Deutsch-russisches Verhältnis:Warum wir die Russen lieben und fürchten

Merkel und Putin

Die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland sind ein sensibles Konstrukt: Auch dem Kreml-Besuch im November 2012 von Kanzlerin Merkel waren Spannungen vorausgegangen.

(Foto: dpa)

Viele Menschen haben das Gefühl, Deutschland und der Westen ergriffen zu einseitig Partei gegen Russland. Obwohl das Verhalten Moskaus offenkundig falsch ist, sind die Deutschen bereit, den Fehler bei sich selbst zu suchen. Dahinter steckt Unsicherheit bei der eigenen Außenpolitik.

Ein Kommentar von Nico Fried

Es ist anzunehmen, dass Gregor Gysi und Sahra Wagenknecht in diesen Tagen mehr Anhänger als Wähler haben. Für ihre Kritik an der Haltung der Bundesregierung (und der Grünen) im Konflikt um die Ukraine sind offenkundig auch Menschen empfänglich, die sonst zu Skeptikern gegenüber der Linkspartei zählen dürften. Das liegt daran, dass diese Kritik einem diffusen, aber weit verbreiteten Gefühl konkrete Argumente zu liefern scheint: dem Gefühl, dass sich Deutschland und der Westen allzu einseitig auf die Seite der Ukraine und gegen Russland stellen.

Es ist dabei eine fabelhafte Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet Gerhard Schröder diesem Denken als Kronzeuge dient, wie jüngst in Gysis Rede vor dem Bundestag. Schröder moniert schon lange, dass russische Interessen von EU und Nato nicht beachtet würden. Darüber kann man noch streiten, auch wenn der Vorwurf unter den großen Staaten wohl am wenigsten auf deutsche Regierungen zutrifft, übrigens auch nicht auf jene, an denen Schröder nicht mehr beteiligt war.

Nun aber hat er mit seiner Selbstbezichtigung, im Kosovo-Konflikt als Kanzler das Völkerrecht gebrochen zu haben, noch einen Vergleich in die Welt gesetzt, der seither in kaum einem Interview als Frage und in kaum einer Debatte als Argument fehlt. Die Offenheit für diesen Vergleich entspricht einem tief empfundenen Sinn für Ausgewogenheit, der es anscheinend auch erlaubt, einen Militäreinsatz zur Beendigung von ethnischen Säuberungen an Zehntausenden Menschen gleichzusetzen mit einem Militäreinsatz zum Schutz einer russischen Bevölkerung auf der Krim, für die nicht ansatzweise eine Bedrohung erkennbar war wie seinerzeit für die Albaner in Kosovo.

Die Beziehung zu Russland - ein historisches Wunder

Die Offenheit für den Vergleich zeugt aber auch von der Bereitschaft gerade in Deutschland, den Fehler selbst dann noch bei sich selbst zu suchen, wenn das Fehlverhalten eines anderen offenkundig ist - und nicht einmal von Gysi bestritten wird. Vermutlich steckt darin aber auch ein Symptom für die Unsicherheit vieler Deutscher gegenüber dem Russland Putins. Es ist zum einen eine Unsicherheit gegenüber der Person des Präsidenten, dessen autoritäre Machtausübung durchaus kritisch gesehen wird und der doch zugleich den Deutschen stets das Gefühl besonderer Nähe zu geben vermag, allein schon weil er ihre Sprache spricht.

Es ist aber auch Unsicherheit mit Blick auf die sensiblen Beziehungen zu Russland, die so schwer von blutigen Lasten der Geschichte beladen sind. Wie die Beziehungen zu Israel sind auch jene zu Russland ein historisches Wunder, wenn man die Verheerungen bedenkt, die in deutschem Namen dort angerichtet wurden und Racheakte von russischer Seite zur Folge hatten. Nach dem Krieg sind drei Generationen von Deutschen entweder mit den Russen als Besatzungsmacht aufgewachsen oder mit der Angst, dass sie noch kommen würden.

Weil die Deutschen die Russen fürchteten, waren sie bereit, sie umso mehr zu lieben, als sich herausstellte, dass sie mittlerweile ganz anders waren. Die Begeisterung für Michail Gorbatschow war Ausdruck dieser überbordenden Erleichterung, vor allem im Westen der Republik. Der Kredit, der Putin jetzt eingeräumt wird, stammt vielleicht auch aus dem Wunsch, das deutsch-russische Verhältnis möge wieder so sein wie damals.

Der US-Regierung trauen viele jede Bösartigkeit zu

Diese emotionalen Pendelausschläge verlaufen spiegelverkehrt zum Verhältnis der Deutschen zu den USA: Weil die Deutschen die Amerikaner einst so verehrten, sind sie heute bereit, sie besonders zu verachten. Viele Deutsche trauen nach dem NSA-Skandal einer amerikanischen Regierung, die sie kennen, mehr Bösartigkeit zu als der russischen Führung, die ihnen fremd geblieben ist. Barack Obama wurde hier verehrt wie einst Gorbatschow - und steht nun im Ansehen kaum besser da als Putin, wenn überhaupt.

Die Schwankungsbereitschaft der Deutschen hat aber auch mit ihrer eigenen Außenpolitik zu tun. Es ist bezeichnend, dass gerade der Kosovo-Konflikt nun als Quell allen Übels herhalten soll. Viele Deutsche haben diesen Krieg noch immer stärker als rechtliche Grenzüberschreitung im Gedächtnis denn als politische Ultima Ratio in einem Konflikt, in dem das Völkerrecht als Ordnungsinstanz eben gerade nicht ausreichte, um einen brutalen Völkerrechtsbruch zu verhindern.

Mithin ist es auch die Unsicherheit vor der eigenen jüngsten Geschichte, die hierzulande den Boden für abwegige Vergleiche bereitet. Das Deutschland, in dem gerade vom Bundespräsidenten abwärts ein stärkeres außenpolitisches Engagement diskutiert wird, ist noch nicht einmal mit der Verantwortung, die es bereits übernommen hat, im Reinen.

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