Süddeutsche Zeitung

Deutsch-russische Beziehungen:Russlands Politik passt nicht zu Europa

Kein anderes Land ist so prädestiniert dafür, mit Moskau einen ehrlichen Disput zu führen. Doch das Sehnsuchtsrussland vieler Deutscher verträgt sich nicht mit ihrem Sehnsuchtseuropa.

Kommentar von Stefan Kornelius

Zufall ist es natürlich nicht, wenn der Kreml nur wenige Minuten nach der Einführung Wladimir Putins ins Präsidentenamt einen Besuch der Bundeskanzlerin in Russland ankündigt. Angela Merkel wird am 18. Mai nach Sotschi reisen, ihr letzter Besuch wird dann gerade ein Jahr her sein. Kein anderer Regierungschef pflegt einen so intensiven Kontakt, und wohl kein anderer hat mit Putin so wechselvolle Erfahrungen gemacht.

Für die deutsche Sonderbeziehung zu Russland gibt es viele Gründe. Die innenpolitische Stimmung in Deutschland erzwingt geradezu diese Gespräche. Deutschland ist tief gespalten, was das Verhältnis zu Putins Reich betrifft, viele wünschen sich eine neue Russland-Politik. Das Thema eignet sich für Polarisierungen und Anfeindungen der schlimmsten Art.

Wenige Staaten in Europa und erst recht nicht im Rest der Welt räumen Russland so viel emotionalen Platz frei wie Deutschland. Die meisten europäischen Länder und auch die USA messen Russland mit dem Raster von Schaden und Nutzen, von Interessen, Stabilität und Berechenbarkeit. Die Gründe für den deutschen Sonderweg sind bekannt: die historische Verbundenheit, die Schuldgefühle angesichts der Kriegsvergangenheit, der Wunsch nach Versöhnung, eine kulturelle und emotionale Bindung.

Ein vagabundierendes Deutschland ist der europäische Albtraum

Wer tiefer gräbt, stößt möglicherweise auf ganz andere Sehnsüchte: nach einem Deutschland mit einer neuen Bündnisorientierung. Da kommt die geopolitische Variante von Goethes Weltkind in der Mitte zum Vorschein, das nicht weiß, wo es hingehören soll. Fest verankert im Westen? Oder schlummert da am Ende ein europäischer Freigeist, der seinen sehnsuchtsvollen Blick in den Osten richtet und mit diesem Amerika auf der anderen Seite des Atlantiks wenig anfangen kann? Es sind diese widerstreitenden Motive von Westbindung und Ostverbundenheit, die bei Deutschlands Partnern in der EU und im atlantischen Bündnis wohl genauso viel Sorge auslösen, wie sie dem Deutschlandversteher Putin Hoffnung machen. Ein vagabundierendes Deutschland, unberechenbar und sprunghaft, war und ist der europäische Albtraum.

Wer also über Deutschlands Verhältnis zu Russland nachdenkt, sollte Europas Verhältnis zu Russland nicht aus dem Blick verlieren. Und dieses Verhältnis wird von einer latenten Aggression Russlands geprägt, die in Deutschland gerne ausgeblendet oder relativiert wird. Vor allem die Destabilisierung demokratischer Institutionen, die Manipulation der Öffentlichkeit durch ein Bombardement von Lügen treffen den Lebensnerv westlicher Demokratien: die Konsensfindung auf der Basis eines fairen und sachlichen Streits. Gibt es diesen Konsens nicht mehr, dann gibt es auch keinen gesellschaftlichen Frieden, sondern Unruhe, Hass, Demagogie.

Deutschland ist geradezu prädestiniert dafür, Russland in einen ehrlichen Disput über eine konstruktive Rolle in der Welt zu verwickeln. Das wäre ein großer Freundschaftsdienst, der aber nur aus der Position der Standhaftigkeit und Stärke gelingen kann. Denn wer sich Putins Lesart einer russischen Ordnung zu eigen macht, der wird Europas System geteilter und demokratisch ausgeübter Macht zerstören und Deutschland in dunkle Zeiten zurückführen. Das Sehnsuchtsrussland vieler Deutscher verträgt sich nun mal nicht mit ihrem Sehnsuchtseuropa.

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Quelle:
SZ vom 08.05.2018
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