Süddeutsche Zeitung

Deutsche Bundestagsabgeordnete:Zwergenhaft vor der Regierung

Die Regierung behandelt die Abgeordneten oft respektlos, heißt es - das mag stimmen. Schuld an der mangelnden Bedeutung des Bundestags sind aber vor allem die Parlamentarier: Sie verzwergen sich selbst.

Kommentar von Robert Roßmann

Der Bundestagspräsident sollte froh sein, dass sich die Welt nicht nach ihm richtet - auch wenn ihm diese Erkenntnis schwerfallen dürfte. Norbert Lammert kämpft seit Jahren für die Rechte des Parlaments. Dabei hat er nicht nur die Regierung im Blick, sondern auch die Fernsehsender. Dass ARD und ZDF viel zu wenig Bundestagsdebatten übertragen, gehört zum Kanon seiner Klagen. Die Öffentlich-Rechtlichen würden "mit souveräner Sturheit" dem Parlament den nötigen Platz im Programm verweigern. Lammerts Lamento klingt vernünftig. Und doch könnte dem Bundestag kaum etwas Schlimmeres passieren als die Übertragung all seiner Sitzungen. Die Sendungen würden zu Dokumenten der Selbstverzwergung des Parlaments.

Als direkt gewählte Volksvertretung sollte der Bundestag der mächtigste Akteur im politischen Betrieb sein. Das Parlament müsste stolz gegenüber der Regierung auftreten. Aber von diesem Stolz ist im Reichstag nichts zu spüren. Der Bundestag hat gerade seinen 65. Geburtstag gefeiert. In dem Alter machen es sich viele bequem. Das gilt leider auch für das Parlament. Es wird seiner Aufgabe, die Regierung zu kontrollieren, nicht gerecht. Schuld daran ist nicht Angela Merkel, wie es jetzt allenthalben heißt. Schuld daran ist der Bundestag schon selbst.

Referate statt Schlagabtausch

Bestes Beispiel dafür ist die "Befragung der Bundesregierung". Mit ihr beginnen die Sitzungswochen des Bundestags. Doch wie sieht die Praxis aus? Die Befragung dauert nur eine halbe Stunde, und das Thema sucht sich die Regierung selbst aus. Kontroverses wird da ausgespart, so ging es beim vorletzten Mal allen Ernstes um den "Gesetzentwurf zu dem Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen". Zum Auftakt der "Befragung" darf der für das Thema zuständige Minister dann erst einmal selbst ein Referat halten. Alle anderen Minister und die Kanzlerin schwänzen die Befragung.

Wer so etwas als Parlament zulässt, darf sich nicht über mangelndes Wählerinteresse beschweren. Das gilt auch für die "Fragestunde", die sich der Regierungsbefragung anschließt. In ihr lesen Staatssekretäre schriftlich vorbereitete Antworten auf Fragen vor, die die Abgeordneten Tage vorher einreichen mussten. Kein britischer Parlamentsabgeordneter würde sich derlei gefallen lassen. Die Prime Minister's Questions in London werden als offener Schlagabtausch geführt. Wer auf der Internetseite des Unterhauses die Videos der Questions anschaut, ist erst einmal gefangen: Sie machen genauso süchtig wie die DVDs von "Homeland" oder " House of Cards".

Übertragungen der deutschen Regierungsbefragungen könnten dagegen bestenfalls mit dem Wort zum Sonntag mithalten. So viel zu Lammerts Forderung, mehr Bundestag im Fernsehen zu zeigen. Die Unionsfraktion verteufelt die Prime Minister's Questions als "Politikshow". Das mögen sie im schlechtesten Fall auch sein, aber das ist immer noch besser als gar keine Politik.

Natürlich ist es dreist von der Regierung, belanglose Themen auf die Agenda der Befragungen zu setzen. Und selbstverständlich ist es ein Unding, dass oft nicht einmal der zuständige Minister erscheint. Zehn Regierungsbefragungen gab es in diesem Jahr, bei vier von ihnen waren nur Staatssekretäre anwesend, obwohl das die Geschäftsordnung des Bundestags untersagt. Angesichts dessen ist es respektlos, wenn der Regierungssprecher gnädig verkündet, "grundsätzlich" wolle man ja immer einen Minister schicken.

Oppositionspolitiker in der Bequemlichkeit

Richtig ist aber auch, dass der Bundestag an diesem Missstand selbst schuld ist. Er hätte es in der Hand, die Befragung zu ändern. Statt die Regierung zu triezen, haben es sich sogar die Oppositionsabgeordneten bequem gemacht. Sie könnten das Kabinett zu allem befragen, belassen es aber meistens bei belanglosen Nachfragen zum von der Regierung vorgeschlagenen Thema. Außerdem könnte der Bundestag fehlende Minister herbeizitieren; dieses Recht nutzt er aber nur alle paar Jahre. Und er könnte die Kanzlerin verpflichten, wenigstens ein paar Mal im Jahr im Plenum Rede und Antwort zu stehen.

Ein Parlament, das ernst genommen werden will, muss sich selbst ernst nehmen. Daran krankt es aber gewaltig. Zu Beginn dieser Legislaturperiode haben es die Abgeordneten sogar hingenommen, dass die Führungen von Union und SPD den Bundestag monatelang stillgelegt haben, um in Ruhe ihre Koalitionsverhandlungen führen zu können.

Dass die Abgeordneten auch anders könnten, hat die Befragung Karl-Theodor zu Guttenbergs 2011 gezeigt. Der damalige Verteidigungsminister ging in dem Verhör zu den Plagiatsvorwürfen unter. Es war eine Sternstunde des Parlaments - und damit leider eine seltene Ausnahme.

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SZ vom 29.09.2014/fran
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