Süddeutsche Zeitung

Deutsche-Bahn-Posten für Pofalla:Vertretet das Volk, nicht die Firmeninteressen

Lesezeit: 3 min

Politik löst sich auf. Was bleibt, ist anonyme Macht. Viele Menschen in Deutschland haben dieses Gefühl. Dass Ex-Kanzleramtsminister Pofalla aus der Politik so schnell zur Bahn wechseln soll, ist deshalb ein gewaltiges Problem. Ein Berufsverbot für Ex-Politiker kann jedoch auch keine Lösung sein.

Ein Kommentar von Sebastian Gierke

Berufsverbot für Ex-Politiker? Abgewählt in die Arbeitslosigkeit? Klingt das nicht verlockend?

Groß wäre die Häme derer, die Politiker für das Böse schlechthin halten, denen immer wieder erklärt werden muss, dass auch Politiker Menschen sind. Auch wenn sie einen besonderen Beruf ausüben.

Politiker ist man immer nur auf Probe - bis zur nächsten Wahl. Natürlich müssen sie in andere Berufe wechseln dürfen. In manchen Fällen ist es sogar von Vorteil, wenn Wissen aus der einen Sphäre, der politischen, in die der Wirtschaft übertragen wird.

Es braucht dafür aber einige Voraussetzungen, es braucht Regeln. Darauf hinzuweisen, oder diese Regeln im Jahr 2014 vorzustellen, ist ein bisschen so, als würde man einen Wüstenroman schreiben, der die Dünenlandschaft als unanständig sandig darstellt: Es ist eine Binse, die aufzuschreiben heute eigentlich nicht mehr nötig sein dürfte.

Doch es ist nötig: Weil die deutsche Politik diese einfachen Regeln ständig ignoriert - und immer wieder Selbstgerechtigkeit mit Gerechtigkeit verwechselt. Wie jetzt, im Fall des Ex-Kanzleramtsministers Ronald Pofalla, der wohl einen lukrativen Posten beim Staatsunternehmen Deutsche Bahn bekommt.

Der aktuelle Wüstenroman behandelt den Wechsel von der Politik in die Wirtschaft. Er handelt von: Transparenz. Es darf sich in der Bevölkerung nicht der Eindruck verfestigen, dass exklusives Wissen genutzt wird, um die Interessen einzelner Privilegierter durchzusetzen.

Deshalb braucht es eine längere Karenzzeit zwischen dem politischen Amt und dem Arbeitsbeginn in der Wirtschaft. Grüne, Linke und Piraten fordern sie in unterschiedlicher Länge und Ausprägung. Auch die SPD hat sich im Wahlkampf eine 18-monatige Karenzzeit für Regierungsmitglieder gefordert. Die Union hatte sie im Wahlkampf abgelehnt.

Doch die Karenzzeit kann nur ein erster Schritt sein. Jedenfalls für Spitzenpolitiker. Sie sollten beispielsweise außerdem nicht für Firmen arbeiten dürfen, die von ihren Entscheidungen in Regierungszeiten profitierten, mit deren Interessensgebiet sie zu tun hatten.

Politikern wurde ihre Position vom Volk nur geliehen. Deshalb müssen sie - im Grunde - rein inhaltlich denkende Menschen sein. Menschen, die man nicht kaufen, sondern die man nur überzeugen kann. Die ihre Macht danach bemessen, wie viel sie im Einvernehmen mit anderen durchsetzten können und nicht als Einzelkämpfer für Einzelne. Das klingt heutzutage fast naiv, zugegeben. Es ist für die Demokratie aber konstitutiv.

Im Fall von Pofalla musste die Satireseite Postillion nur noch die Fakten aufschreiben: Wieder einmal ist die Realität irrsinniger als jede Fiktion. Das ist gefährlich.

Und es gibt viele weiter Beispiele: Martin Bangemann, ehemaliger EU-Kommissar für Industrie und Telekommunikation und Ex-FDP-Chef, nimmt während seiner Amtszeit einen Job beim spanischen Telekommunikationsunternehmen Telefónica an. Altkanzler Gerhard Schröder wird kurz nach seiner Abwahl Aufsichtsratschef des Pipeline-Konsortiums NGEP. Der frühere Staatsminister im Kanzleramt, Eckart von Klaeden, geht als Cheflobbyist zu Daimler. Martin Jäger war vor seinem Wechsel, ebenfalls zu Daimler, Sprecher von Außenminister Steinmeier.

Mit jedem dieser Fälle verfestigt sich bei der Bevölkerung der Eindruck, dass es Politik eigentlich gar nicht mehr gibt. Dass sie sich auflöst in reine Funktionalität; in ein korruptes, unüberschaubares Geflecht aus Egoismen und Vetternwirtschaft. In dem zynisch jede verlorene Illusion zu einer gewonnen Erfahrung umgedeutet - und so zu Geld gemacht wird. Volksvertretung? Irgendwo? Nein, es herrscht eine anonyme Macht.

Die USA sind ein erschreckendes Beispiel dafür. Einige Firmen zahlen Angestellten dort hohe Boni, wenn sie auf schlechter bezahlte Posten in der Politik wechseln. Unter anderem Banken, Mitauslöser für die weltweite Finanzkrise, sicherten und sichern sich so Einfluss und Macht in Washington. Jeder weiß es, kaum einen kümmert's.

"Um den Anschein von Interessenkonflikten zu vermeiden"

Deutschland vor solchen Zuständen zu bewahren, das muss eine der wichtigsten Aufgaben der Politik und der neuen Regierung sein. Entscheider brauchen Glaubwürdigkeit, sie können sich, wenn sie längerfristig denken, keine Eigenmächtigkeiten leisten. Und klar, die neue Bundesregierung hat es ja auch auf dem Zettel. Man muss zwar etwas danach suchen, aber auf Seite 152 des Koalitionsvertrages von Union und SPD steht unter der Überschrift "Transparenter Staat" der dürre Satz: "Um den Anschein von Interessenkonflikten zu vermeiden, streben wir für ausscheidende Kabinettsmitglieder, Parlamentarische Staatssekretärinnen und Staatssekretäre und politische Beamtinnen und Beamte eine angemessene Regelung an."

Die Unterzeichnung des Koalitionsvertrages ist gerade einmal fünf Wochen her. Und jetzt geht Pofalla offenbar zur Bahn. Ein ehemaliger Spitzenpolitiker wechselt in ein staatseigenes Unternehmen - gegen fürstliche Entlohnung. Das ist ein Problem. Und Wasser auf die Mühlen derer, die die Politiker am liebsten abwählen würden, in die Arbeitslosigkeit. Was die Bundesregierung davon hält? Auf der Bundepressekonferenz in Berlin war dazu heute nichts zu erfahren. Gar nichts.

Wir müssen also den Wüstenroman wohl doch noch lesen.

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