Süddeutsche Zeitung

Deutsch-türkische Krise:Außenminister bemühen sich um Schadensbegrenzung

"Intensiver Meinungsaustausch in konstruktiver Atmosphäre": Außenminister Westerwelle und sein türkischer Amtskollege Davutoğlu bemühen sich, die diplomatische Krise beizulegen. Deutschland hatte die Wiederaufnahme von EU-Beitrittsgesprächen abgesagt, ein türkischer Minister Merkel mit Konsequenzen gedroht.

Im Streit zwischen Deutschland und der Türkei über die EU-Beitrittsverhandlungen bemühen sich die Außenminister beider Länder um Entspannung. Guido Westerwelle (FDP) traf am Samstag am Rande des Treffens der Syrien-Kontaktgruppe in Doha seinen türkischen Amtskollegen Ahmet Davutoğlu zu einem Gespräch unter vier Augen.

Zuvor hatte der türkische Minister für europäische Angelegenheiten Egemen Bağış für Empörung gesorgt, als er Bundeskanzlerin Merkel aufforderte, "ihren Fehler bis Montag zu verbessern". Bağış unterstellte der deutschen Regierung zudem, mit einem möglichen EU-Beitritt der Türkei Wahlkampf zu machen - eine Wiederaufnahme der Beitrittsgespräche in der kommenden Woche war kurzfristig abgesagt worden. Deutschland und die Niederlande hatten in Brüssel ihr Veto eingelegt. Nach Angaben aus dem Auswärtigen Amt sagte Bağış sinngemäß, Merkel solle wissen, dass diejenigen, die sich mit der Türkei anlegten, "kein gutes Ende" nähmen.

Der ganze Vorgang hatte zu einer kleineren diplomatischen Krise geführt, in deren Verlauf sowohl der türkische Botschafter in Berlin als auch der deutsche Botschafter in Ankara von der jeweiligen Regierung einberufen wurden. Beide Seiten bemühten sich daraufhin um einen gemäßigteren Ton. Bağış versicherte, es habe sich um ein Missverständnis gehandelt, er habe lediglich seine Enttäuschung zum Ausdruck bringen wollen, berichtet die Hürriyet Daily News. Vize-Regierungssprecher Georg Streiter betonte im Gegenzug, Merkel wolle den Beitrittsprozess nicht in Frage stellen. "Es geht nicht um das Ob, sondern nur um das Wie der Fortführung."

Dennoch ist das Thema so brisant, dass es nun auch von Westerwelle und von Davutoğlu noch einmal besprochen wurde. Man habe in "konstruktiver und freundschaftlicher Atmosphäre" aktuelle Fragen erörtert, auch zu den Beziehungen der EU zur Türkei, hieß es aus der Delegation. "Es gab einen intensiven Meinungsaustausch im Geiste von Partnern und Freunden."

Türkische Behörden nehmen 23 Demonstranten fest

Die Türkei steht bei der EU wegen des brutalen Vorgehens der islamisch-konservativen Regierung gegen Demonstranten in der Kritik. Merkel hatte die Einsätze der türkischen Polizei mit vier Toten und 7500 Verletzten am Montag als "viel zu hart" kritisiert. Die Regierung in Ankara wirft Deutschland vor, die Eröffnung eines weiteren Verhandlungskapitels aus Unmut über die Polizeigewalt hinauszuzögern. Deutschland erklärt dagegen, man habe aus technischen Gründen noch Fragebedarf. Am Montag gehen in Brüssel die Beratungen über die Öffnung des Kapitels weiter.

Die Türkei geht unterdessen weiterhin hart gegen die Demonstranten im Land vor. Wegen ihrer Beteiligung an den regierungskritischen Protesten der vergangenen Tage nahmen die türkischen Behörden 23 weitere Verdächtige in Haft. Ein Gericht in Ankara beschuldigte sie laut Berichten des Fernsehsenders CNN-Türk am Samstag, die Proteste im Namen der Marxistisch-Leninistischen Kommunistischen Partei (MLKP) mit organisiert und Gewalt angewandt zu haben. Drei weitere Verdächtige wurden dem Bericht zufolge unter Auflage auf freien Fuß gesetzt. Mit den neuen Verhaftungen sitzen inzwischen mindestens 47 Menschen wegen der Proteste im Gefängnis.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1703169
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
Süddeutsche.de/dpa/sks
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.