Waren es Kriegsverbrechen, wie sie damals in den Kolonien dieser Welt häufiger vorkamen? Oder war es der erste Völkermord des 20. Jahrhunderts? Die Bundesregierung windet sich bis heute um die richtigen Worte dafür, was die Soldaten des Kaiserreichs 1904 in der deutschen Kolonie "Südwest-Afrika" angerichtet haben: Zehntausende Herero und Nama wurden erschossen, in die Wüste zum Verdursten getrieben oder starben später, an Entkräftung und Krankheit, in so genannten Konzentrationslagern.
Den Begriff "Genozid" hat Berlin lange peinlich vermieden, auch aus Angst, sich dadurch haftbar zu machen und Entschädigungen an die Nachfahren der Opfer im heutigen Namibia zahlen zu müssen. Inzwischen hat sich die Bundesregierung dazu durchgerungen, das Wort Völkermord zu benutzen, freilich mit dem Zusatz: ein Anspruch auf Reparationen ergebe sich daraus noch lange nicht.
Seit Monaten vollführen die deutsche und die namibische Regierung einen diplomatischen Seiltanz. Sie verhandeln um eine offizielle Entschuldigung, um die Finanzierung von "Zukunftsprojekten" im Gebiet der damaligen Verbrechen. Währenddessen wächst in Namibia der Druck. Denn in dem Land leben bis heute etwa 20.000 Deutschstämmige, viele von ihnen besitzen riesige Ländereien. Zum Beispiel Wilhelm Diekmann.
Er hat seine Jagd-Farm genau auf dem Gebiet, wo 1904 eine der entscheidenden Schlachten zwischen Deutschen und Herero tobte. Seine Vorfahren aus dem Oldenburger Land allerdings waren nicht selbst an den Kämpfen beteiligt; sie kamen erst vier Jahre später und kauften ihr Land der deutschen Kolonialverwaltung ab. Im Rahmen der damaligen Machtverhältnisse hat seine Familie formal korrekt gehandelt, allein deshalb findet Diekmann die Frage, ob man den Herero das Land nicht "zurückgeben" müsse, grundfalsch gestellt.
Diekmann sagt, er sei an "guter Nachbarschaft" interessiert
Die SZ hat Wilhelm Diekmann auf seiner Farm besucht - und zugleich die Herero, die auf der anderen Seite seines Weidezauns der Schlachten und des Massensterbens von 1904 gedenken. Diekmann ist ein freundlicher Mann, er sagt, er sei an "guter Nachbarschaft" interessiert. Schon vor zehn Jahren hat er den Herero einen Hektar seines Farmlandes für eine Gedenkstätte zur Verfügung gestellt. Zu Vekuii Rukoro, einem traditionellen Oberhaupt der Herero, hatte er in der Vergangenheit sogar ein an Freundschaft grenzendes Verhältnis.
Doch inzwischen hält Rukoro auf der anderen Seite des Zaunes flammende Reden, vor immer größerem Publikum - und Wilhelm Diekmann macht sich Sorgen: Wenn die deutsche und die namibische Regierung sich nicht bald einigen, fürchtet er, dann könnten die Herero die Geduld verlieren und sich mit Gewalt holen, was ihnen ihrer Ansicht nach zusteht. Nicht in Berlin, sondern auf seiner Farm.
Namibia und seine Deutschen: Es ist eine komplexe Geschichte. Die Fronten sind verhärtet, aber sie verlaufen nicht immer da, wo man sie auf den ersten Blick vermuten würde.