Süddeutsche Zeitung

Deutsch-türkische Beziehungen:Warum Deutschland Erdoğan mit einem Staatsbankett empfängt

Der Zeitpunkt für einen Neustart der Beziehungen mit der Türkei ist günstig. Doch aus dem Treffen erwächst auch eine Pflicht. Ohne Gegenleistung darf es es keine Zugeständnisse geben.

Kommentar von Luisa Seeling

Ausgerechnet an diesem Donnerstag, dem Tag der Vergabe der Fußball-EM, kommt "Imam Beckenbauer" nach Deutschland. Das ist eine schöne Pointe. Den Spitznamen bekam vor Jahrzehnten in Istanbul ein gewisser Recep Tayyip Erdoğan verpasst, wegen seines fußballerischen Geschicks und seiner religiösen Emphase. Aus der Profikarriere wurde nichts, die Nähe zum Fußball aber hat sich der türkische Präsident bewahrt, allein schon, weil sich der Sport zur politischen Mobilisierung eignet.

Es ist deshalb kein Zufall, dass die Entscheidung über die EM 2024 am selben Tag fällt, an dem Erdoğan in Berlin eintrifft. Die türkische Führung ist eine Wette eingegangen: Sie hofft, dass Erdoğan als Gewinner des EM-Duells Türkei gegen Deutschland aus dem Flieger steigt.

In jedem Fall bildet die EM-Entscheidung den emotionalen Auftakt zu einem ohnehin emotional aufgeladenen Besuch. Die meisten Deutschen haben kein Verständnis dafür, dass Erdoğan mit allen militärischen Ehren empfangen wird. Oppositionspolitiker haben dies heftig kritisiert. Ein Staatsoberhaupt, das Oppositionelle verfolgen und Journalisten einsperren lässt - hätte man das Ganze nicht eine Nummer tiefer ansiedeln können?

Viele Deutsch-Türken finden, die Türkei werde von oben herab behandelt

Nun gibt es Argumente, die für den Staatsbesuch sprechen. Erdoğan legt Wert auf Pomp, erfüllt man ihm den Wunsch, lässt sich womöglich mehr erreichen, lassen sich heikle Themen leichter ansprechen. Den wichtigsten Punkt hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier genannt: Mit seiner Einladung wolle er den türkeistämmigen Bürgern zeigen, dass er ihrem Herkunftsland Respekt erweist. Tatsächlich finden viele Deutsch-Türken, die Türkei werde von oben herab behandelt. Diesem Gefühl etwas entgegenzusetzen, ist sinnvoll.

Aus der Entscheidung, Erdoğan zum Staatsgast zu machen, erwächst aber die Pflicht, etwas daraus zu machen. Steinmeier und Angela Merkel müssen klarstellen: Ohne Gegenleistung gibt es keine Zugeständnisse. Keine Wirtschaftshilfen, solange Deutsche aus politischen Gründen in Haft sitzen; keine Unterstützung für die Erweiterung der EU-Zollunion, solange die Repression nicht abnimmt.

Der Zeitpunkt ist günstig. Seit sich die Türkei mit den USA überworfen hat und in die Währungskrise gerutscht ist, sucht Erdoğan wieder die Nähe zu Europa. Vor Kurzem konnte man sogar Lob für Kanzlerin Merkel aus seinem Mund hören, im vergangenen Jahr waren es noch Nazi-vergleiche. Erdoğan will den Neustart mit Deutschland. Das ist eine Chance.

Die türkische Opposition wird weiter unterdrückt

Klar ist aber, dass sich nicht alles per Knopfdruck vergessen lässt. Bis ein Teil des zerstörten Vertrauens wieder aufgebaut ist, kann es Jahre dauern. Die türkische Opposition wird weiter unterdrückt. Und es drängen die Fragen: Wie umgehen mit dem Religionsverband Ditib, der im Verdacht steht zu indoktrinieren, zu spionieren? Wie umgehen mit fragwürdigen Auslieferungsersuchen der Türkei?

Erdoğan trifft in Deutschland Anhänger und Gegner. Er spricht mit Merkel und Steinmeier, muss aber hinnehmen, dass die Kanzlerin nicht am Staatsbankett teilnimmt. Er muss schlucken, dass in dem Grünen Cem Özdemir einer seiner schärfsten Kritiker am Tisch sitzt. Erdoğan bekommt die Pluralität einer freien Gesellschaft serviert - und die Gelegenheit, seine, vor allem wohl wirtschaftlichen, Anliegen vorzutragen. Die Gastgeber werden das hoffentlich klug nutzen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4145706
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 27.09.2018/fie
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.