Deutsche Geschichte:Ursache und Wirkung

Warum die Matrosenaufstände von 1918 heute Streit auslösen.

Von Peter Burghardt

Mit der deutschen Geschichte sollte man allgemein sorgsam umgehen. Im Norden gilt das derzeit besonders für den Matrosenaufstand vom November 1918. Ein Jahrhundert ist es jetzt her, da sich in Wilhelmshaven und Kiel Besatzungen ihrer kaiserlichen Marineführung widersetzten. Arbeiter schlossen sich an, die Monarchie stürzte, es begann die Weimarer Republik. Die Matrosen kämpften für Freiheit und Demokratie, an den Küsten wird das Jubiläum groß gefeiert. Die Erinnerung daran prägt das Selbstverständnis an Nord- und Ostsee bis heute, dem Süden der Republik mag das Ereignis vergleichsweise fern sein.

Der Matrosenaufstand füllt Bücher, Filme, Debatten. Der ARD-Dreiteiler "Krieg der Träume" begann kürzlich mit der Meuterei. Die Geschichten erzählen von mutigen Soldaten, die sich am Ende eines verlorenen Ersten Weltkriegs mit 17 Millionen Toten erhoben und die Novemberrevolution einleiteten, weil sie den Wahnsinn von Reich und Generälen stoppen wollten. In Kiel gibt es einen Platz der Kieler Matrosen, Stelen, Denkmäler, Gedenkstätten. Muss man da ein unglückliches Vorwort in der Broschüre "Demokratischer Aufbruch im Nordwesten" der Oldenburgischen Landschaft, einer Kultur- und Geschichtsvereinigung, beachten?

Die Revolution 1918/19 sei Neubeginn gewesen, liest man dort. "Zugleich aber barg sie den Keim kommenden Unheils in sich." Der Autor: Björn Thümler, CDU, Niedersachsens Minister für Wissenschaft und Kultur. Stefan Wenzel war überrascht. Der Grünen-Politiker, früherer niedersächsischer Umweltminister, schrieb dem Autoren einen Brief. Wenzel findet, das sei Geschichtsverdrehung. Das Grußwort klinge so, als ob die Matrosenaufstände die Ursache der Radikalisierung gewesen seien und nicht der Krieg des Kaiserreichs. Das passe zur Dolchstoßlegende. Er bat um Antwort und Korrektur. Die Antwort kam, der Kulturminister rudert zurück. Er wolle die Wurzel für das Weimarer Scheitern selbstverständlich nicht in den Matrosenaufständen suchen, so Thümler. "Mit dem Keim kommenden Unheils" meine er "vielmehr die Gesamtsituation 1918/19".

Das Programmheft ist aber schon gedruckt. Und die Episode zeigt, wie schnell die Debatte heikel werden kann. Eine Kieler Ringvorlesung trägt diesen Titel: "Die Große Furcht. Revolution in Kiel. Revolutionsangst in der Geschichte." Schleswig-Holsteins Landtag hat einen Gedenkmonat ausgerufen. Vielleicht wird auch mal wieder darüber nachgedacht, wieso zum Beispiel der Bahndamm nach Sylt immer noch Hindenburgdamm heißt, Hindenburg war kein Freund der Rebellen.

Die Diskussion über die Vergangenheit hat auch mit der Gegenwart zu tun. Wobei Rechtspopulisten in Schleswig-Holstein und Niedersachsen vergleichsweise eine Nebenrolle spielen. In Kiel regiert Deutschlands einziges Jamaika-Bündnis, angeführt vom CDU-Aufsteiger Daniel Günther. In Niedersachsen ist eine bisher stabile Groko am Werk, sogar geleitet von der SPD. CDU-Thümler schrieb dem Grünen Wenzel, man liege "wahrscheinlich nicht weit auseinander". Und es sei doch mit Blick auf Weimar wichtig, "dass alle demokratischen Kräfte unsere offene Gesellschaft gegen ihre Feinde zu verteidigen bereit sind."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: