Deutsche konvertiert zum Salafismus:Plötzlich heiratet sie einen fremden Mann mit Bart

Es klingt wie ein Irrwitz, wie die Flucht vor einer selbständigen Entscheidung für einen Ehemann, vor der Freiheit und dem Leben, das sie kennt. Was Eltern erleben, als ihre 18 Jahre alte Tochter strenggläubige Muslima wird und einen Salafisten zum Mann nimmt.

Roland Preuß

Es gibt dieses Porträtfoto von Ivonne Müllers, es ist nur wenige Jahre alt. Ivonne lächelt breit in die Kamera, die blauen Augen unter den dunkelblonden Haaren fangen den Blick des Betrachters ein. Das ist Ivonnes alte Welt. Die neue ist anders, auch von dieser Welt gibt es ein Foto. Darauf blickt Ivonne streng, die Mundwinkel sind in Merkel'scher Manier nach unten gezogen, Haare, Ohren und Hals von weißem Tuch umschlossen.

So lebt die 21-Jährige heute. Gut möglich, dass Ivonne Müllers nun glücklich ist als konvertierte Muslimin, als junge Frau, die einen orthodoxen Islam lebt, die mit einem Mann verheiratet ist, der einer salafistischen Gemeinde angehört; einer Glaubensrichtung also, die derzeit wegen der Verteilung von Koran-Exemplaren so viel Aufmerksamkeit auf sich zieht. Deshalb wird diese Glaubensrichtung auch die Islam-Konferenz von Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU), die am Donnerstag in Berlin stattfindet, mitbestimmen.

Wie auch immer sich Ivonne fühlt - eines lässt sich mit Sicherheit sagen: Ihren Eltern geht es schlecht. "Das macht mich sehr wütend, zornig, traurig, aber ich bin machtlos", sagt die Mutter, Maike Müllers. "Ich habe meine Tochter verloren - und ich glaube, sie bringt sich selbst um vieles in ihrem Leben." Denn nun scheint der Weg zurück in das alte Leben verbaut und gefährlich zu sein. Wenn Ivonne ihn denn jemals gehen will.

"Ich war gar nicht misstrauisch"

Deutsche Salafisten erscheinen einheimischen Familien weit weg, vollbärtige Kauze huschen manchmal für ein paar Sekunden durch die Nachrichtensendungen. Die strenggläubigen Muslime halten ein Leben nach dem Wortlaut des Koran für das richtige, Vorbild sind die frühen Gefolgsleute Mohammeds. Eine Sekte, so fern wie die arabische Halbinsel. So dachten auch die Müllers. Doch ist dies die Geschichte einer deutschen Mittelstandsfamilie, die nie Berührung mit dem Islam hatte - und nun um ihre Tochter kämpft. Die den Kontakt mit ihr hält, trotz allem, und ihn nicht durch Medienberichte riskieren will. Ivonne Müllers und ihre Familie heißen deshalb in Wirklichkeit anders und wollen auch ihren Wohnort nicht in der Zeitung lesen.

Wie Ivonne ausgerechnet auf den Salafismus kam, können Maike und Karl Müllers nur vermuten. Jede ihrer drei Töchter hat einen eigenen Computer mit Internetanschluss im Zimmer - und dort ersurfte sich Ivonne wohl die ersten Eindrücke. Sie fing an, samstags muslimische Jugendliche zu treffen, da war sie 17. Sie aßen zusammen in der nahen Stadt und redeten, erzählte sie, abends brachte sie ein Paar nach Hause in den Schwarzwald-Ort. Die Eltern dachten sich nicht viel dabei. "Ich habe nicht geahnt, dass da was Schlechtes dahintersteckt", sagt Maike Müllers. Und was lässt sich eine fast volljährige Tochter schon sagen? Sie hat eigene Vorstellungen vom Leben.

Bald zieht es Ivonne immer öfter hinaus, weg aus dem großen Einfamilienhaus, hin zu den neuen Freunden. Familienfeiern müssen hinter dem Moscheebesuch zurückstehen. Die Mutter ist nicht begeistert, der Vater sagt: Wir haben unseren Kindern immer die Entscheidungsfreiheit gelassen. Ivonnes Noten im Gymnasium stimmen, keiner bohrt nach. "Ich war gar nicht misstrauisch", sagt der Vater. Erst als Ivonne mit 18 Jahren zum Islam konvertiert und zum Moscheebesuch ein Kopftuch anzieht, gibt es erste Debatten in der Familie.

Ivonne hat Kontakt mit der "Gemeinschaft deutschsprachiger Muslime". Das klingt nach integrierter Moscheegemeinde, viele Mitglieder sind offenbar in Deutschland aufgewachsen oder aus heimischen Familien. Der Landesverfassungsschutz Baden-Württemberg rechnet den Verein allerdings dem Salafismus zu, was dieser bestreitet.

"Was sind das für Männer?"

Doch die Hinweise sind eindeutig: Vor drei Jahren warb die Gemeinschaft zusammen mit dem salafistischen Star-Prediger Pierre Vogel in der Fußgängerzone um Konvertiten, Anfang Mai ist der einflussreiche Prediger Shaik Abu Anas zum "Seminar" in der Keller-Moschee angekündigt. Auch ihn zählen die Sicherheitsbehörden zum salafistischen Personal.

Ivonne inspiriert der Missionseifer der Muslime, sie will Eltern und Schwestern den Islam nahebringen. Ihre junge Schwester geht einmal mit zu den Treffen, ihre Mutter winkt ab. Ivonne entfernt sich immer mehr von ihren alten Kreisen. Sie wiederholt die 12. Klasse in ihrem Gymnasium, ohne Not, wie ihre Eltern sagen. Deren Einfluss auf die volljährige Tochter schwindet. "Wir konnten nichts machen", sagt Maike Müllers. Es wird sich schon geben, hoffen die Eltern. Ivonne lernt fürs Abitur, will später vielleicht Erziehungswissenschaften studieren und ins Ausland gehen. Da kann sich noch manches verändern.

"Der ist locker und lustig"

Doch dann geht es Schlag auf Schlag. Es gibt zwei Versionen von dem, was vor einem Jahr in den Wochen um Ostern herum passierte. Die von Maike und Karl Müllers lautet so: Ivonne eröffnet den beiden, dass sie heiraten wird. Die Eltern sind baff, weil die Tochter nie einen festen Freund erwähnt, geschweige denn, einen nach Hause gebracht hat. Zudem steht Ivonnes Abitur an. Die Salafisten-Gemeinde hat ihr einen Vormund bestellt und einen Mann ausgesucht. Der Bräutigam ist Maschinenbaustudent, Deutsch-Kurde, im Vorstand des Moscheevereins. Mit ihm habe sie ein paarmal im Beisein eines Dritten gesprochen - und die Hochzeit beschlossen. So habe es Ivonne selbst erzählt, sagt die Mutter.

Es klingt wie ein Irrwitz. Wie die Flucht vor einer selbständigen Entscheidung für einen Ehemann, vor der Freiheit und dem Leben, das sie kennt. Die Eltern reden auf Ivonne ein, holen den Vorsitzenden der örtlichen christlich-muslimischen Gesellschaft hinzu, der sie von ihren Plänen abzubringen versucht. Ivonne aber hat sich entschieden. Die Hochzeit findet zwischen schriftlichem und mündlichem Abitur statt. Maike und Karl Müllers sind nicht eingeladen.

Später wird der Schwiegersohn den Eltern sagen, er habe eine Frau haben wollen, die freiwillig ein Kopftuch trägt. Er selbst trägt einen langen Vollbart und weite Hosen. "Er hat mir bei der Begrüßung nicht einmal die Hand gegeben", sagt die Mutter. "Was sind das für Männer, die solche Frauen haben wollen?" Die Moscheegemeinde reagierte auf Anfrage der SZ nicht zu den Vorwürfen.

Ivonne aber hat eine eigene Version von alldem. Sie antwortet nur knapp per E-Mail, sie habe schlechte Erfahrungen mit der Presse gemacht, es gehe meist nur darum, den Islam verzerrt wiederzugeben. Deshalb lehne sie ein Gespräch ab. Sie habe lediglich ein Gemeindemitglied geheiratet, doch das habe nichts mit der Gemeinde selbst zu tun.

Vergangenes Jahr, als Berichte über den Fall in der Lokalpresse und im Südwestrundfunk liefen, hat sie sich noch ausführlicher erklärt. "Meine Entscheidungen waren alle frei, von der Entscheidung, den Islam anzunehmen, bis hin zur Entscheidung zu heiraten sowie der Entscheidung, wen ich heirate", schrieb sie. Wie die Hochzeit zustande kam, dazu sagt sie nichts. Ivonne beharrt auf ihrem Recht: Jeder dürfe doch seine Religion frei wählen. Den Eltern sei der Islam aber sehr fremd.

Doch Islamgegner sind die Müllers keineswegs. Karl Müllers teilt Christian Wulffs Satz, auch der Islam gehöre inzwischen zu Deutschland. Und mit dem muslimischen Freund der jüngeren Tochter, einem Deutsch-Türken, haben die Eltern kein Problem. "Der ist locker und lustig", sagt die Mutter. Warum also sollten Müllers lügen?

Wahrscheinlich wäre es zum Bruch mit der Tochter gekommen, wenn sich Müllers nicht an Serap Cileli gewandt hätten. Die deutsch-türkische Autorin leitet den Verein Peri, der zwangsverheirateten Frauen hilft, aber auch mehr und mehr Familien wie den Müllers. Man trifft sich in einem Heidelberger Café, Cileli hat ihren Sohn und ihren Mann mitgebracht - zur Vorsicht. Sie ist als Islamkritikerin bekannt, wurde einst selbst zwangsverheiratet, in ihren Vorträgen sitzen Polizisten im Publikum. Einige Familien bedrohten sie, nachdem ihr Verein Frau oder Tochter zur Flucht verholfen hatte.

Ein Fluchtweg für den Notfall

Seit 2008 betreute Cileli nach eigenen Angaben Dutzende Fälle wie Ivonne, bei deutschen Familien konvertierten stets Töchter zum Salafismus. Alle sind sehr jung, zwischen 14 und 21 Jahren. Alle hatten muslimische Freunde. "Wenn die Mädchen bereits konvertiert sind, ist es oft zu spät", sagt sie. Es ist ein ähnliches Strickmuster wie bei anderen Sekten: Salafisten bieten suchenden Jugendlichen eine Orientierung. "Aber sie sind aggressiver und haben andere Ziele." Eines Tages komme die Tochter dann komplett verschleiert nach Hause. Und wenn sie damit glücklich sind? Das glaubt Cileli nicht. Der Mann sei in diesen Familien der Herrscher, die Frauen erlitten Gewalt und Entmündigung. "Irgendwann wachen diese Mädchen auf, nach ein paar Jahren." Deshalb sei es für die Eltern so wichtig, den Kontakt zu halten. Damit die Tochter im Notfall einen Fluchtweg hat, raus aus der Ehe.

Ivonne und ihre Eltern treffen sich derzeit fast wöchentlich. Über Religiöses reden sie nicht. Maike Müllers glaubt nicht, dass ihre Tochter glücklich ist. Sie sei nach der Hochzeit mehrmals krank gewesen. Ihre Tochter schrieb vergangenes Jahr, sie habe "Zufriedenheit im Herzen gefunden". Mittlerweile ist sie schwanger. Auf die Frage, ob sie heute noch glücklich ist, wollte sie der Süddeutschen Zeitung nicht antworten.

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