Deutsch-mongolische Agentenaffäre:Der Spion, der aus deutscher Haft entkam

Die deutsche Justiz lässt einen Spion aus der Mongolei laufen, obwohl dieser einen Landsmann in Frankreich überwältigt und nach Berlin verschleppt haben soll. Die Freilassung erleichtert den Besuch von Kanzlerin Merkel in dem rohstoffreichen Land, in dem Menschenrechte nicht viel zählen.

Christoph Giesen und Nicolas Richter, Ulan Bator

Am Dienstag vergangener Woche landet in Ulan Bator der Flug OM 302 der Mongolian Airways. In der Kälte vor dem Terminal harren mehrere Kamerateams aus, aber die Journalisten wollen nicht den Staatspräsidenten filmen, der alsbald von Bord geht, sondern einen anderen Passagier. Der ist zwar auch Staatsdiener, anders als der Präsident allerdings einer, der nur im Verborgenen wirken sollte. Es ist Bat Khurts, einer der hochrangigen Spione der Mongolei. Zuletzt hat er ein Jahr in britischer und deutscher Haft ausharren müssen, nun ist er überraschend wieder zu Hause. Khurts gilt hier in seiner Heimat als eine Art Held oder zumindest als Opfer bösartiger ausländischer Regierungen, wohingegen Ermittler in Europa ihn als mutmaßlichen Verbrecher sehen.

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Illegale Goldsucherinnen in Uyanga Sum - Die Mongolei ist reich an Bodenschätzen, trotzdem lebt ein Drittel der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze.

(Foto: Reuters)

Der Fall Khurts, die womöglich kriminellen Umtriebe dieses 42-jährigen Top-Agenten in Europa sollten eigentlich in diesem Herbst vor dem Berliner Kammergericht aufgearbeitet werden. Im August hatte Generalbundesanwältin Monika Harms den mongolischen Staatsbürger Khurts angeklagt, wegen Verschleppung und gefährlicher Körperverletzung. Khurts wartete noch bis vor kurzem in der Untersuchungshaft auf seinen Prozess. Ende September aber hob der Bundesgerichtshof - für alle Beteiligten überraschend - den Haftbefehl gegen Khurts auf. Der mongolische Spion wurde sofort freigelassen und setzte sich natürlich so rasch wie möglich in seine Heimat ab.

Merkel entgeht dem Unmut der Mongolen

Die Spionageaffäre Khurts wird damit wohl mysteriös bleiben, das Berliner Kammergericht dürfte das Strafverfahren einstellen, weil der Angeklagte nicht mehr erreichbar ist. Immerhin hat der Bundesgerichtshof durch die Freilassung Khurts' - wohl ohne es zu wollen - einen diplomatischen Sprengsatz entschärft. Denn in der kommenden Woche wird Angela Merkel die Mongolei besuchen, es ist das erste Mal, dass ein deutscher Regierungschef dieses Land bereist. In dem zwischen Russland und China liegenden Staat leben zwar nur gut drei Millionen Menschen, allerdings lagern dort Rohstoffe in großen Mengen. Merkel wird also auf eine Konstellation treffen, wie sie in dieser Weltregion typisch ist: interessante Absatzmärkte, enorme Reserven an Bodenschätzen, aber auch notorische Geringschätzung für Demokratie und Menschenrechte.

Säße Khurts noch in deutscher Haft, hätte Merkels Reise ungemütlich werden können. Nicht nur die Regierung in Ulan Bator hätte ihre Missbilligung zu Protokoll gegeben, es wäre wohl auch zu Demonstrationen gekommen zugunsten des Spions, der zuletzt zum Nationalen Sicherheitsrat gehörte und damit einer der mächtigen Männer im Land war. Merkel hätte erklären müssen, dass es in Rechtsstaaten nicht möglich sei, passende Gerichtsbeschlüsse zu bestellen. Es wäre jedenfalls kein unbeschwerter erster Kanzlerinnenbesuch geworden.

Entführter soll in der Mongolei gefoltert worden sein

Andererseits sind auch die Taten nicht schön, die Khurts begangen haben soll. Die Bundesanwaltschaft wirft ihm in ihrer Anklage vom 4. August vor, er habe vor acht Jahren einen in Frankreich lebenden Landsmann in die Heimat verschleppt. Der Entführte sollte zu Hause als Mörder eines zuvor getöteten Politikers vorgeführt werden, obwohl es keine Beweise dafür gab.

Khurts und einige Komplizen sollen ihr Opfer in Le Havre überwältigt und in einem Auto über Brüssel nach Berlin gefahren haben. Dort sollen sie den Mann betäubt und im Rollstuhl als angeblich verletzten mongolischen Diplomaten durch die Kontrollen in ein Flugzeug von Tegel nach Ulan Bator geschmuggelt haben. Der Entführte soll in der Haft gefoltert worden sein, er wurde gut zwei Jahre später aus der Haft entlassen und starb unmittelbar danach. Es wäre nicht das erste Mal, dass autoritäre Regime ihre Spitzel oder Schläger nach Westeuropa schickten, um inmitten gefestigter Demokratien Regimegegner einzuschüchtern, zu entführen oder zu ermorden; zuletzt starb etwa im Kugelhagel ein tschetschenischer Dissident in Wien.

Als sich die mongolische Entführungsgeschichte schließlich herumsprach, nahm die Bundesanwaltschaft Ermittlungen auf, der Bundesgerichtshof erließ Anfang 2006 Haftbefehl. Vor gut einem Jahr wurde Khurts in London verhaftet, als er gerade auf dem Flughafen Heathrow gelandet war. Khurts wehrte sich in mehreren Instanzen gegen seine Auslieferung nach Deutschland, er berief sich auf diplomatische Immunität und warf den britischen Behörden vor, ihn in eine Falle gelockt zu haben.

Wie zu erwarten war, sorgte der Fall auch für politische Spannungen im britisch-mongolischen Verhältnis. Doch Khurts und seine Regierung wehrten sich vergebens, am 19. August dieses Jahres wurde der Spion nach Deutschland überstellt. Dafür war seine Haftbeschwerde schließlich beim Bundesgerichtshof erfolgreich. Der war nämlich nicht vom dringenden Tatverdacht der Verschleppung überzeugt. Die ist laut Strafgesetzbuch nur dann gegeben, wenn der Entführte der Gefahr ausgesetzt wird, "aus politischen Gründen verfolgt zu werden". Der Ermittlungsrichter in Karlsruhe zweifelte daran, dass diese politische Komponente vorhanden war, und so gelangte Khurts in Freiheit.

"Das geht bloß die Geheimdienste etwas an"

Die größte Spionageaffäre, in die die Mongolei bislang verwickelt war, ist damit zumindest im Verhältnis zu Deutschland entschärft. Aber sie verdeutlicht der Kanzlerin kurz vor dem Besuch auch, mit wem sie sich in Ulan Bator auf der Suche nach neuen Rohstoffquellen und Märkten einlässt. Dort will man von der ganzen Sache freilich nichts gewusst haben. Dendew Terbischdagwa, Chef der deutsch-mongolischen Parlamentarier-Gruppe in Ulan Bator, war von 2002 bis 2004 Botschafter der Mongolei in Berlin, also zu jener Zeit, als Khurts dort im Keller der diplomatischen Vertretung den entführten Landsmann mit Drogen ruhiggestellt haben soll. "Das geht bloß die Geheimdienste etwas an. Ich habe wirklich nichts davon gewusst", sagt Terbischdagwa. Auch Batsukh Bayarsaikhan, Verwaltungschef des Außenministeriums, weiß angeblich von nichts. "Von der Freilassung Khurts' habe ich erst aus dem Fernsehen erfahren."

Deutlicher immerhin spricht Dangaasuren Enkhbat, der Oppositionsführer in der Mongolei - falls man die paar Abgeordneten, die anders als die Regierung stimmen, als Opposition bezeichnen kann. "Die Verquickung zwischen Politik und Wirtschaft ist in der Mongolei schlimmer als in Russland. Bei uns haben die Oligarchen das Sagen. Und wenn die Herrscher nicht herausfinden wollen, wer hinter diesem Komplott steckt, dann wird es auch niemals herauskommen." Ein Prozess vor einem deutschen Gericht, glaubt er, hätte die Sache erhellen können. "Aber jetzt ist der Fall Khurts wohl für immer beerdigt."

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