakte zu nutzen und Russlands Interessen zu bedienen - im Gegengeschäft für Recht und Verlässlichkeit. Russlands Nachbarn suchen neue Verbündete, und selbst ein Viktor Janukowitsch in der Ukraine wird sich auf Dauer nicht auf seine Oligarchenmacht stützen können.

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