Nicht selten haben Geheimdienstler von Berufs wegen Pech. "Von den drei Optionen des Gegners, die du kennst, nimmt der für gewöhnlich die vierte", beschrieb Ende der Neunzigerjahre ein hochrangiger US-Nachrichtendienstler vor einem Kongressausschuss den Behördenalltag. Er hatte die Erkenntnis bei dem Generalfeldmarschall Helmuth von Moltke stibitzt.
Auch fehlt es oft an der gesellschaftlichen Anerkennung; insbesondere der anderer Sicherheitsfachleute: "Möge Gott ihm lohnen, was die Menschen versäumt haben" - dieser Spruch, der angeblich von US-Präsident George Washington stammt und in dem 1821 erschienenen Klassiker "The Spy" verarbeitet wurde, ist schon manchem toten Agenten hinterhergerufen worden.
Aber wie soll es mit der Anerkennung etwas werden, wenn die Nachrichtendienstler nicht erkennen, wie andere Spionageorganisationen funktionieren und wenn sie nicht prüfen, wer die Möglichkeiten und die Chuzpe haben könnte, in Deutschland die Kanzlerin abzuhören?
Das Erstaunen der Berliner Regierenden über die Aggressivität der amerikanischen Dienste in diesen Tagen mag Heuchelei sein. Das Ignorieren, Wegreden, Beschwichtigen im Wahlkampf war peinlich genug, aber handwerklich versagt haben diejenigen, die eigentlich für die Spionageabwehr zuständig sind: die Geheimen, allen voran das Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln, in deren zuständiger Abteilung 4 sich mehr als hundert Mitarbeiter um Spionageabwehr kümmern.
Abwiegelnde Gefahrenabwehrer
Circa 5000 Verfassungsschützer arbeiten für die Apparate im Bund und in den 16 Bundesländern, und zu den Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden gehört nach dem Bundesverfassungsschutzgesetz die "Sammlung und Auswertung von Informationen" über verfassungsfeindliche Bestrebungen und andere Gefahren, aber die Spionageabwehr ist eine klassische Aufgabe eines Nachrichtendienstes.
Im Fall der US-Botschaft und im Abhörfall Merkel besteht das Versagen der Geheimen nicht darin, dass sie Pech hatten oder die falsche Option beim Gegenüber vermuteten. Das Problem ist, dass sie arglos und überfordert waren. Sie hatten keine Ahnung, was im eigenen Land passierte. Als neulich in den Blättern stand, die deutschen Sicherheitsbehörden hätten mit einem Hubschrauberflug geprüft, ob beim US-Konsulat in Frankfurt verdächtige Antennen auf dem Dach stehen, wiegelten deutsche Sicherheitsfachleute ab: falscher Alarm, alles Routine, kein Verdacht.
Jetzt erklären Regierungsvertreter in Berlin, die NSA verfüge halt über technische Möglichkeiten, die die deutschen Kollegen nicht hätten. Das mit der Technik mag stimmen, aber wichtiger ist, dass die deutschen Dienste im Fall der Amerikaner nicht einmal ansatzweise abwehrbereit und total vertrauensselig waren.
Als in den vergangenen Wochen kritische Fragen nach der Arbeit von US-Diensten in Deutschland gestellt wurden, wiegelten ausgerechnet die Gefahrenabwehrer ab: Die Amerikaner seien alliierte Partner, Freunde. Die Zusammenarbeit sei vertrauensvoll. Wenn US-Dienste in Deutschland spionieren wollten, bräuchten sie die Zustimmung der Deutschen.