Als schließlich doch noch nach Idlib gefragt wird, hat Russlands Außenminister Sergej Lawrow schon sehr lange gesprochen. Er hat das Potenzial Eurasiens, "unseres gemeinsamen Festlandes", beschworen. Er hat versichert, Russland habe das "Maximum" für Partnerschaft in Europa getan, und er hat den belehrenden Ton des Westens beklagt. Lawrow hat seinem "Erstaunen" Ausdruck verliehen, dass die EU-Länder sich so bereitwillig dem "Diktat" der USA unterworfen und Sanktionen gegen Russland zum eigenen Schaden verhängt hätten. Er hat sehr oft von einem "Staatsstreich" in der Ukraine gesprochen und dazu aufgerufen, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen, womit er ziemlich unzweifelhaft ausschließlich Fehler des Westens meint.
Das ist der Grundton, in den hinein der CDU-Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter beim Auftritt Lawrows vor dem Deutsch-Russischen Forum in Berlin schließlich die Frage stellt, die alle Welt bewegt: "Was leistet Russland, was leistet Ihre Diplomatie konkret, um eine Zuspitzung in Idlib bis hin zum Chemiewaffen-einsatz zu verhindern?" Nur, wer bis jetzt geschlafen hat, wird nun eine Antwort erwarten, wie man sie in Berlin gerne hören würde.
Die russische Verantwortung stellt Lawrow an sich nicht in Abrede. Tatsächlich sei man, referiert er, in Syrien engagiert mit Luftstreitkräften und mit militärischen Beratern - im Gegensatz zu anderen auf Einladung der syrischen Regierung. "Wir verstehen, dass wir uns im Interesse des syrischen Volkes verständigen müssen", versichert Lawrow. Er meint da insbesondere die Gespräche zwischen Russland, Iran und der Türkei. Idlib, führt Lawrow aus, werde von Terroristen beherrscht, die Zivilisten als menschliche Schutzschilde missbrauchten und für die kein Waffenstillstand gelte. Mit Hilfe von Drohnen versuchten sie, sowohl die syrischen als auch die russischen Streitkräfte zu treffen. "Das sind keine Menschen, die Frieden wünschen", sagt er. In der Region Idlib an der türkischen Grenze sind etwa drei Millionen Einwohner eingeschlossen. Bei einer Großoffensive der Regierungstruppen des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad werden "katastrophale Folgen für Millionen Menschen" befürchtet, wie Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) später nach einem Gespräch mit Lawrow sagt. "Das Recht der Zivilbevölkerung auf Sicherheit muss gewährleistet sein, sonst droht dort ein humanitäres Desaster", warnt er. Doch die Sorge um die Zivilbevölkerung wischt Lawrow beiseite. Ihren Belangen werde man Rechnung tragen - etwa mit Hilfe eines humanitärer Korridore. Als unbegründet weist er auch die Sorge vor einem neuerlichen Einsatz von Chemiewaffen durch Assads Truppen zurück. Es gebe "keinen einzigen Nachweis, dass die syrische Regierung einen solchen Angriff vorbereitet". Maas hält die Gefahr hingegen für sehr real. Russland verfüge "über die Möglichkeit, auf das syrische Regime Einfluss zu nehmen", appelliert er. Deutschland baue "darauf, dass diese jetzt genutzt werden, damit ein solcher Einsatz von Chemiewaffen unter allen Umständen verhindert wird". Lawrow erneuert auch die russische Forderung nach deutscher Wiederaufbauhilfe für Syrien - am liebsten ohne besondere Vorbedingungen. Genau dazu ist Deutschland wie andere westliche Staaten bisher aber nicht bereit. Derartige Unterstützungsleistungen werde es nur unter bestimmten Bedingungen geben, stellt Maas klar. Erst müsse ein glaubwürdiger politischer Prozess in Gang kommen und eine Lösung absehbar werden. "Nur dann kann ein Wiederaufbau gelingen", sagt er. Von dem dann Assad profitieren würde? Wenn es einen "echten demokratischen Prozess" gebe, sagt Maas, könne er sich für Assad eine "langfristige Perspektive" nicht vorstellen.