Deutsche Muslime nach Anschlag auf "Charlie Hebdo":"Wir haben uns sehr stark gefühlt. Bis Mittwoch."

Muslimische Verbände zu Anschlag in Paris

Verurteilen den Anschlag von Paris: Ali Kızılkaya, Vorsitzender des Islamrates, Bekir Alboğa, Generalsekretär der Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB) und Murat Gümüs von der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş (v. l. n. r.) bei der Pressekonferenz in Köln.

(Foto: dpa)

Gegen einen Generalverdacht, für Pressefreiheit, aber auch irgendwie gegen Mohammed-Karikaturen: Deutsche Islamverbände verurteilen die Morde von Paris. Ein gemeinsamer Auftritt zeigt, vor welchen schwer zu erfüllenden Erwartungen sie stehen.

Von Jannis Brühl, Köln

Als Nurhan Soykan das Wort ergreift, rechtfertigt sie sich erst einmal dafür, dass sie erst nach den sechs Männern dran ist: "Dass ich als letztes spreche, liegt nur daran, dass ich am Rand des Tisches sitze, also bitte interpretieren sie da nichts rein." Wer mit den Vorurteilen gegen muslimische Frauen lebt wie die Generalsekretärin des Zentralrats der Muslime, verteidigt sich irgendwann vorbeugend.

Soykan, im schwarzen Mantel und mit Tuch auf dem Kopf, sitzt mit sechs anderen Funktionären islamischer Verbände in dunklen Anzügen an einem Tisch im Rückgebäude der Kölner Zentralmoschee. Auch sie haben das Gefühl, sich erklären zu müssen. Sie sprechen vor Journalisten über die Morde an der Charlie-Hebdo-Redaktion in Paris.

Nach dem Anschlag herrschen schwer zu erfüllende Erwartungen an die Funktionäre: Die Öffentlichkeit will von ihnen eine Erklärung für die Morde, die sie nicht liefern können. Ein Bekenntnis zur Pressefreiheit, das ihnen zumindest im Fall der Mohammed-Karikaturen viele nicht glauben werden. Und am besten noch eine Garantie, dass in Deutschland kein Muslim auf dumme Ideen kommt, die sie natürlich nicht geben können. Und dann müssen sie noch den Menschen, die sie vertreten, das Gefühl geben, sie vor dem Hass der "Islamkritiker" zu schützen.

Es ist mittlerweile ein Ritual nach islamistischen Anschlägen, aber vielleicht muss es sein, weil viele Nichtmuslime es gerne ignorieren: Die Funktionäre verurteilen den Anschlag scharf. Die Attentäter hätten den Islam "schändlich missbraucht", sagt Ali Kızılkaya, Vorsitzender des Islamrates, die Tat sei ein "Akt gegen die Religion, gegen die Menschlichkeit." Seyfi Ögütlü vom Verband der islamischen Kulturzentren sagt: "Wir möchten den Hinterbliebenen unser Beileid bekunden und ihren Schmerz teilen."

Bekir Alboğa, Vorstand der Ditib, die der türkischen Religionsbehörde untersteht, kündigt an: "Wir werden auch in den nächsten Tagen auf die Straßen gehen und unsere Verurteilung ausdrücken." Am Montag soll es eine Demonstration am Brandenburger Tor geben. Auch an einer Großdemo teilzunehmen, wie sie SPD-Chef Sigmar Gabriel vorgeschlagen hat, können sie sich hier vorstellen.

Aus den Äußerungen klingt durch, dass die Nachricht vom Anschlag die deutschen Islam-Funktionäre in einem Moment erreichte, in dem sie eigentlich positiv in die Zukunft sahen. Kızılkaya lobt, dass es nach den ersten Pegida-Demonstrationen "sehr viele besonnene Stimmen in Medien und Politik" gegeben habe. Auf den Gegendemos habe man die Solidarität gespürt, erzählt İhsan Öner von der Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine: "Wir waren in Berlin, Köln, anderen Städten. Wir haben uns sehr stark gefühlt. Bis Mittwoch." Der Anschlag ersticke auch den Jubel über die Bertelsmann-Studie, die der überwiegenden Mehrheit der Muslime bescheinige, sich mit der deutschen Demokratie zu identifizieren, sagt Alboğa von der Ditib.

"Auf Provokationen müsste man verzichten"

Und wie halten es die Vertreter der Islamverbände mit den Mohammed-Karikaturen, die den Mördern von Paris ja als Rechtfertigung dienten? Alboğa sagt: "Alle, die an diesem Tisch sitzen, verteidigen die Presse- und die Meinungsfreiheit. Wir wollen aber auch respektiert werden. Auf Provokationen müsste man verzichten. Wir lieben unseren Propheten." Eine Diskussion über die Position der Verbände zu den Karikaturen halte er derzeit nicht für "förderlich". Klarer äußert sich Ali Kızılkaya vom Islamrat: "Für Terror gibt es überhaupt keine Rechtfertigung, und da gibt es auch kein 'aber'."

Die Pressekonferenz soll auch dem Schutz der Muslime in Deutschland dienen, es geht um den viel zitierten Generalverdacht gegen alle Muslime nach dschihadistischen Anschlägen. Ditib-Vorstand Alboğa sagt, Moscheen sollen keine "Orte der Rache" werden. Mehrmals heißt es, die Gesellschaft dürfe sich nicht "spalten" lassen. Denn dann hätten die Terroristen gewonnen.

Unbeantwortet bleibt die Frage, wie Jugendliche aus muslimischen Gemeinden auf ihrem Weg der Radikalisierung gestoppt werden können. Sie haben keine Lust auf den Islam ihrer Eltern und wenden sich salafistischer Ideologie zu, die Gewalt rechtfertigen kann. İhsan Öner berichtet von besorgten türkischen Eltern, deren Kinder online Propaganda aus arabischen Ländern konsumierten.

Ali Kızılkaya gibt sich machtlos: "Das Erste, was diese Leute tun, ist, dass sie sich von den Gemeinden entfernen." Es gebe für den organisierten Islam also keine Möglichkeit des "Zugriffs" auf die jungen Männer. Da sei die gesamte Gesellschaft gefragt.

Also keine Strategie gegen Radikalisierung? Da entgegnet Kızılkaya etwas spitz: "Hat denn Deutschland eine Strategie gegen Rechtsextremismus, die funktioniert?" Und verschwindet, er muss weiter zu einer spontanen Kundgebung für die Toten von Paris.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: