Süddeutsche Zeitung

Deutsche in Ägypten:Verwirrende Botschaft

In Kairo lebende Deutsche haben Angst, verschanzen sich in ihren Wohnungen und beklagen sich bitter über fehlende Hilfe der Botschaft. Guido Westerwelle hat dafür kein Verständnis: Die Leute sollten dankbar sein für das, was geleistet wird.

K. Prummer und D. Brössler

Sie sind zurück in Deutschland, in Sicherheit, aber immer noch aufgebracht und wütend. Michael Niermann zum Beispiel. "Die Deutsche Botschaft hat sich einfach nicht gekümmert, es gab keine Informationen, nichts", sagt er. Niermann ist einer von etwa 5000 Deutschen im Großraum Kairo, die nicht Urlaub gemacht haben in Ägypten, sondern länger dort leben. Ingenieur Niermann, 45, arbeitete seit einem Jahr für eine deutsche Firma in Kairo am Bau einer Metrolinie. Wie viele andere wollte er Ende vergangener Woche nach Hause, als die ganze Nacht in der Straße geschossen, das Internet abgeschaltet wurde, als er nichts mehr zu essen kaufen konnte. Dass er es bis Gelsenkirchen geschafft hat, verdanke er den Österreichern, sagt er. Die Deutschen hätten ihn im Stich gelassen.

Es häufen sich die Klagen, die an Zeitungen, in Internetforen, an das Auswärtige Amt geschrieben werden. Ihr Tenor: Die Deutsche Botschaft hat uns nicht ernst genommen mit unserer Angst, andere Länder bieten viel mehr Hilfe und Informationen an. "Wenn ich auf die Botschaft gehört hätte, säße ich noch immer verbarrikadiert in meiner Kairoer Wohnung", sagt Maika Krämer, 39. Sie war neun Jahre lang Physiotherapeutin in Kairo. Ihre Wohnung liege im Stadtteil Maadi direkt neben einem Gefängnis, aus dem Gefangene freigelassen wurden. Nur die Bürgerwehr, zu der sich die Nachbarn zusammengeschlossen haben, habe sie geschützt.

Mehrmals am Tag habe sie mit der Botschaft telefoniert und zu erfahren versucht, ob es in anderen Teilen der Stadt auch so schlimm ist; ob man über die Botschaft Flüge buchen kann; ob die Maschinen überhaupt nach Plan fliegen. "Wissen wir nicht" und "Nein" hätten die Antworten gelautet, sagt Krämer. Und da der Flughafen unsicher sei: Bleiben Sie ruhig und in Ihrer Wohnung.

Krämer und Niermann sagen, sie wissen, dass niemand so ein Chaos vorhersehen konnte. Sie wissen, dass niemand verlangen kann, sofort abgeholt und ausgeflogen zu werden. Aber, sagt Maika Krämer: "Sie müssen meine Ängste ernst nehmen und mir das Gefühl geben, dass sie helfen wollen." Stattdessen sei ihre Furcht vor Plünderern ins Lächerliche gezogen worden. Schauen Sie mal durchs Fenster auf die Straße, sehen Sie Plünderer? So sei sie gefragt worden. Nein? Na also, nichts als Gerüchte. "Sie haben die Lage unterschätzt und tun es bis jetzt noch", sagt sie.

Das weisen die deutschen Diplomaten zurück, allen voran ihr Chef. "Wir haben da Frauen und Männer in der Botschaft, die nicht ausreisen, sondern die da sind und dafür sorgen, dass Schritt für Schritt auch die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes zu den Flughäfen kommen", sagte Außenminister Guido Westerwelle in der ARD. Da solle man auch mal "dankbar sein für das, was da geleistet wird". Für besonders viel böses Blut sorgte der Fall einer deutschen Schule in Alexandria. Ein Lehrer klagte, die Botschaft in Kairo habe erst reagiert nach einem Hilferuf via "Tagesthemen". Man habe am Montag ein Team mit fünf Diplomaten nach Alexandria geschickt, argumentiert das Auswärtige Amt - "unter Inkaufnahme eigener Gefahr für Leib und Leben", wie Westerwelle sagt.

Es sei nicht leicht, Deutschen im ganzen Land zu helfen, sagen die Diplomaten. Schließlich gebe es eine deutsche Vertretung nur in Kairo. Mittlerweile aber seien Beamte in mehrere Orte geschickt worden, etwa nach Hurghada und Luxor. Tausende Deutsche seien, zum Teil mit Botschaftshilfe, schon ausgereist. Man sehe an anderen Ländern, dass man es besser organisieren könne, sagt Maika Krämer. Eine spanische Bekannte sei per SMS immer wieder von ihrer Botschaft über die Lage informiert worden. Krämer fand über Freunde schließlich eine funktionierende Telefonleitung zu ihren Eltern nach Deutschland, die buchten ein Flugticket, faxten es in ein Hotel in Kairo, nahe ihrer Wohnung. Ägyptische Freunde organisierten einen Konvoi und brachten sie am Dienstag, am Tag, bevor die Gewalt eskalierte, zum Flughafen. Ingenieur Michael Niermann wagte ohne Ticket die gefährliche Route zum Flughafen. "Ich hatte das große Glück, einen Österreicher zu finden", sagt er. Der Botschaftsmitarbeiter füllte die Maschine nach Wien erst mit Österreichern. Auf den freien Plätzen durften schließlich Niermann und etwa zwölf weitere am Flughafen gestrandete Deutsche Platz nehmen.

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SZ vom 04.02.2011/segi
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