Deutsch-amerikanische Beziehungen:In Deutschland gilt auch US-Recht

Warum Edward Snowden nicht nach Deutschland kommen darf? Hier droht Auslieferung statt Asyl. Denn für die Bundesregierung ist die Partnerschaft mit den USA wichtiger als Recht und Verfassung. Eine bittere Erkenntnis.

Ein Gastbeitrag von Josef Foschepoth

Edward Snowden darf weitere drei Jahre in Russland bleiben und auch frei ins Ausland reisen. Sollte er je deutschen Boden betreten (was Snowden selbst und viele Deutsche sich wünschen) - nach welchem Recht würde man diesen Whistleblower hier behandeln? Als in den vergangenen Monaten über Aufenthaltsmöglichkeiten für Snowden diskutiert wurde, wurden drei Optionen genannt.

Erstens, das Asylrecht - es schied aus, weil ein Antrag auf Asyl nur von einer Person gestellt werden kann, die sich bereits im Lande aufhält. Eine zweite Möglichkeit wäre, Snowden nach dem Aufenthaltsgesetz aufzunehmen, das einem Ausländer "aus völkerrechtlichen oder dringenden humanitären Gründen eine Aufenthaltserlaubnis" ermöglichen kann. Dies lehnte die Bundesregierung ab. Auch die dritte Möglichkeit lehnte sie ab: Den Whistleblower nur für eine Zeugenvernehmung durch den parlamentarischen NSA-Untersuchungsausschuss ins Land zu lassen.

Partnerschaft mit den USA ist Teil der deutschen Staatsräson

Die deutsch-amerikanischen Beziehungen stellen einen höheren Wert dar als die Aufklärung der geheimdienstlichen Angriffe der USA auf die freiheitlichen Grundrechte der Bundesbürger. Eine Einreise Snowdens, aus welchen Gründen auch immer, wäre deswegen der politische Super-GAU. Die Bundesregierung würde in die Entscheidung gezwungen, sich zwischen den Interessen der USA und dem verfassungsrechtlich garantierten Schutz der Grundrechte zu entscheiden. Um dies zu verhindern, darf Snowden deutschen Boden erst gar nicht betreten.

Die Sicherheitspartnerschaft mit den Vereinigten Staaten ist zentraler Bestandteil der deutschen Staatsräson. Sie steht gleichsam über Recht und Verfassung.

In der Bundesrepublik gilt auch US-Recht

Die Ziele der amerikanischen Seite, wie sie sich seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs herausgebildet haben, waren: Erstens die Eindämmung der deutschen Gefahr durch Einbindung der Bundesrepublik in den Westen. Zweitens die Entwicklung Deutschlands zu einem verlässlichen Bündnispartner mit minderen Rechten. Drittens die Sicherung und langfristige Nutzung der geostrategischen Lage der Bundesrepublik für die Sicherung und Ausweitung des amerikanischen Imperiums.

Josef Foschepoth

Der Autor ist Professor für Zeitgeschichte an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg.

Die deutschen Ziele korrespondierten mit denen der USA. Nur durch die Einbindung in den Westen war ein demokratischer Neuanfang möglich. Eine dauerhafte Stationierung amerikanischer Truppen und spezifisch deutsches NATO-Recht haben die Sonderrechte der USA dauerhaft gesichert und fortgeschrieben - bis heute. Nicht von ungefähr ist die Bundesrepublik, nach Afghanistan, der größte amerikanische Militärstandort.

Die Privilegien der USA reichen von der Steuer- und Zollfreiheit über die Mitfinanzierung der militärischen Infrastruktur, die Übernahme von Sozialleistungen für deutsche Zivilangestellte bis zu Vergünstigungen für amerikanische Firmen, die bestimmte Dienstleistungen, unter anderem im Geheimdienstbereich, für die US-Truppen in Deutschland erbringen. Dazu kommen Sonderrechte im Bereich der Strafgerichtsbarkeit und Strafverfolgung.

In Deutschland gilt nicht nur deutsches Recht, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel mehrfach betont hat, sondern auch amerikanisches Recht.

Snowden könnte vor Militärgericht angeklagt werden

Wer Soldat der amerikanischen Armee ist, Mitglied des sogenannten zivilen Gefolges, oder zu deren Angehörigen zählt, untersteht auch in Deutschland amerikanischem Recht beziehungsweise Militärrecht. Zum zivilen Gefolge gehören Zivilpersonen, die bei der Armee angestellt sind oder in amerikanischen Firmen arbeiten, die ausschließlich Dienstleistungen für die Armee erbringen, zum Beispiel für die Datenverarbeitung.

Von Edward Snowden wissen wir, dass er nicht nur für die CIA gearbeitet hat, sondern auch für die NSA und die DIA (Defense Intelligence Agency), beide unterstehen dem US-Verteidigungsministerium. Es ist durchaus möglich, dass Snowden, sollte er nach Deutschland kommen, vor einem Militärgericht angeklagt wird. Denkbar wäre auch, dass die US-Militärbehörden in Deutschland - von welchem Gericht in den USA auch immer - um Amtshilfe gebeten würden. Die Schwere der Straftaten (Spionage, Verrat von Amtsgeheimnissen, Diebstahl von geheimen Staatsdokumenten), die Snowden vorgeworfen werden, lässt dies sogar vermuten. In der Zeit der alten Bundesrepublik ist mancher Straftäter mit Unterstützung deutscher Behörden in die USA ausgeflogen worden.

USA stehen Privilegien laut Nato-Statut zu

Nach Artikel VII des Nato-Truppenstatuts von 1951 haben die amerikanischen Militärbehörden das Recht, innerhalb der Bundesrepublik "die gesamte Straf- und Disziplinargerichtsbarkeit" über alle dem amerikanischen Militärrecht unterworfenen Personen auszuüben. Sie haben ferner das Recht, "die ausschließliche Gerichtsbarkeit in Bezug auf diejenigen Handlungen, einschließlich Handlungen gegen die Sicherheit dieses Staates, auszuüben, welche nach dem Recht des Entsendestaates, jedoch nicht nach dem Recht des Aufnahmestaates strafbar sind".

Zu den strafbaren Handlungen gegen die Sicherheit des Staates gehören Hochverrat, Spionage oder Verletzung eines Gesetzes, das sich auf die Amtsgeheimnisse bezieht oder Geheimnisse im Zusammenhang mit der Landesverteidigung der Vereinigten Staaten. Die Behörden der Bundesrepublik und der USA unterstützen sich gegenseitig bei der Strafermittlung, der Sicherung von Beweismitteln, sowie bei der Festnahme und Übergabe beschuldigter Personen an die zuständigen Militärbehörden der USA.

Zusätzliche Abkommen regeln Sicherheit der US-Truppen in Deutschland

In dem nur mit den Deutschen abgeschlossenen Zusatzabkommen zum Nato-Truppenstatut wurde der Personenkreis, auf den sich die Verpflichtung zu engster Zusammenarbeit bezieht, noch erheblich erweitert.

Die Zusammenarbeit erstreckt sich "auf die Förderung und Wahrung der Sicherheit sowie den Schutz des Vermögens der Bundesrepublik, der Entsendestaaten und der Truppen, namentlich auf die Sammlung, den Austausch und den Schutz aller Nachrichten, die für diese Zwecke von Bedeutung sind". Und - "auf den Schutz des Vermögens von Deutschen, Mitgliedern der Truppen und der zivilen Gefolge und Angehörigen sowie von Staatsangehörigen der Entsendestaaten, die nicht zu diesem Personenkreis gehören."

Immer wieder musste sich die Bundesrepublik in der Vergangenheit verpflichten, Verwaltungsabkommen und Vereinbarungen mit den USA zu treffen, die die Sicherheit der USA und ihrer Truppen in Deutschland gewährleisteten.

Deutsche Behörden sind zu enger Zusammenarbeit verpflichtet

Nach der Wiedervereinigung wurde eine Änderung des Zusatzabkommens zum Nato-Truppenstatut nötig. Das, was früher die amerikanischen und deutschen Geheimdienste unter sich erledigt hatten, muss nun unter Beteiligung eines Amtsrichters erfolgen. Die deutschen Strafverfolgungsbehörden sind weiterhin zu enger Zusammenarbeit mit den amerikanischen Militärbehörden verpflichtet, zum Beispiel bei der Ermittlung des Aufenthaltsortes eines Gesuchten.

Ist der Aufenthaltsort bekannt, muss der Verfolgte vorläufig festgenommen und unverzüglich dem Richter des nächsten Amtsgerichtes vorgeführt werden. Der Richter vernimmt den Verfolgten "über seine persönlichen Verhältnisse, insbesondere über seine Staatsangehörigkeit". Er teilt ihm die Gründe für die Festnahme mit und klärt ihn über seine Rechte auf.

Hält der Richter die Voraussetzungen für die vorläufige Festnahme für gegeben und das Ersuchen um Übergabe für gerechtfertigt, ordnet er an, dass der Verfolgte unverzüglich an die zuständige Militärbehörde der USA übergeben wird, andernfalls wird der Verfolgte freigelassen.

USA würden nicht auf ihre Rechte und Möglichkeiten verzichten

Die im Grundgesetz garantierten Grundrechte der körperlichen Unversehrtheit, der Freiheit der Person und der Unverletzlichkeit der Wohnung werden dadurch ausdrücklich eingeschränkt beziehungsweise außer Kraft gesetzt.

Es ist nicht vorzustellen, dass die USA ausgerechnet bei einem so prominenten "Spion" und "Verräter", den sie in Edward Snowden sehen, auf ihre Rechte und Möglichkeiten verzichten, die ihnen nach amerikanischem Recht zustehen - dessen Gültigkeit die Bundesrepublik ausdrücklich anerkannt hat.

Sollte die Bundesregierung sich weigern, bei der Festnahme und Übergabe von Edward Snowden zu helfen, so würde das die über sechzig Jahre gewachsene Sicherheitspartnerschaft in ihre schwerste Krise stürzen.

So bitter die Erkenntnis für alle ist, die in Edward Snowden einen mutigen Whistleblower sehen, darf er deutschen Boden nicht betreten. Die Bundesregierung wird seine Auslieferung an die amerikanischen Behörden nicht verhindern, sondern ermöglichen, ob aus rechtlichen oder politischen Gründen. Denn das entspricht der deutschen Staatsräson.

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