Im vierten Jahrhundert vor Christus eroberten die Gallier unter Brennus fast ganz Rom. Vor ihrem Abzug verpflichteten sie die Römer, 1000 Pfund Gold zu bezahlen. Als die sich beklagten, die Gallier benutzten zu schwere Gewichte, soll Brennus auch noch sein Schwert in die Waagschale geworfen und gerufen haben: "vae victis" - "wehe den Besiegten".
Vae victis - so verfuhren Sieger nach vielen Kriegen. So wurden Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg im Versailler Vertrag hohe Reparationszahlungen auferlegt. Im Zweiten Weltkrieg ließ Nazi-Deutschland die von ihm besetzten und unterworfenen Länder das Vae victis spüren. Im Namen Deutschlands wurden unzählige Menschen verschleppt und ermordet, immense Schäden an Häusern und Infrastruktur angerichtet und ganze Staaten ausgeplündert. Eben auch Griechenland.
Hätte Deutschland nach dem Krieg für all dies vollen Schadenersatz leisten müssen, es wäre wohl nie wieder auf die Beine gekommen. Doch die Siegermächte hatten aus den Erfahrungen von Versailles gelernt. Deutschland zahlte zwar vielen NS-Opfern Entschädigung, also Menschen, die wegen ihrer Rasse, Religion oder Weltanschauung von den Nazis verfolgt worden waren.
Griechenland:Merkel lädt Tsipras nach Berlin ein
Die Lage zwischen Deutschland und Griechenland ist angespannt, jetzt trifft Kanzlerin Merkel den griechischen Regierungschef Tsipras in Berlin. Außenminister Steinmeier dämpft die Erwartungen an das Treffen.
Griechische Nazi-Opfer erhielten aufgrund eines bilateralen Vertrags 115 Millionen D-Mark. In Sachen "allgemeine Kriegsschäden" - wozu die Leiden der Zwangsarbeiter und der Angehörigen von Massakern zählten - kam Deutschland aber günstig davon. Im Londoner Schuldenabkommen von 1953 wurden Reparationsforderungen bis zum Abschluss eines Friedensvertrags zurückgestellt, und damit, wie man in Deutschland vermutete, auf den Sankt-Nimmerleins-Tag.
Schuld und Schulden blieben jedoch nicht in den Kellern der Geschichte. Immer wieder versuchten Opferangehörige und Regierungen, Deutschland zur Zahlung von Entschädigungen zu drängen. So wie es jetzt die neue griechische Regierung mit Vehemenz tut. Athen verlangt Ersatz für die Schäden, die Deutschland während des Weltkriegs in Griechenland angerichtet hat. Die Forderungen könnten einen dreistelligen Milliardenbetrag erreichen.
Berlin argumentiert, Athen habe sämtliche Forderungen verwirkt
Die Bundesregierung lehnt solche Reparationszahlungen jedoch kategorisch ab. Sie argumentiert, mit dem sogenannten Zwei-plus-Vier-Vertrag aus dem Jahr 1990 zwischen den USA, der Sowjetunion, Frankreich und Großbritannien einerseits und der Bundesrepublik und der DDR andererseits.
Dieser Vertrag regele die Wiedervereinigung und die Souveränität Deutschlands und enthalte eine abschließende Bestimmung zu den Reparationen. Die Vertragspartner hätten dabei den Willen gehabt, weitere Zahlungen für die Zukunft auszuschließen.
Athen argumentiert, die Siegermächte und Deutschland hätten doch keinen Vertrag zu Lasten eines Dritten - nämlich Griechenlands - schließen können. Dem hält Deutschland die ebenfalls 1990 beschlossen Charta von Paris entgegen. Die hat Griechenland unterzeichnet. Darin heißt es, man nehme "mit großer Genugtuung Kenntnis" vom Zwei-plus-Vier-Vertrag.
Hätte Griechenland spätestens da Reparationsforderungen vorbringen müssen? Hat es also sinngemäß auf diese verzichtet? Darüber lässt sich ebenso streiten wie über die Behauptung Deutschlands, man habe im Rahmen der europäischen Einigung via Brüssel viel für Griechenland gezahlt. Daher könne Athen jetzt nicht mit alten Kriegsschulden daherkommen.
Die griechische Regierung legt zusätzlich einen Sonderfall auf den Tisch: die Zwangsanleihe von 476 Millionen Reichsmark, die Deutschland im Zweiten Weltkrieg von der griechischen Nationalbank einforderte. Inklusive Zinsen soll sich diese Schuld heute auf bis zu elf Milliarden Euro belaufen. Athen sagt, es handle sich um ein echtes Darlehen, das man zurückfordere. Berlin hält dagegen, die Anleihe sei den Griechen aufgezwungen worden. Sie entstamme keinem echten Vertrag zweier souveräner Partner und sei daher genauso wie die anderen Kriegsschulden zu bewerten.
Doch es stehen nicht nur Ansprüche zwischen dem Staat Griechenland und Deutschland im Raum. Daneben verklagen seit Jahren griechische Opferangehörige Deutschland auf Schadenersatz. Vor deutschen Gerichten sind sie gescheitert. In Griechenland hatten sie Erfolg. Der oberste Gerichtshof des Landes, der Areopag, entschied im Jahr 2000, Deutschland müsse Hinterbliebene eines Massakers in dem Ort Distomo entschädigen. Die griechischen Justizminister verweigerten aber bislang die Erlaubnis, dieses Urteil zu vollstrecken, zum Beispiel in deutsche Liegenschaften wie dem Goethe-Institut Athen.
Zweiter Weltkrieg:Als Hitler Griechenland überfiel
1941 lässt Nazi-Diktator Adolf Hitler die Wehrmacht in Griechenland einmarschieren - Beginn einer mörderischen Besatzungszeit. Bilder aus Griechenland während des Zweiten Weltkrieges.
Jetzt droht der neue Justizminister damit, die Vollstreckung zu erlauben. Deutschland beruft sich dagegen auf das Prinzip der Staatenimmunität. Es besagt, dass alle Staaten souverän und gleich sind und sich daher, wenn sie hoheitlich handeln, nicht vor Gerichten anderer Staaten verantworten müssen. Dies gelte auch für Handeln im Krieg.
Die griechischen Kläger wenden ein, die Staatenimmunität gelte nicht bei schwersten Menschenrechtsverletzungen. Sie stützen sich dabei auf etliche Völkerrechtler, die den Schutz der Menschenrechte ausbauen und hierfür die Immunität der Staaten beschneiden wollen.
Furcht vor der "Büchse der Pandora"
Neben der griechischen folgt auch die italienische Justiz dieser Ansicht. Sie verurteilte Deutschland dazu, Schadensersatz an Opferangehörige und ehemalige Zwangsarbeiter zu bezahlen. Deutschland verklagte daraufhin Italien vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag.
Die Weltrichter gaben Deutschland 2012 mit der Begründung recht, die Staatenimmunität gelte auch bei Kriegsverbrechen. Dem widersprach 2014 das italienische Verfassungsgericht. Es urteilte, Kriegsopfer könnten Deutschland sehr wohl vor italienischen Zivilgerichten verklagen. Der Streit geht damit in die nächste Runde.
Um die alten Konflikte zu lösen, könnte Deutschland Griechen und Italienern entgegenkommen und zum Beispiel Stiftungen für Opfer aus beiden Staaten anbieten. Berlin befürchtet jedoch wohl, auf diese Weise eine "Büchse der Pandora" zu öffnen. Weltweit würden dann Staaten wegen alten Unrechts angegangen, mit unabsehbaren Folgen für die Finanzen und den Frieden. Auch darüber lässt sich streiten.