Süddeutsche Zeitung

Deutsche Geschichte:Die überforderte Nation

Die Reichseinigung und der Aufstieg Deutschlands zur Großmacht brachten tiefe Verunsicherung mit sich. Das Gleiche geschah, wenn auch aus anderen Gründen, nach 1989. Warum? Das erklärt der Historiker Ulrich Herbert in seinem neuen Buch. Auszüge aus einem SZ-Gespräch.

Von Franziska Augstein

Der Freiburger Historiker Ulrich Herbert hat sich schon viele Meriten erworben. Sein Buch über deutsche Ausländerpolitik war ebenso erfolgreich wie seine diversen Studien über Themen des Nationalsozialismus. Demnächst erscheint im Verlag C. H. Beck sein 1500 Seite dickes Opus Magnum: "Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert".

Im Gespräch mit der SZ erläutert Ulrich Herbert Brüche und Konstanten in der deutschen Geschichte seit dem Kaiserreich. Kaum daß das Kaiserreich 1871 gegründet worden war, machte sich große Staatsgläubigkeit bei den Deutschen breit. Das lag laut Herbert vor allem daran, dass das neue Reich so erfolgreich war.

Er besaß einen erstklassigen Verwaltungsapparat, eine für jene Zeit avancierte Sozialgesetzgebung, und ökonomisch standen nur die Vereinigten Staaten von Amerika besser da. Der Nachteil des neuen Zutrauens der Deutschen zu sich selbst habe indessen auch zu großer Verängstigung geführt: Insbesondere das Bürgertum erging sich in Zweifeln an der Moderne.

Fall aus großer Höhe

Nach dem Ersten Weltkrieg sei das unterlegene Deutschland dann aus großer Höhe sehr tief gefallen. Das bedeutet laut Herbert aber nicht, dass alles verloren gewesen wäre. In jener Zeit begannen die Staaten aller Welt "in wirtschaftlichen Großräumen" zu denken: "Japan hat sich ein ostasiatisches Reich aufgebaut. Italien versucht das gleiche in Nordafrika. Und die Deutschen, nicht nur die Nazis dachten: wir brauchen ein blockadesicheres Hinterland."

In Gestalt der Balkanstaaten habe man das in den 30er Jahren auch gehabt. Die weitere Expansion nach Osten, bis in die Sowjetunion hinein, sei nur logisch gewesen. Und, so Herbert im SZ-Gespräch: "Mit friedlichen Mitteln betrieben, hätte das womöglich sogar funktionieren können."

Stattdessen habe das Dritte Reich die Aufrüstung auf Pump betrieben. Statt die Staatsfinanzen zu konsolidieren, habe Adolf Hitler die Aufrüstung aber noch forciert. Nach dem gelungenen Sieg, so die Idee, hätten die unterworfenen Staaten für die deutschen Schulden aufkommen sollen.

Die Judenvernichtung beschreibt Herbert im SZ-Interview als einen Prozess, der sich Schritt für Schritt entwickelte. Bis zum Herbst 1941 "waren schon so viele Menschen ermordet worden", dass Hitler und seine Umgebung die Endlösung womöglich "gar nicht mehr als so entscheidende Veränderung" wahrnahmen.

Das deutsche Wirtschaftswunder, das in den frühen 50er Jahren einsetzte, führt Herbert auf zwei Umstände zurück. Zum einen auf den Marshallplan: Der sei von den Amerikanern aber nicht in erster Linie zum Wohl er Deutschen aufgelegt worden. Vielmehr sei es ihnen darum gegangen, Europa ökonomisch wieder auf die Beine zu bringen.

Ohne das westdeutsche Wirtschaftspotenzial sei das aber nicht möglich gewesen, weshalb auch die Westdeutschen in den Genuss der Finanzhilfen des Marshallplans kamen. Zum anderen führten der Korea-Krieg und die dadurch ausgelöste Angst dazu, dass westliche Länder massiv aufrüsteten. Die Westdeutschen hingegen, denen es damals noch verboten war, Rüstungsgüter zu produzieren, verlegten sich nun auf die Produktion von Konsumgütern - mit viel Erfolg.

So wie das 20. Jahrhundert begonnen habe, sagt Herbert im Interview, habe es auch geendet: Mit einer Überforderung der Deutschen. Die deutsche Einigung habe zu großen wirtschaftlichen Problemen geführt. "Die Globalisierung führte zu einer rapiden Umstrukturierung auch der westdeutschen Wirtschaft, auf die die deutsche Politik keine Antwort hatte". Auch die Europäische Währungsunion sieht Herbert als Teil des Transformationsprozesses, der noch lange nicht abgeschlossen sei.

Das vollständige Interview lesen Sie in der Süddeutschen Zeitung vom 22.04.2014 und in der SZ-Digital-App auf iPhone, iPad, Android und Windows 8.

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