Deutsch-türkische Beziehungen:Ein Zeichen des guten Willens

Deutsch-türkische Beziehungen: Bürger im Protest gegen den Putsch im Juli 2016. Die Türkei verfolgt noch immer die mutmaßlichen Drahtzieher der Aufstände.

Bürger im Protest gegen den Putsch im Juli 2016. Die Türkei verfolgt noch immer die mutmaßlichen Drahtzieher der Aufstände.

(Foto: AFP)
  • Auf Bitten der Türkei suchen die Behörden in Deutschland nach dem mutmaßlichen türkischen Putschisten Adil Öksüz.
  • Die Türkei wirft Öksüz unter anderem vor, in der Nacht des Putsches Luftangriffe auf das türkische Parlament befohlen zu haben.
  • Die Suche ist nur eine von verschiedenen Maßnahmen, die das angeschlagene Verhältnis zwischen den beiden Ländern wieder kitten sollen.

Von Georg Mascolo und Andreas Spinrath

Einer der blutigsten Umsturzversuche in der Geschichte der Türkei war gerade gescheitert, 249 Menschen tot, da machte ein Schäfer am Morgen des 16. Juli 2016 eine ungewöhnliche Beobachtung. Durch den Stacheldraht des Militärflughafens Akıncı schlüpfte ein Mann in Zivil, begleitet von Soldaten. Von dem Stützpunkt aus waren die Jagdflieger aufgestiegen, die in der Nacht zuvor das türkische Parlament in Ankara bombardiert hatten.

Der Schäfer rief die Polizei, der Mann wurde am Rande eines Weizenfeldes festgenommen. Adil Öksüz, ein Theologie-Professor der Sakarya-Universität nahe Istanbul, erklärte, er habe in der Gegend nur Land kaufen wollen. Ein Richter setzte ihn später wieder frei, Öksüz tauchte unter.

Öksüz soll das Bindeglied zwischen Militär und Gülen-Bewegung sein

Öksüz, 50 Jahre alt, gehört nun zu den meistgesuchten Personen in der Türkei, knapp eine Million Euro Belohnung sind für seine Festnahme ausgelobt. Den "Mufti des Putsches" nannte ihn die türkische Presse und schrieb, Öksüz habe in der Nacht den Oberbefehl gehabt, Schießbefehle für Soldaten und den Einsatz der Kampfjets angeordnet. Die Regierung von Recep Tayyip Erdoğan behauptet, Öksüz sei das entscheidende Bindeglied zwischen den aufständischen Militärs und der Bewegung des Predigers Fethullah Gülen, die sie für den gescheiterten Coup verantwortlich macht.

Deutsch-türkische Beziehungen: Adil Öksüz, 50, lehrt Theologie an einer Universität nahe Istanbul. Laut der türkischen Regierung sei er das Bindeglied zwischen Putsch-Soldaten und der Gülen-Bewegung gewesen.

Adil Öksüz, 50, lehrt Theologie an einer Universität nahe Istanbul. Laut der türkischen Regierung sei er das Bindeglied zwischen Putsch-Soldaten und der Gülen-Bewegung gewesen.

(Foto: oh)

Gesucht wird nach Informationen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR neuerdings auch in Deutschland, seit dem 14. November 2017 ist Öksüz bundesweit zu einer sogenannten "Aufenthaltsermittlung" ausgeschrieben, alle Polizeidienststellen sind angewiesen, etwaige Erkenntnisse an das Bundeskriminalamt zu melden. Den Verdacht, dass sich der mutmaßliche Putschist in Deutschland aufhält, hat die türkische Regierung seit Langem, bereits im vergangenen August ersuchte sie das Auswärtige Amt per Verbalnote um Auskunft.

Erdoğan soll sich persönlich für die Suche bedankt haben

Türkische Medien wollten ihn mal in Baden-Württemberg, mal in Hannover gesichtet haben, angeblich erhielt er Asyl in Baden-Württemberg. Aber es gibt bisher keine Hinweise, dass er sich hier versteckt. Nach Feststellungen der deutschen Behörden wurde keine Einreise registriert, und jedenfalls unter seinem echten Namen hat er keinen Asylantrag gestellt. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) hat mehrfach und unter verschiedenen Schreibweisen nachgeschaut.

Und doch soll sich Erdoğan inzwischen persönlich für die Suche nach Öksüz bei der Kanzlerin bedankt haben. Die Bundesregierung hat Ankara wissen lassen, dass sie die Verdachtsmomente gegen Öksüz für schwerwiegend hält, eine Auslieferung wäre wohl wegen rechtsstaatlicher Bedenken eher schwierig, aber eine Übernahme der Strafverfolgung jedenfalls nicht ausgeschlossen. Echte Putschisten, so das Signal aus Berlin, können nicht auf Milde hoffen.

Von einer Normalisierung sind die Beziehungen noch weit entfernt

Der Fall gilt in Berlin als Teil einer Reihe von Maßnahmen, mit denen man das Verhältnis zur türkischen Regierung Schritt für Schritt verbessern und die Freilassung deutscher Gefangener erreichen will. Altkanzler Gerhard Schröder ist eingeschaltet, und immer wieder sucht auch Außenminister Sigmar Gabriel im Gespräch mit seinem türkischen Kollegen Mevlüt Çavuşoğlu nach Lösungen. Mit der Freilassung des Menschenrechtlers Peter Steudtner und der Journalistin Meşale Tolu machte die Türkei den Anfang, aber auch nach elf Monaten sitzt der Türkei-Korrespondent der Welt, Deniz Yücel, ohne Anklage in Haft. Von einer Normalisierung sind die Beziehungen noch weit entfernt.

Schlagzeilen machte in den vergangenen Wochen der Verdacht, die Bundesregierung könne im Gegenzug für die Freilassung deutscher Gefangener derzeit weitgehend ausgesetzte Waffenlieferungen an den Nato-Partner wieder genehmigen. Solche Lieferungen sind aber unwahrscheinlich geworden, weil politisch kaum vertretbar, seit Bilder nahelegen, dass deutsche Leopard-2-Panzer im Einsatz gegen die Kurden im Norden Syriens genutzt werden.

Die Türkei macht es der Bundesregierung schwer. Gesucht wird dennoch nach Gesten, die zur Normalisierung des Verhältnisses beitragen - und rechtsstaatlich und politisch vertretbar sind. So wurde etwa die Entscheidung verschoben, die Türkei auf die Liste jener Staaten zu setzen, in denen Geheimnisträger aus Nachrichtendiensten oder bestimmten Bereichen des Militärs und der Polizei mit "besonderen Sicherheitsrisiken" zu rechnen haben. Den Nato-Staat als faktischen Gegner einzustufen, wäre nicht nur ein Affront. Für Tausende deutsche Beamte wären Urlaubsreisen ebenso schwierig geworden wie womöglich eine Ehe oder Beziehung mit einem türkischen Partner.

Dankbar registrierten türkische Spitzenbeamte zudem, dass das Bundesinnenministerium nach einer Kurden-Demonstration in Köln die örtliche Polizei mahnte, das Zeigen von Bildern des inhaftierten PKK-Führers Abdullah Öcalan konsequent zu ahnden. Erdoğan regt sich mächtig darüber auf, dass dies in Deutschland angeblich allzu oft stattfindet.

Eine Verwicklung der Gülen-Bewegung in den Putsch ist nicht bewiesen

In keinem Bereich aber ist so viel Misstrauen entstanden wie bei der Frage des Umgangs mit dem Putsch. Dutzende Asylanträge von türkischen Diplomaten und Nato-Offizieren wurden inzwischen bewilligt, "Terroristen und Verräter" fänden Zuflucht in Deutschland, erklärte die türkische Regierung wütend. Angeblich machte Erdoğan sogar den Vorschlag eines Tauschhandels: zwei türkische Generäle gegen zwei der inhaftierten Deutschen.

In diesen Fällen wie auch bei den allermeisten türkischen Diplomaten behauptet Ankara nur, dass diese der Gülen-Bewegung nahestünden, deren Verwicklung in den Putsch bis heute nicht bewiesen ist. Oft ist ihre Verfolgung vermutlich nur Teil der in der Türkei nach dem gescheiterten Putsch stattfindenden rigorosen Säuberung des Staats- und Militärapparats.

Berlin verlangt Beweise von der Türkei

Inzwischen hat Berlin den türkischen Behörden klargemacht, dass im Rechtsstaat keine wütenden Tiraden, sondern nur die Übermittlung gerichtsfester Beweise zählen. Schröder soll Erdoğan bei seinem Besuch erklärt haben, dass er als Kanzler die Sache ganz genauso gehandhabt hätte. Erdoğan schien überzeugt zu sein. Auch der von manchen in der türkischen Regierung geschürte Verdacht, die Bundesregierung sympathisiere klammheimlich mit den Putschisten, scheint zerstreut. Auch dank des Falls Öksüz.

Zu dem Theologen hat die türkische Regierung Unterlagen über seine angebliche Verwicklung in den Putsch übermittelt, sie sind nun der Grund, warum zunächst sein Aufenthalt ermittelt werden soll. Das Vorgehen stimmte die Bundesregierung auf höchster Ebene ab - nachdem die türkische Regierung wiederholt erklärte, welche überragende Bedeutung sie der Sache beimisst. Tatsächlich könnte eine Vernehmung von Öksüz Entscheidendes über die tatsächlichen Abläufe des Putsches zutage fördern. Und darüber, ob und was er damit zu tun hat.

Eine Prüfung der Gesuche erfolgt nur, wenn die Türkei Beweise liefert

Die Erdoğan-Regierung behauptet, Öksüz sei noch vier Tage vor dem Putsch in den USA gewesen, womöglich bei Gülen. Die türkische Opposition dagegen äußerte schon einmal den Verdacht, dass Öksüz tatsächlich für den türkischen Geheimdienst MIT arbeite (was der MIT dementierte) - und legte nahe, dass der ganze Putsch nur inszeniert gewesen sein könnte. Was an diesen Juli-Tagen tatsächlich geschah, ist bis heute ebenso umstritten wie undurchsichtig.

Weitere solcher Fälle in Deutschland scheinen jedenfalls denkbar, von den im Jahr 2017 von der Türkei übermittelten 69 Auslieferungsersuchen betrafen 22 eine Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung. Aber nur wenn die Türkei Beweise für eine Verwicklung in den Putsch vorlegen würde, könnte geprüft werden.

Betroffen davon könnte auch jene Gruppe von Soldaten sein, die am 12. Mai des vergangenen Jahres mit Flug AEE 430 aus dem griechischen Heraklion auf dem Frankfurter Flughafen eintraf. Vier Männer und eine Frau waren es, darunter ein Luftwaffen-Oberst, der sich mit einem sogenannten Offizialpass auswies. Er ist der höchstrangige türkische Soldat, der sich nach Deutschland absetzte.

In der Türkei wird nach dem ehemaligen Offizier der Militärakademie in Ankara öffentlich gefahndet. In der Putschnacht soll er Kadetten der Akademie, an der schon Staatsgründer Atatürk lernte, zum Aufstand angestachelt haben. Türkische Medien berichteten groß über ein angebliches Geständnis seiner Ehefrau, er habe ihr berichtet, dass er den Putschbefehl von Gülen erhalten habe. Der Oberst erklärte bei seiner Einreise gegenüber den Behörden, seine Frau, eine Juristin, sei gefoltert worden.

Inzwischen hat er einen Asylantrag gestellt, das Bamf gewährte Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention. Die angeblich gegen ihn vorliegenden Beweise hat die türkische Regierung bis heute nicht übermittelt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: