Deutsch-israelisches Verhältnis nach Grass-Kritik:Unerschütterlich gute Beziehungen

In Israel ist die Entrüstung über Grass zwar groß, doch das gute Verhältnis Merkels zu Jerusalem wird dadurch nicht beschädigt. Die Kanzlerin hat schon vor vier Jahren in absoluter Klarheit Solidarität bekundet - auch in Sachen Iran. Und Israel braucht Deutschland als einen der wenigen verbliebenen wohlwollenden Partner.

Daniel Brössler

Wenn es darum geht, tatsächliche oder vermeintliche Angriffe auf Israel abzuwehren, fackelt die Jerusalem Post nicht lange. Im israelischen Spektrum wird die auf Englisch erscheinende Zeitung relativ weit rechts verortet, und so war abzusehen, dass sie dem deutschen Schriftsteller Günter Grass wegen dessen Gedicht über Israel Antisemitismus bescheinigen würde.

Merkel in Israel

"Diese historische Verantwortung Deutschlands ist Teil der Staatsräson meines Landes": Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Knesset 2008.

(Foto: dpa)

Und doch findet sich ausgerechnet in einem Kommentar der Jerusalem Post ein Zwischenton, der aus israelischer Sicht das ganze Dilemma der Beziehungen zu Deutschland beschreibt: "Während es legitim für Deutsche als Freunde Israels ist, konstruktive Kritik an israelischer Politik anzubieten, ist es verständlicherweise nicht einfach für Israelis, solche Kritik zu akzeptieren." Schließlich komme sie von einem Volk, das mehr als jedes andere bewiesen habe, "dass die Juden sich nicht auf den guten Willen von Gastländern verlassen dürfen".

Die ganze Empörung über die Zeilen des Literatur-Nobelpreisträgers Grass ist in Israel nur mit einiger Verspätung angekommen, was daran liegen dürfte, dass scharfe Kritik von außen mittlerweile als Normalzustand empfunden wird. Erst Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat schließlich eine Spirale der Entrüstung in Gang gesetzt, als er die "schändliche moralische Gleichstellung Israels mit Iran" anprangerte. Ein Gedicht aus Frankreich oder Spanien hätte dieselbe Aufmerksamkeit vermutlich nicht gewonnen.

Merkel steht für Deutschland, nicht Grass

Vor allem aus Sicht rechter Politiker in Israel verkörpert Grass mit seiner Jugendvergangenheit bei der SS die Fragwürdigkeit deutscher Belehrungen und erscheint so als besonders geeignet, Frust über die als ungerecht empfundene Kritik aus aller Welt zu artikulieren. Dazu passt auch das nur wegen besonderer Bestimmungen gegen NS-Belastete überhaupt mögliche Einreiseverbot für Grass. Liberale Israelis halten den Schritt indes für einen peinlichen Eingriff in die Meinungsfreiheit, zumal das Gedicht nichts an deutscher Unterstützung für Israel ändere.

Für Deutschland steht aus israelischer Sicht nicht Grass, sondern Angela Merkel. Vor vier Jahren hatte die Bundeskanzlerin vor der Knesset, dem israelischen Parlament, vor der Bedrohung, die von einer iranischen Atombombe für die Sicherheit und Existenz Israels ausgehe, gewarnt. Sie fühle sich, wie jeder ihrer Vorgänger, der besonderen Verantwortung Deutschlands für den jüdischen Staat verpflichtet, sagte Merkel und kam dann zur entscheidenden Passage: "Diese historische Verantwortung Deutschlands ist Teil der Staatsräson meines Landes. Das heißt, die Sicherheit Israels ist für mich als deutsche Bundeskanzlerin niemals verhandelbar. Und wenn das so ist, dann dürfen das in der Stunde der Bewährung keine leeren Worte bleiben."

Obwohl sich Merkel auf die Kontinuität deutscher Politik berief, formulierte Merkel vor der Knesset eine Solidarität mit Israel, die es in dieser Konsequenz bis dahin nicht gegeben hatte. Was im Rückblick gerne verklärt wird zur geraden Traditionslinie der Bundesrepublik, war in der Wirklichkeit oft zweideutiger. Im Luxemburger Abkommen über Wiedergutmachungszahlungen an Israel hatte sich Konrad Adenauer 1952 mehr als von moralischen Erwägungen vom Wunsch leiten lassen, seine Politik der Westanbindung abzusichern. Auch die Aufnahme diplomatischer Beziehungen 1965 waren nach Einschätzung des Politikwissenschaftlers Markus Weingardt weniger historischem Bewusstsein als einer "nahostpolitischen Zwickmühle" geschuldet, aus der sich Kanzler Ludwig Erhard zu befreien trachtete. Weil Ägypten mit einem Empfang für den DDR-Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht gegen die Hallstein-Doktrin verstieß, wurde es mit der Anerkennung Israels durch Westdeutschland bestraft.

U-Boot-Verkauf in der Tradition der Vorgänger

Über die Jahrzehnte blieb die deutsche Nahost-Politik geprägt vom Wunsch, Israel zu unterstützen, ohne die arabischen Staaten allzu sehr zu verprellen. Im Sechs-Tage-Krieg erklärte sich Deutschland für neutral. Auf deutsche Waffenlieferungen aber konnte sich Israel in der meisten Zeit verlassen.

So steht die Bundesregierung mit dem von Grass besonders beklagten Verkauf eines U-Bootes an Israel voll und ganz in der Tradition ihrer Vorgänger. Das erste von mittlerweile sechs U-Booten des Typs Dolphin war 1999 in Haifa eingelaufen, zur Amtszeit des SPD-Kanzlers Gerhard Schröder. Die neue Besonderheit der Beziehungen drückt sich weniger in Waffenlieferungen aus als in einer Nähe zu Israel, die Kritiker der Regierung Netanjahu provoziert. Typisch war ein Treffen Merkels mit Netanjahu im April 2011 im Kanzleramt. Zur Verblüffung auch vieler deutscher Experten erteilte Merkel "einseitigen Anerkennungen" eine Absage, obwohl damals die Drohung mit einer UN-Aufnahme der Palästinenser in den meisten europäischen Hauptstädten als probates Druckmittel gegen die Siedlungspolitik Israels galt.

In der alltäglichen Praxis sind die Beziehungen Deutschlands zu Israel vor allem deshalb speziell, weil die Bundesrepublik sich einem äußerst Israel-kritischen Mainstream in der Europäischen Union verweigert. Zwar beharrt die Bundesregierung wie der Rest der Welt auf einer Zwei-Staaten-Lösung und einem Ende des Siedlungsbaus, sie vermeidet es aber, die israelische Führung in ihrer Wagenburg-Mentalität zu bestärken. Israel braucht Deutschland als einen der wenigen verbliebenen wohlwollenden Partner, weshalb Netanjahu wütende Anrufe Merkels angeblich besonders fürchtet. Selbst die Palästinenser nutzen mittlerweile deutsche Drähte nach Jerusalem.

In Deutschland selbst hat Merkels Wort von der Staatsraison zuletzt vor allem die Furcht vor der Verstrickung in einen militärischen Konflikt zwischen Israel und Iran geschürt. In diesem Zusammenhang steht auch das Gedicht von Grass, das auch als ein Appell zur Beendigung der Sonderbeziehungen gelesen werden kann. Ein Appell, der nachklingen wird, wenn die Vorschläge des Dichters zur Atomkontrolle vergessen sind.

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