Deutsche im syrischen Bürgerkrieg:"Mein Mann ist ein Schahid"

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Als gut gelaunter Mann in Outdoor-Jacke, mit muskulösen Oberarmen und breiter Brust verlässt der Deutsch-Tschetschene Aslanbek F. seine Familie. In Richtung Syrien, wo er seine muslimischen Brüder im Kampf gegen Assad unterstützen will. Wenige Wochen später ist er tot.

Von Jan Liebold und Volkmar Kabisch, NDR

Es ist das letzte Zeugnis, ein kleines Foto im Hochkantformat: Auf einem eilig zusammengezimmerten Holztisch liegt der leblose Körper eines jungen Mannes; blasse Haut, leuchtend roter Bart und sorgsam in eine Decke gewickelt. Um ihn herum stehen Männer in voller Kampfmontur und schwarzen Sturmhauben. Einer beugt sich über den Leichnam. Um sie herum ist es dunkel. Der grelle Lichtkegel einer Taschenlampe scheint auf das Gesicht des Toten. Es ist der Deutsch-Tschetschene Aslanbek F., geboren 1981.

Wenige Tage nach der Aufnahme wäre er 32 Jahre alt geworden. Doch stattdessen ist er als "Heiliger Krieger" im Bürgerkriegsland Syrien gefallen. Das bestätigen deutsche Sicherheitskreise gegenüber dem NDR-Politikmagazin Panorama 3 ( hier der Link zur Berichterstattung des NDR).

Zuletzt hatte der Mann mit russischem Pass viele Jahre in der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt Kiel gelebt. Doch Aslanbek F. hat sich offenbar gegen die norddeutsche Provinz, für ein anderes Leben entschieden. Mit acht weiteren Personen, über deren Identität deutsche Behörden nur spekulieren können, macht er sich Ende Dezember 2012 auf den Weg nach Syrien. Die Reise durch die Türkei dauert vier Wochen. Ob es sich bei den "Heiligen Kriegern" um zufällige Bekanntschaften handelt, daran glauben Sicherheitskreise nicht. Wahrscheinlicher ist, dass es sich um ein organisiertes Netzwerk handelt, dem sich Aslanbek F. anschloss.

Offenbar will er an der syrischen Front seine muslimischen Brüder unterstützen - gegen "den Feind der Muslime", Staatspräsident Baschar Al-Assad. Doch schon wenige Tage nach seiner Ankunft im Bürgerkriegsgebiet stirbt der Sohn tschetschenischer Einwanderer allem Anschein nach an einer Schussverletzung. Es ist der Morgen des 24. Januar. Noch am gleichen Tag wird der Leichnam bestattet. So will es die muslimische Vorschrift.

Aslanbek F. ist einer der ersten Männer aus Deutschland, der im Krieg in Syrien fällt.

Ein typisch norddeutscher Klinkerbau

Rund 3.000 Kilometer trennen ihn nun von seiner Familie in Kiel-Wellsee. Das Mehrfamilienhaus, in dem er mit seiner Frau und Kindern gelebt hat, ist ein typisch norddeutscher Klinkerbau. Die Nachbarschaft im Viertel ist gemischt. Viele Deutsche leben hier, aber auch Türken, Russen und Polen. Die Wohnungstür von Familie F. öffnet Karina, Aslanbeks Ehefrau. Sie ist Ende zwanzig, trägt die "Abaja", das schwarze Tuch der Muslima, das sie von Kopf bis Fuß umhüllt. Nur ihr Gesicht ist unbedeckt. "Ja, Aslanbek ist tot", bestätigt sie Panorama 3. Sie habe die Nachricht von einem Freund der Familie erhalten. Die junge Frau wirkt überraschend gefasst. Aus der Wohnung sind Kinderstimmen zu hören.

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Ihr Ziel ist die Errichtung eines islamischen Staates: Die in Syrien operierende Al-Nusra-Front holt sich schlagkräftige Unterstützung und schließt sich mit dem irakischen Al-Qaida-Ableger zusammen. Auch die USA wollen sich in Syrien einmischen.

Dann bittet sie herein. Drei Zimmer, Küche, Bad. Eine aufgeräumte, saubere Wohnung, im russischen Stil eingerichtet; Teppiche, schwarze Ledercouches, bunte Ornamenttapete. In einem Zimmer spielt der älteste der vier Söhne auf der Playstation ein Kriegsspiel. Die anderen Söhne schauen fern. Der kleinste, Khalid, greift ständig nach dem Smartphone der Mutter, ist beleidigt, wenn man es ihm wegnimmt.

Die Familie sei vor zehn Jahren gemeinsam aus Tschetschenien nach Deutschland gekommen, noch in der Heimat hätten sie geheiratet, erzählt Karina auf Russisch. "Das Leben in Schleswig-Holstein ist gut, tausendmal besser als Tschetschenien", sagt sie. Zwar habe ihr Mann keine regelmäßige Arbeit gehabt in Deutschland, nur gelegentlich habe er als Gerüstbauer gearbeitet. Trotzdem sei man hier zufrieden gewesen.

Warum ist Aslanbek nach Syrien gegangen? Auf diese Frage will Karina keine rechte Antwort kennen. "Er wollte den Menschen nur helfen, Medikamente verteilen für die Verwundeten", ist sie überzeugt. Von Kampf oder Krieg habe er nie gesprochen. "Aslanbek ist ein guter Mensch!". Er könne keinem Menschen etwas Schlechtes antun. Am heimischen Computer habe er die Tickets für einen Flug in die Türkei gebucht. Am 28. Dezember sei es schließlich losgegangen. Ein Freund habe Aslanbek auf den Hamburger Flughafen gebracht. Dann zeigt Karina das Foto ihres toten Mannes auf dem Computer. Auch der zweijährige Khalid sieht das Bild des toten Vaters auf dem Bildschirm. Eine bizarre Situation.

Außerdem zeigt Karina ein Handyvideo, das offenbar kurz vor seinem Abflug aus Deutschland aufgenommen wurde. Darin ein gut gelaunter Mann in Jack-Wolfskin-Jacke; muskulöse Oberarme, breite Brust, der rote Bart umschließt fast strahlend das kantige Gesicht. In dem Video macht er Witze, beinahe ausgelassen. Angst oder Nervosität vor dem Flug ins Ungewisse scheint er überhaupt nicht zu spüren. Karina hat das Video immer wieder angeschaut, vielleicht trösten sie die verwackelten Bilder vom "lächelnden" Aslanbek ein bisschen über das Foto seines Leichnams hinweg.

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Das Terrornetzwerk al-Qaida lockt Erkenntnissen des deutschen Auslandsgeheimdienstes BND zufolge immer mehr syrische Rebellen an. BND-Präsident Gerhard Schindler zufolge hat Machthaber Assad kaum eine Chance, den Kampf gegen die Aufständischen zu gewinnen.

Dem jüngsten Sohn Khalid hat sie erzählt, dass sein Vater schlafen würde, dem ältesten, dass Aslanbek bei Allah im Paradies sei. Natürlich sei es schwer für sie und die Kinder, sagt sie. Aber trotz des Schmerzes tröste sie der Gedanke, dass Aslanbek für eine gute Sache gestorben sei. Schließlich habe er den Menschen helfen wollen, wiederholt sie. Das sei besser, als tatenlos in Schleswig-Holstein zu sitzen. "Mein Mann ist gestorben. Jetzt ist er ein Schahid." Ein Märtyrer, sagt sie lächelnd. Darauf ist Karina stolz, sie lässt keinen Zweifel daran.

Schon zwei Tage nach der Nachricht vom Tod ihres Mannes seien Besucher aus ganz Europa bei ihr gewesen, Menschen aus Norwegen, Spanien und Frankreich hätten kondoliert. "Das Wohnzimmer war voll", erinnert sie sich. Wie es jetzt weiter gehe mit den Kindern und ihr, das kann Karina nicht sagen. Noch ist sie Russin, im Mai will sie aber die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen. Sie hofft auf die Hilfe des Staates, im Moment lebt sie vor allem vom Kindergeld. Gänge zum Amt fallen ihr schwer. Das hat früher alles ihr Mann gemacht. Doch nach seinem Tod muss sie das selbst erledigen. Und es gibt Probleme, denn sie hat keinen Totenschein von Aslanbek F. Und solange der nicht vorliegt, kommt sie nicht an das Konto heran.

Bowlingcenter und Gebetshaus

Früher, wenn sich Aslanbek nicht um die Familie kümmerte, dann ging er nach Informationen der Sicherheitsbehörden in die "Ibnu Taymiyya Moschee" in Kiel. Seit Jahren schon wird die Gemeinde vom Verfassungsschutz beobachtet. Neben einem Bowlingcenter liegt das zweigeschossige Gebetshaus. Oben beten die Frauen, unten ist reichlich Platz für die Männer. Von außen erinnert der Backsteinbau an einen Supermarkt wie er überall in Deutschland zu finden ist. Automatisch öffnet sich eine Glastür beim Betreten. Wer in den eigentlichen Gebetsraum gehen will, muss hier seine Schuhe in eines der vielen Regale stellen.

Am Freitagmittag ist viel Betrieb. Rund einhundert Gläubige haben sich versammelt. Viele tragen eine "Dschalabijja", das traditionelle islamische Gewand. Doch angesprochen auf Aslanbek F. werden plötzlich alle einsilbig. "Den kenne ich nicht", streiten sie ab. Und einen langen Bart hätten die meisten. Das ist merkwürdig. Denn in der Kieler Islamistenszene hat sich längst herumgesprochen, dass Aslanbek F. in Syrien gestorben ist.

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Sie sind meist jung, muslimisch - und wollen das Regime von Baschar al-Assad stürzen. Tausende Muslime aus der ganzen Welt sind nach Syrien gereist, um dort im Bürgerkrieg zu kämpfen. Auch Deutsche sollen vor Ort sein.

Es sind Moscheen wie die Ibnu Taymiyya in Kiel, die Experten zufolge als "Durchlauferhitzer" gelten und junge Männer dazu bringen in den "Heiligen Krieg" zu ziehen.

Syrien gilt derzeit als Ziel Nummer Eins für deutsche Dschihadisten. Laut einer neuen Studie des renommierten britischen Instituts "International Centre for the Study of Radiclisation" (ICSR) kämpfen derzeit bis zu 40 Deutsche im syrischen Bürgerkrieg auf Seiten islamistischer Rebellen. Etwa jeder Zehnte ausländische Kämpfer stamme aus Europa. Da wirkt es fast wie ein Wunder, dass im dritten Jahr des Krieges erst einer aus Deutschland starb. Doch Aslanbek F. aus Kiel wird sicher nicht der letzte gewesen sein. Davon sind deutsche Sicherheitsbehörden überzeugt.

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