Deutsche Botschaft in Prag:Genschers Balkon

Deutschland will nicht länger Mieter im Prager Botschaftspalais sein. Doch das geschichtsträchtige Gebäude will es nicht kaufen - sondern tauschen.

Martin Kotynek

Schon einmal gab es in dem Gebäude unweit der Prager Burg einen Mieter: Thomas Trampolin hieß er, war Maurer von Beruf, und musste alljährlich 240 Groschen und ein Pfund Pfeffer Miete bezahlen. Etwa 400 Jahre später zog der deutsche Staat als Mieter in das Gebäude ein, in dem im Mittelalter Malz hergestellt, dann Bier gebraut und das später zum Palais Lobkowicz umgebaut wurde.

Deutsche Botschaft in Prag: Das Palais Lobkowicz in Prag.

Das Palais Lobkowicz in Prag.

(Foto: Foto: ddp)

Es ist Sitz der deutschen Botschaft in Prag, in die sich im August und September des Jahres 1989 etwa 4000 DDR-Bürger geflüchtet hatten. In dem Mietspalais wurde Geschichte geschrieben, als die Menschen nach Vermittlung des damaligen Bundesaußenministers Hans-Dietrich Genscher in die Bundesrepublik ausreisen durften.

Doch Deutschland will nicht länger Mieter in dem Palais sein. Das Auswärtige Amt will das Gebäude erwerben - und hat dazu eine kreative Idee: einen Botschaftstausch. Den Deutschen kommt dabei zugute, dass die tschechische Botschaft in Berlin demnächst saniert werden muss. Gleichzeitig besitzt Deutschland ein zwar repräsentatives, aber leerstehendes Gebäude, in dem sich bis zum Mai des vergangenen Jahres die amerikanische Botschaft befand. Das Auswärtige Amt überlegt, das ungenutzte Haus in der Neustädtischen Kirchstraße in Berlin-Mitte den Tschechen zu übertragen und im Gegenzug das Botschaftspalais in Prag zu übernehmen.

Doch die Angelegenheit scheint diplomatisch heikel zu sein. Zwar bestätigte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes, dass "Überlegungen im Gange sind" und dass "mit Tschechien erste Gespräche geführt" worden seien. Auf tschechischer Seite will man von solchen Überlegungen hingegen nichts wissen: "Alles Spekulation", heißt es aus der tschechischen Botschaft. Aus Diplomatenkreisen war zu erfahren, dass sich die Verhandlungen noch in einem frühen Stadium befänden und noch vieles offen sei.

Gelänge der Botschaftstausch, würde ein Gebäude in den Besitz Deutschlands übergehen, das im Jahr 1989 im Fokus der Öffentlichkeit stand. Über Wochen hinweg waren immer mehr DDR-Bürger auf das Gelände der Botschaft gelangt und hatten dort unter zunehmend unerträglich werdenden hygienischen Bedingungen ausgeharrt.

Die Anspannung unter den Flüchtlingen löste sich schlagartig, als Genscher am 30. September 1989 auf dem Balkon im ersten Stock des Palais erschien und die Worte sprach: "Liebe Landsleute, wir sind zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise..." - der Jubel der Wartenden übertönte den Rest seiner Rede. Die DDR-Bürger konnten in die Bundesrepublik ausreisen, der Eiserne Vorhang hatte Löcher bekommen, und 40 Tage später fiel die Berliner Mauer.

Stimmt Tschechien dem Tauschmodell zu, würde sich Deutschland in eine vielfältige Eigentümergeschichte einreihen. Sie reicht von der einflussreichen Fürstenfamilie Lobkowicz, die auch Ludwig van Beethoven in dem Haus begrüßen konnte, bis hin zu Graf Prehorovsky, der den kostspieligen Umbau zum Palais in Auftrag gab - und damit pleiteging.

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