Mit leicht euphorischer Grundstimmung über das so wunderbar systematische und berechenbare deutsche Recht intonierte der Deutsche Richtertag kürzlich in Weimar ein Thema, das die Juristenschaft seit geraumer Zeit umtreibt: den Rechtsexport, diesmal in einer deutsch-französischen Variante - um sich als Kontinentaleuropäer gegen die agile US-Konkurrenz besser aufzustellen.
Die Erfahrungen auf diesem Terrain reichen schon viele Jahre zurück. 1992 rief der damalige Bundesjustizminister Klaus Kinkel die "Deutsche Stiftung für internationale rechtliche Zusammenarbeit", kurz IRZ, ins Leben. Die mit inzwischen 45 Mitarbeitern vergleichsweise schlanke Organisation sollte den rechtsstaatlichen Aufbau in Osteuropa unterstützen - kräftig unterstützt vom Richterbund sowie den Kammern und Verbänden der Rechtsanwälte und Notare.
Erfahrungen, die nun einem Engagement auf neuem und noch unbekanntem Terrain zugute kommen: Nach dem Umbruch in Nordafrika hat die IRZ erste Bande nach Ägypten und Tunesien geknüpft. In Kairo gab es bereits Vorgespräche mit den Anwaltsverbänden. Geplant ist erstmal eine Veranstaltung zum Berufsrecht. Wie es weitergeht, wird sich entscheiden, sobald - das ist üblich - ein offizielles Komitee des federführenden Ministeriums für Justiz dorthin gereist ist. "Wir müssen herausfinden, welche Rechtsgebiete die Ägypter interessieren", sagt IRZ-Chef Dirk Mirow.
Denn natürlich ist den juristischen Entwicklungshelfern, die den Rechtsstaat zum Keimen bringen wollen, die Gefahr bewusst, dass man rasch als Kolonialmacht wahrgenommen werden kann. Ein Gedanke, der ja nicht fernliegt: Rechtsexport ist nicht nur altruistisch motiviert. Gerade hinter dem Versuch, wirtschaftsrechtliche Strukturen zu etablieren, stehen ökonomische Exportinteressen. Deshalb versucht die IRZ, bevor sie Antworten liefert, zunächst die Fragen zu identifizieren.
Die Interessensgebiete der potenziellen "Importeure" sind vielfältig und manchmal überraschend. Staatliche Strukturen stoßen häufig auf Interesse: Der Exportschlager ist das deutsche Verfassungsgericht. In Polen oder Litauen zitieren die Richter eifrig dessen Urteile. Auch das inzwischen europäisierte Grundrechtssystem steht oben auf der Liste. Kaum nachgefragt ist dagegen der deutsche Föderalismus, auch die schwache Position des deutschen Bundespräsidenten findet wenig Nachahmer; in Zentralasien zum Beispiel schätzt man starke Präsidialsysteme.
Dazu kommen die Spezialgebiete: Der türkische Oberste Gerichtshof etwa tauscht sich mit dem Bundesgerichtshof über Straf- und Prozessrecht aus. In Sankt Petersburg organisierte die IRZ eine Konferenz zum Thema Korruptionsbekämpfung - und stieß auf große Offenheit von russischer Seite. Und Ende des Jahres 2010 dozierten deutsche Experten vor syrischen Anwälten über Bank- und Wertpapierrecht.
Angelika Nußberger, inzwischen Richterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, hat für ihr Spezialgebiet Osteuropa immer wieder darauf hingewiesen, dass man den Ländern Rechtssysteme nicht überstülpen kann: "Man benötigt sehr viel Kenntnis der Kultur, um die Probleme abschätzen zu können", lautet ihr Fazit. Umso mehr wird dies eine zentrale Schwierigkeit im Umgang mit den islamischen Ländern Nordafrikas sein. Gleiche Rechte für Frauen, Minderheitenschutz für Homosexuelle: Bei derart heiklen Fragen werden ausländische Rechtsberater allenfalls mit möglichst offenen Formulierungen ins Rennen gehen und mit Vertrauen in die demokratische Entwicklung des jeweiligen Landes. Wobei zwischen Tunesien und Ägypten beträchtliche Unterschiede bestehen.
Mit Tunesien gestalte sich die Zusammenarbeit schon deshalb sehr viel einfacher, weil die dortigen Spitzenjuristen meist in Frankreich studiert hätten, sagt Thomas Markert, Generalsekretär der Venedig-Kommission des Europarats. Mit Hilfe der Türkei seien bereits Kontakte geknüpft worden, derzeit laufe die Unterstützung für die Organisation der Wahl im Juli an. Die Annäherung an Ägypten verlaufe dagegen deutlich verhaltener. Gut möglich, dass sich der Staat am Nil, dessen Verfassung die Scharia als Rechtsquelle nennt, am Ende eher am Modell Indonesiens orientiere als an europäischen Vorbildern.
Die Erfahrung mit Osteuropa lehrt auch: Immer wieder müssen Mitarbeiter und Referenten der IRZ mit Funktionären zusammenarbeiten, deren rechtsstaatliche Festigkeit eher fragwürdig ist. Wenn die Situation kippt, wie kürzlich in Weißrussland, dann zieht sich die Stiftung zurück. Ansonsten müht man sich, auch mit den fortschrittlichen Kräften zu sprechen, die sich noch etwas Unabhängigkeit vom jeweiligen Regime bewahrt haben in der Hoffnung, dass die Saat irgendwann aufgeht.
So ist die Arbeit der Rechtsberater immer ein Unternehmen mit ungewissem Ausgang. Welch phantasievolle Adaptionen europäischer Vorstellungen der kulturelle Eigensinn hervorbringen kann, konnte eine deutsche Delegation vor Jahren bei einem Besuch im Oberlandesgericht Peking besichtigen. Dort hing ein Raum voller Monitore, auf denen man die laufenden Verhandlungen in sämtlichen Gerichten des Bezirks verfolgen und gegebenenfalls sofort eingreifen konnte. Dies diene der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, verkündete ein chinesischer Jurist stolz seinen Gästen aus Deutschland - jenem Land, in dem die richterliche Unabhängigkeit nicht einmal feste Arbeitszeiten erlaubt.