Deutsche Ermittlungen im NSA-Skandal:Im Zweifel für die Staatsräson

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"Abhören von Freunden, das ist inakzeptabel". Das Dach der US-Botschaft in Berlin (vorne) ist nur 350 Meter Luftlinie vom Bundeskanzleramt entfernt. (Foto: Wolfgang Kumm/dpa)

Wenn Paragraf 153d der Strafprozessordnung angewandt wird: Warum es wohl kein Verfahren in der NSA-Affäre geben dürfte - selbst wenn die Bundesanwaltschaft wollte.

Von Hans Leyendecker

Für einen Anfangsverdacht, der ein Ermittlungsverfahren auslöst, braucht es normalerweise nicht viel. Jedes Jahr werden in Deutschland rund sechs Millionen Strafverfahren eingeleitet - und die allermeisten Verfahren werden nach einer Weile geräuschlos eingestellt. In seltenen Fällen haben Staatsanwaltschaften vorher ausgelotet, was aus dem Anfangsverdacht mal werden könnte.

Das ist bei der Karlsruher Bundesanwaltschaft, die Sonderzuständigkeiten hat, anders. Die Behörde prüft zunächst, ob sie überhaupt befugt ist, zu ermitteln und erst dann beschäftigt sie sich mit dem Anfangsverdacht und möglichen Folgen.

Mit viel Aufwand geht die Behörde seit Monaten der Frage nach, ob das angebliche Abhören des Handys der Kanzlerin durch amerikanische Agenten und die angebliche massenhafte Überwachung von Telefonaten und E-Mails von Millionen deutscher Staatsbürger einen Anfangsverdacht wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit begründen oder nicht. Die Behörde hat zwei "Beobachtungsvorgänge" angelegt und nimmt den Fall nach eigenem Bekunden "sehr ernst".

Generalbundesanwalt Harald Range hat in dieser Angelegenheit häufiger in Berlin mit Entscheidungsträgern gesprochen und den Fall diskutiert. Range habe "bislang in keinem der beiden Vorgänge eine abschließende Entscheidung treffen können", erklärt ein Sprecher der Behörde.

Auch liegt noch kein sogenannter Absichtsbericht seiner Behörde im Bundesjustizministerium vor. Der Fall ist noch nicht zu Ende ermittelt. Es stehen noch Antworten anderer Behörden aus.

Der Spiegel berichtet jetzt unter Verweis auf Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD), Range erwäge, in der Handy-Affäre ein Ermittlungsverfahren zu eröffnen, was die Amerikaner als Affront auffassen würden. Ein deutsch-amerikanisches Zerwürfnis drohte. Maas hatte über Ranges angebliche Pläne mit Vizekanzler Sigmar Gabriel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier gesprochen - alle drei Sozialdemokraten sollen der Meinung gewesen sein, Karlsruhe müsse darüber allein entscheiden. Die Politik müsse sich da raushalten. Das sieht vermutlich die Kanzlerin genauso.

Drei Möglichkeiten - eine ist am wahrscheinlichsten

Aktuell gibt es noch immer drei Möglichkeiten. Erste Möglichkeit: Karlsruhe verneint den Anfangsverdacht. Dafür spräche, dass die Beweismenge für eine "gesicherte Tatsachengrundlage" (Bundesanwaltschaft) nicht gerade überwältigend ist. Es gibt ein Dokument des Whistleblowers Edward Snowden mit den Daten des Handys der Kanzlerin. Diesem Papier ist zu entnehmen, dass ein Handy der Kanzlerin möglicherweise seit 2002 abgehört wurde.

Der EU-Abgeordnete Elmar Brok (CDU) will von NSA-Chef Keith Alexander gehört haben, das Handy der Kanzlerin werde "nicht mehr" abgehört. Der Rückschluss ist klar: Es wurde abgehört. Und offenbar hat die US-Administration den Lauschangriff ein bisschen zumindest eingeräumt. Reicht das für ein Verfahren gegen Unbekannt? Solche Lauschangriffe führt normalerweise eine Spezialeinheit namens "Special Collection Service" durch, in der NSA und CIA kooperieren, aber die Namen der Teammitglieder kennt man nicht. Oder sollte gegen Alexander ermittelt werden?

Zweite Möglichkeit: Die Bundesanwaltschaft wird nur im Fall des Merkel-Handys den Anfangsverdacht bejahen und dann ein Ermittlungsverfahren einleiten. Vielleicht nur symbolhafte Ermittlungen - aber immerhin. Bei anderen Anlässen, wie bei der Verschleppung eines Imam oder der Entführung von Khaled al-Masri, haben US-Behörden Rechtshilfeersuchen deutscher Stellen ignoriert. Auch hat Berlin einige Rechtshilfeersuchen erst gar nicht weitergeleitet. Das wäre wohl im Fall der Kanzlerin anders.

Paragraf 53d - gern angewandt in Agentenangelegenheiten

Dritte Möglichkeit: Karlsruhe bejaht den Anfangsverdacht, aber leitet dann unter Verweis auf den Paragrafen 153d der Strafprozessordnung kein Verfahren ein. Der Spezialparagraf besagt, dass der Generalbundesanwalt von Ermittlungen absehen kann, "wenn die Durchführung des Verfahrens die Gefahr eines schweren Nachteils für die Bundesrepublik herbeiführen würde, oder wenn der Verfolgung sonstige überwiegende öffentliche Interessen" entgegenstehen. Der 153d ist in Agentenangelegenheiten gelegentlich angewandt worden. Eine Verschlechterung des Verhältnisses zwischen Washington und Berlin könnte ein solcher Nachteil sein. Unter den Begriff "überwiegend öffentliche Angelegenheiten" könnte die Zusammenarbeit der Geheimdienste fallen.

Im Zuge der NSA-Affäre hat die Bundesregierung ein internes Papier über die Zusammenarbeit der Geheimdienste für das Jahr 2012 zusammengestellt, inklusive einer Auflistung der Meldungen, die von US-Geheimdiensten an deutsche Partner übermittelt wurden: Mit 7976 Meldungen und Informationspaketen in Bereichen wie Terrorismus oder über Pläne zum Bau von Massenvernichtungswaffen sind die Deutschen versorgt worden.

Karlsruhe wird sich im Fall Merkel in den nächsten Wochen entscheiden. Derzeit ist noch alles möglich, aber Anfangsverdacht plus 153d scheint am wahrscheinlichsten zu sein.

© SZ vom 20.01.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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