Deutsch-türkische Spannungen:Der Zorn der Türkei auf Deutschland ist groß

Syrien-Einsatz der Bundeswehr

Noch starten von der türkischen Basis İncirlik deutsche Tornados zu Aufklärungsflügen über Gebiete der Terrormiliz IS in Syrien und im Irak.

(Foto: Falk Bärwald/dpa)
  • Die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei sind derzeit angespannt.
  • Weiterhin will die türkische Regierung Bundestagsabgeordneten Besuche bei den auf der Militärbasis Incirlik stationierten Bundeswehrsoldaten untersagen.
  • Das könnte möglicherweise zu einem Abzug der Soldaten führen.

Von Stefan Braun und Mike Szymanski, Istanbul

Zwischen Ankara und Berlin ist die Lage weiter sehr angespannt. Im Streit darum, ob Bundestagsabgeordnete die deutschen Soldaten auf dem türkischen Luftwaffenstützpunkt İncirlik besuchen dürfen, bleiben die Fronten verhärtet. Wie aus Kreisen der regierenden AKP verlautete, gibt es auf türkischer Seite keine Bereitschaft, deutschen Parlamentariern den Zugang zu gewähren. Umgekehrt gibt in den Fraktionen des Bundestages bislang keinerlei Bereitschaft, auf solche Truppenbesuche zu verzichten. "Wir verlangen von der Türkei nichts ungewöhnliches, sondern Routine", hieß es am Donnerstag aus SPD-Kreisen, "deshalb muss am Ende eine Besuchserlaubnis stehen, sonst müssen wir reagieren." Was das hieße, hatten zuletzt Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) und Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) verdeutlicht: Ohne Truppenbesuche könnte Schluss sein mit dem Einsatz der Deutschen in der Türkei.

Die Parlamentarier in Berlin bestehen auf ihrem Besuchsrecht

Damit wird klar, dass sich die Lage auch Wochen nach der Armenien-Resolution des Bundestages nicht bessert. Der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu hatte im Juni einen Besuch durch Verteidigungsstaatssekretär Ralf Brauksiepe (CDU) und Parlamentarier als "unangemessen" abgelehnt. Diese Position wiederholte er auch auf dem Nato-Gipfel in Warschau. Jüngste Konsequenz: Ein für Mitte September geplanter Besuch der Obleute des Verteidigungsausschusses in Incirlik haben die Deutschen auf Oktober verschoben.

So bleibt - halb Klamauk, halb Provokation - nur die Ankündigung des CDU-Bundestagsabgeordneten Christian von Stetten. Er hatte erklärt, dass er seinen Türkei-Urlaub nutzen werde, um bei den deutschen Soldaten vorbeizuschauen. Helfen dürfte das weder den deutschen Soldaten noch dem bilateralen Verhältnis.

Sollte die Lage derart verfahren bleiben, könnte das nicht nur den aktuellen Tornado-Einsatz gegen die Terrormiliz IS in Syrien und im Irak infrage stellen, sondern auch das geplante Engagement von Awacs -Aufklärungsflugzeugen. Das Mandat für die Tornados endet im Dezember; das für den Einsatz der Awacs ist für Herbst vorgesehen. Bislang überwachen die Awacs-Flugzeuge allein den Luftraum über der Türkei und brauchen deshalb keine Mandatierung durchs deutsche Parlament. Doch nun plant das Bündnis eine Ausweitung des Awacs-Auftrags; dafür bräuchte die Bundeswehr im Herbst die Zustimmung des Bundestages.

Kein Spielraum für ein Entgegenkommen

Außenpolitiker wie der Sozialdemokrat Niels Annen hoffen deshalb, dass es der Bundesregierung bis dahin gelingt, die Wogen zu glätten. Zumal der Nato-Einsatz auch im deutschen Interesse liege. Die Bundeswehr bleibe jedoch eine Parlamentsarmee, so Annen: "Deshalb muss der Zugang des Bundestags sichergestellt sein." Sollte das nicht geschehen, bleibe der Rückzug deutscher Soldaten "eine Option", auch wenn man ihn nicht herbeireden wolle.

Die türkische Regierung zeigt sich von solchen Drohungen unbeeindruckt. Ein AKP-Politiker sagte der SZ, in Ankara herrsche die Stimmung vor, dass die Deutschen ihre Soldaten dann eben abziehen sollten. Für ein Entgegenkommen sehe man derzeit keinen Spielraum.

Als Auslöser für den Streit gilt die Armenien-Resolution des Bundestages, welche die Verbrechen an den Armeniern 1915/1916 klar als Völkermord benennt. Die Weigerung Ankaras, deutschen Abgeordneten einen Truppenbesuch zu ermöglichen, gilt als Retourkutsche. Wie aus Kreisen der AKP verlautet, geht der Streit aber weit über die Armenien-Resolution hinaus. Der von Kanzlerin Angela Merkel vorangetriebene Flüchtlingspakt zwischen der EU und der Türkei komme vor allem Europa zugute, glaubt man in Ankara. Die Zahl der Flüchtlinge, die jetzt noch Europa erreichten, sei rapide gefallen. Damit habe auch der Druck auf die EU-Länder nachgelassen, ihren Zusagen zu erfüllen. Die EU hatte der Türkei visumfreies Reisen zum Sommer in Aussicht gestellt. Doch die Verhandlungen liegen auf Eis, weil Brüssel darauf besteht, dass Ankara seine Anti-Terror-Gesetze inmitten einer Gewaltwelle reformiert. Außerdem fließen die von der EU zugesagten drei Milliarden Euro an Flüchtlingshilfe nur zögerlich. Deshalb fällt die Bilanz des Flüchtlingspaktes aus türkischer Sicht enttäuschend aus.

Hinzu kommt ein Thema, das immer mehr Wirkung entfaltet. Mit Zorn verfolgt man in Ankara, dass sich deutsche Parlamentarier der Linken weigern, die PKK als Terrororganisation zu bezeichnen. Aus diesem Grund heißt es in AKP-Kreisen, es sei "schlicht unvorstellbar, Politikern, die mit der PKK sympathisieren, Zugang zu einem Militärstützpunkt zu gewähren".

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