Deutsch-türkische Beziehungen:Bundesregierung droht Türkei mit Reisewarnung

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Seit 26. Juli rät die Bundesregierung zu erhöhter Vorsicht bei Reisen in die Türkei. Jeden könne eine Festnahme treffen.

(Foto: dpa)
  • Weil offenbar ein weiteres deutsches Ehepaar in der Türkei festgenommen wurde, reagiert die Bundesregierung.
  • Wenn es zur Routine werde, Deutsche an der Grenze einzukassieren, könne eine Reisewarnung notwendig werden.
  • Außenamtssprecher Schäfer warnt zugleich davor, Reisewarnungen "politisch zu missbrauchen".

Von Luisa Seeling

Nach der Festnahme zweier deutscher Staatsbürger droht die Bundesregierung der Türkei mit einer offiziellen Reisewarnung. Wenn es zur Routine der türkischen Behörden werde, deutsche Staatsbürger an der Grenze einzukassieren, könne ein solcher Schritt notwendig werden, sagte der Sprecher des Auswärtigen Amts, Martin Schäfer, am Montag in Berlin. Derzeit sei diese Maßnahme aber nicht vorgesehen. Schäfer warnte zugleich davor, Reisewarnungen "politisch zu missbrauchen" und so ihrer Glaubwürdigkeit zu schaden.

Zuvor war bekannt geworden, dass offenbar erneut ein deutsches Ehepaar türkischer Herkunft in der Türkei festgenommen wurde. Wie Schäfer mitteilte, gebe es "konkrete Anhaltspunkte", wonach das Paar am Sonntag in Istanbul in Gewahrsam genommen worden sei. Einer der Betroffenen sei wieder frei, dürfe aber nicht ausreisen. Informationen von türkischer Seite über die Gründe gebe es nicht. Erst Ende August war ein deutsches Paar mit türkischen Wurzeln in Antalya vorübergehend festgenommen worden.

Die Bundesregierung rät seit dem 26. Juli zu erhöhter Vorsicht bei Türkei-Reisen. An diesem Montag rief der Außenamtssprecher deutsche Staatsbürger "in aller Deutlichkeit" auf, die Risiken zu bedenken. Es könne jeden treffen, so Schäfer. Die Türkei hatte am Wochenende ihrerseits eine Reisewarnung ausgesprochen, die in Deutschland Irritation auslöste.

Berlin: Elf Bundesbürger sitzen aus politischen Gründen in türkischer Haft

Zurzeit sitzen nach Angaben deutscher Behörden elf Bundesbürger aus politischen Gründen in türkischer Haft. Prominente Fälle sind die Journalisten Deniz Yücel und Meşale Tolu sowie der Menschenrechtler Peter Steudtner. Zudem gibt es eine Reihe von Deutschen, die zwar auf freiem Fuß sind, die Türkei aber nicht verlassen dürfen. Meist stehen die Festnahmen in Zusammenhang mit dem Vorgehen der Türkei gegen angebliche Terrorverdächtige, vor allem Anhänger der Gülen-Bewegung, die Ankara für die treibende Kraft hinter dem Putschversuch von 2016 hält.

Ein Ende August in Kraft getretenes Notstandsdekret legt den Verdacht nahe, dass Ankara Deutsche festnehmen könnte, um sie gegen türkische Staatsbürger auszutauschen. Darin heißt es, der türkische Präsident sei befugt, Häftlinge auszutauschen, wenn es die "nationalen Interessen des Landes" erfordern. Die Zahl der Asylanträge von Türken in Deutschland ist seit dem Putsch gestiegen; nach Angaben des Bundesinnenministeriums haben seither allein 255 Menschen mit türkischem Diplomatenpass und 383 sogenannte Dienstpassinhaber einen Asylantrag gestellt. Ankara fordert ihre Auslieferung. Die neuen Festnahmen dürften die Debatte um die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei weiter befeuern. EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU) lehnte einen Abbruch der Gespräche am Montag ab. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz hatte sich vor einer Woche dafür ausgesprochen. Kanzlerin Angela Merkel will die Frage beim EU-Gipfel im Oktober thematisieren.

Aktuelles Lexikon: Dienstpass

Das Dokument ist in seiner deutschen Version knallrot eingebunden; golden eingeprägt ist vorne der Bundesadler und, in drei Sprachen, das Wort: DIENSTPASS. Ihn bekommt, wer als Repräsentant eines Staates in dienstlicher Funktion auf Reisen geht, aber in der Hierarchie nicht so weit oben steht, dass es für einen Diplomatenpass reicht. Abgeordnete des Bundestags zum Beispiel erhalten einen Diplomatenpass, ihre Kollegen in den Landtagen nur einen Dienstpass. Auch Ministerialbeamten, Beschäftigten entwicklungs- oder kulturpolitischer Organisationen wie des Goethe-Instituts oder Lehrern an Auslandsschulen, um nur ein paar Beispiele zu nennen, und deren Ehegatten, Partnern und Kindern werden laut "Allgemeiner Verwaltungsvorschrift über die Ausstellung amtlicher Pässe der Bundesrepublik Deutschland" Dienstpässe ausgestellt. Welche Vorteile so ein Dienst- oder gar ein Diplomatenpass jenseits der Stärkung des Selbstwertgefühls des Inhabers bringt, unterscheidet sich von Reiseland zu Reiseland. Diplomatische Immunität verleihen solche Pässe nicht. Staatsbürger einiger Länder, darunter der Türkei, die an den deutschen Grenzen einen Dienstpass vorweisen, benötigen zur Einreise kein Visum. Seit dem Putschversuch vor einem Jahr sind 383 Türken auf diese Weise nach Deutschland gekommen und haben Asyl beantragt, 255 türkische Asylbewerber legten einen Diplomatenpass vor. Jan Bielicki

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