Deutsch-amerikanisches Verhältnis:"Die Berlin-Blockade machte die 'bösen' Deutschen zu den Guten"

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Von einem Trümmerberg aus winken West-Berliner Kinder 1948 einem "Rosinenbomber" zu, einem US-amerikanischen Transportflugzeug, das Versorgungsgüter in die eingeschlossene Stadt bringt. (Foto: picture alliance/dpa)

Vor 70 Jahren startete die Berliner Luftbrücke. Der Historiker Philipp Gassert erklärt, wie die USA und Westdeutschland zu engen Partnern wurden - und wie sich die Ära Trump auf das Verhältnis auswirkt.

Interview von Barbara Galaktionow

Derzeit blicken viele Deutsche befremdet auf die USA und ihren Präsidenten Donald Trump. Dabei ist es noch gar nicht so lange her, dass die Bundesrepublik und die Vereinigten Staaten sich einander eng verbunden fühlten. Ihren Ausgang nahm diese Special Relationship im Juni 1948. In diesem Monat riefen die USA den Marshallplan ins Leben, mit dem sie dem kriegsgebeutelten Deutschland wirtschaftlich wieder auf die Beine halfen. Am 24. Juni begannen sie außerdem gemeinsam mit den anderen West-Alliierten, die von der Sowjetunion eingeschlossenen West-Berliner aus der Luft mit den lebenswichtigsten Gütern zu versorgen.

Historiker Philipp Gassert von der Uni Mannheim spricht im SZ-Interview über die amerikanische Hilfe für Westdeutschland, über linken und rechten Antiamerikanismus sowie über neue, beuruhigende transatlantische Bündnisse.

SZ: Wie wichtig war die Luftbrücke für das deutsch-amerikanische Verhältnis?

Philipp Gassert: Mit der Luftbrücke änderte sich der amerikanische Blick auf Deutschland. Am Ende des Zweiten Weltkriegs waren Deutschland und USA Feindstaaten. Durch die sowjetische Blockade Berlins wurden die bisher "guten" Russen gewissermaßen "böse", während die bislang "bösen" Deutschen zu Guten wurden. Die amerikanische Dämonologie drehte sich im beginnenden Kalten Krieg um.

Wurden umgekehrt auch die USA damals für die West-Deutschen von Siegern zu Verbündeten?

Da muss man nach Generationen differenzieren. Deutsche, die damals kleine Kinder waren, bekamen dadurch ein positives Bild von den Amerikanern. Es gibt ja diese Erzählungen, dass GI's in ihren Jeeps kamen, oft auch Schwarze, die Bonbons, Hershey-Schokolade oder Weißbrot verteilt hätten. Das hat viel mit Genuss und Essen vor dem Hintergrund von Hunger und Entbehrung und Not zu tun. Die Älteren, also diejenigen, die das Dritte Reich und den Zweiten Weltkrieg als Erwachsene erlebt hatten, blieben lange Zeit sehr viel skeptischer. Die Umerziehung durch die Amerikaner und deren Demokratisierungspolitik waren bis in die späten 1950er Jahre ein großes, oft negativ konnotiertes Thema, vor allem im bürgerlich-konservativen Spektrum.

Berlin blieb weiterhin der Ort, an dem sich der Kalte Krieg symbolisch niederschlug. Wie wirkte sich der Mauerbau auf das Amerikabild Deutschlands aus?

Der Mauerbau war für die Deutschen ein Schock. Sie mussten realisieren, dass es kein Zurück mehr zum alten ungeteilten Deutschen Reich geben würde. Sie merkten, dass die Amerikaner den Mauerbau einfach hinnahmen und die Einflusssphäre der Sowjetunion akzeptierten. Die Bild-Zeitung macht damals mit der Schlagzeile auf: "Kennedy tut nichts".

Nur zwei Jahre später kam dieser US-Präsident dann nach West-Berlin, sagte "Ich bin ein Berliner", und alle jubelten ihm zu. Wie passt das zusammen?

Den Kennedy-Besuch steht in einer Reihe wichtiger Staatsbesuche in Deutschland. 1962 macht Charles de Gaulles eine triumphalen Reise, wendet sich mit großer Rhetorik an die deutsche Jugend in Ludwigsburg, auch die Queen wird begeistert begrüßt. Und worum geht es da? Die Deutschen laufen mit dem Stigma des Nationalsozialismus herum. Durch symbolische Angebote westlicher Staatsoberhäupter sehen sie sich reintegriert in die Weltgemeinschaft. Kennedys Erklärung ist auch eine Garantie der USA für die Unversehrtheit West-Berlins. Außerdem kann man mal wieder so richtig jubeln, was nach Hitler gegenüber deutschen Politikern etwas peinlich geworden war.

Vor dem Hintergrund der Bedrohung durch die Sowjetunion hat die Mehrheit der Deutschen bis zur Wiedervereinigung ein positives Bild von den Vereinigten Staaten.

Es gab immer eine mehrheitlich proamerikanische Haltung der Deutschen, für ein enges Bündnis zu den USA, auch zu Krisenzeiten wie im Vietnamkrieg und in den 1980er Jahren, während der Proteste gegen den Nato-Doppelbeschluss. Eine völlig andere Situation als heute: Derzeit vertrauen nur noch etwa 15 Prozent der Deutschen dem US-Präsidenten.

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Auch in der alten Bundesrepublik gab es Phasen mit antiamerikanischen Strömungen. Etwa die 68er und ihr Protest gegen den Vietnamkrieg. Kam die Kritik immer von links?

Nein, das war kein Phänomen nur der Linken: In den Fünfzigerjahren waren CDU und CSU die proamerikanischen Parteien, Bundeskanzler Konrad Adenauer betreibt die Anbindung an den Westen und ins westliche Verteidigungsbündnis, die Nato. In den Sechzigerjahren ändert sich das: Jetzt wird die SPD die proamerikanische Partei. Kennedy und Willy Brandt, damals Regierender Bürgermeister von Berlin, verstehen sich. Die beiden repräsentieren die nächste Politikergeneration. Sie haben ähnliche Vorstellung von der Modernisierung der Gesellschaft, aber auch in Bezug auf die Frage: Wie gehen wir mit dem Osten um? Die "Detente" von Kennedy entspricht der Ostpolitik der SPD-Politiker Brandt und Egon Bahr. Die Union verweigert sich den Lockerungsbemühungen nach Osten und steht daher im Konflikt mit den Amerikanern.

Beide betreiben also Entspannungspolitik in dem Sinn, dass sie den Status quo anerkennen?

Genau, Wandel durch Annäherung, das war die Formel von Bahr. Im Grunde das, was Trump jetzt mit Nordkorea macht. Nach dem Mauerbau war klar, die alte antikommunistische Abgrenzungspolitik führte nicht weiter, also sollte eine Art Kommunikation ermöglicht werden. Die Ostpolitik sollte auf Basis der Anerkennung des Status quo die Dinge wieder ins Rollen bringen. Das hat ja auch geklappt. Es hat die DDR in den Siebzigern und Achtzigern wirklich ins Schleudern gebracht. Erst Helmut Kohl setzte durch, dass die Konservativen ihren Widerstand aufgaben und seine Partei die Ostverträge anerkannte.

Dennoch wurde der Vorwurf, "antiamerikanisch" zu sein, meist gegen die Linke erhoben. Sei es bei den Protesten gegen den Vietnamkrieg in den Sechzigerjahren oder bei den Demonstrationen gegen den Nato-Doppelbeschluss in den frühen Achtzigern. Halten Sie den Vorwurf für zutreffend?

Unter "Antiamerikanismus" verstehe ich eine negative Auffassung der Vereinigten Staaten, ein Vorurteil, das auf sämtliche Amerikaner undifferenziert angewendet wird. In dem Sinn hat es sowohl unter Rechten als auch Linken Antiamerikanismus gegeben. Doch bei den Protesten gegen den Vietnamkrieg ging es um die Ablehnung des US-Imperialismus. Zugleich sahen sich die Kritiker, die Widerständler in einer Verbindung mit den USA, nämlich im Schulterschluss mit der US-Protestbewegung. Auch das amerikanische Protestrepertoire wurde nach Deutschland importiert: Sit-in, Walk-in - diese Begriffe sind bis heute nicht ins Deutsche übersetzt. Das Interessante ist doch, dass es gleichzeitig zwei transatlantische Allianzen gab. Es gab diejenigen in Deutschland, die die Politik der USA stützten. Und die Protestler, die ihre Gegenallianz hatten, also "mit Amerika gegen Amerika" demonstrierten.

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Auf der anderen Seite war gerade für die Linke und jüngere Deutsche noch etwas anderes wichtig: die amerikanische Popkultur.

Joschka Fischer würde wohl sagen, dieses Amerika war janusköpfig: Auf der einen Seite das imperialistische Amerika, das in Vietnam Krieg führte. Auf der anderen Seite das Amerika, das uns mit seiner Populärkultur von dem alten deutschen Muff, der Disziplin und dem Militarismus befreite. Diese Lockerheit, die heute eigentlich selbstverständlich ist, wurde damals stark mit Amerika identifiziert. Das bürgerliche Spektrum in der frühen BRD lehnte das stark ab. Die Konservativen waren überzeugt, dass die geistigen Antriebskräfte gegen den Kommunismus nur aus Europa stammen könnten. Rock'n'Roll hielten sie einfach für blödsinnig.

Auch in Ostdeutschland hat dieser weiche kulturelle Einfluss Amerikas sich geltend gemacht. Popkultur war dort, vielleicht stärker noch als im Westen, mit einem Freiheitsversprechen verbunden. Wie weit ging das?

Populärkultur hat in den Nachkriegsjahrzehnten sehr viel damit zu tun, dass sich Gesellschaften öffnen und liberalisieren. Rock'n'Roll oder später Punk und Hip Hop gab es auch in der DDR. Das war nicht im Sinne der SED-Führung und wurde verfolgt. Unter völlig unterschiedlichen politischen Bedingungen hat diese amerikanische Populärkultur in beiden deutschen Staaten dazu beigetragen, die herrschende Ideologie und Gesellschaftsordnung zu untergraben und traditionelle Vorstellungen von Autorität und Hierarchie aufzuweichen.

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Heute hat man nicht mehr den Eindruck eines speziellen bilateralen Verhältnisses zwischen Deutschland und den USA. Endete diese Bindung als Folge der Wiedervereinigung?

Es ist vor allem eine Folge des Endes des Kalten Krieges. Diese Special Relationship hatte sehr viel damit zu tun, dass Deutschland in dieser Auseinandersetzung der Frontstaat war und daher extrem wichtig als Mitglied der westlichen Allianz. Nach Ende des Kalten Krieges änderte sich die geopolitische Situation. Die USA waren auf einmal die einzige verbleibende Supermacht. Das ist ihnen nicht gut bekommen. Sie stürzten sich in weltpolitische Abenteuer - vor allem nach dem 11. September. Der Umschwung der US-Außenpolitik zu einem Superimperialismus hat das deutsch-amerikanische Bündnis stark in Mitleidenschaft gezogen wurde. Hinzu kommt die Europäisierung, die gewandelte Rolle Deutschlands in Europa. Deutschland ist die Zentralmacht in Europa, sie müsste eigentlich mehr Verantwortung übernehmen, macht es aber nicht.

Wie reagierten die Vereinigten Staaten darauf?

Die USA orientierten sich schon länger zunehmend in Richtung Pazifik, schon unter George W. Bush, verstärkt unter Barack Obama. Was Trump jetzt mit Nordkorea macht, ist eine Konsequenz daraus. Das hängt natürlich auch mit China zusammen. Hier gibt es eine langfristige Akzent- und Interessenverschiebung, relativ unabhängig davon, wer in den USA regiert. Der Atlantik wird weniger wichtig - und damit das deutsch-amerikanische Verhältnis.

Schaut man sich an, wie Deutsche die US-Präsidenten bewerten, fällt auf, dass demokratische Präsidenten - vor allem Obama - extrem positiv beurteilt werden, republikanische demgegenüber stark abfallen. Dabei unterscheidet sich die Politik, die sie machen, oft gar nicht so sehr voneinander. Haben die Deutschen einen irrationalen Blick auf die US-Politik?

Obama wurde hier so enthusiastisch gefeiert, weil er einen Kontrast zu unseren Politikern darstellt. Angela Merkel gilt als zuverlässig und vertrauenswürdig, aber irgendwie wenig inspirierend. Manchmal wünschen wir uns eben so einen Obama oder Kennedy. Enttäuschungen sind dann vorprogrammiert, denken sie an die Handy-Affäre, den Drohnenkrieg oder eben den Mauerbau. Einen Teil unserer eigenen politischen Erwartungen projizieren wir auf US-Präsidenten. Das hat mehr mit uns selbst zu tun als mit der Realität der US-Politik. Es ist nicht irrational, eher selbstbezogen. Wir machen eine Aussage über uns selbst, wenn wir Bush verdammen und Obama feiern. Amerika war lange der Maßstab unserer eigenen Hoffnungen.

Philipp Gassert erforscht die Geschichte der transatlantischen Beziehungen und hat zahlreiche Schriften insbesondere zum Wandel des deutsch-amerikanischen Verhältnisses seit dem Zweiten Weltkrieg veröffentlicht. Er ist Inhaber des Lehrstuhls für Zeitgeschichte an der Universität Mannheim und Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Amerikastudien. (Foto: oH)

Gilt das auch für Trump?

Sicher: Trump verstört, weil er ein so völlig anderer Akteur ist. Weil er die bisherigen Spielregeln der Politik nicht akzeptiert. Er twittert frei heraus, er ändert seine Meinung schnell, er hält sich nicht an die Regeln, er bindet die Verbündeten nicht ein. Obama oder Bush haben rhetorisch stets diese Verbeugungen vor dem verbündeten Deutschland eingebaut. Trumps Rhetorik ist eine völlig andere. Er sagt, alles sei nur Maskerade und Spielerei und er sei einfach ehrlich. Bei manchen in Deutschland kommt Trump mit seiner Art und seiner Politik auch gut an.

Sie sprechen von der AfD?

Es bildet sich eine Art transatlantische Allianz der äußersten Rechten, der nationalistischen, emigrationsfeindlichen Rechten heraus. Das ist eine Realität, mit der wir uns stärker auseinandersetzen müssen.

Also ist unser Verhältnis zu den USA unter Trump deshalb so gespalten, weil es nicht unserem Sehnsuchtsbild entspricht?

Es fällt uns schwer, derzeit in den USA Dinge zu identifizieren, die uns als vorbildlich erscheinen. Aber wir sind auch nicht mehr dieses abgehängte Land wie noch 1950. Deutschland und die USA haben sich in vielen Bereichen angeglichen. Zugleich hat sich die geopolitische Situation verändert. Wir sind, von unserer atomaren Verteidigung abgesehen, weniger abhängig von den USA als früher.

Dass das Verhältnis jetzt nicht mehr so eng ist, liegt also nicht nur an Trump, sondern auch an der Entwicklung in Deutschland?

So kann man es sagen. Es zeigt, dass Deutschland eine gefestigte Demokratie mit einer prosperierenden Gesellschaft und Wirtschaft ist. Eine Gesellschaft, die nicht ohne Probleme ist, aber nicht mehr davon abhängig, sich Ideen aus den Vereinigten Staaten liefern zu lassen. Früher war Amerika für uns dieses Land der Zukunft, das ist heute viel weniger so.

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