Desinformation:Propaganda mit gefälschten SZ-Videos

Lesezeit: 3 min

Unbekannte missbrauchen die Marke der "Süddeutschen Zeitung" für prorussische Propaganda. Dass die Fakes viele Menschen erreicht haben, ist aber unwahrscheinlich.

Von Jannis Brühl, Benedikt Heubl und Simon Hurtz, Berlin/München

Leere Lebensmittelregale. Olaf Scholz vor der Turbine für die Pipeline Nord Stream 1. Männer mit Deutschlandfahnen. Polizisten, die auf Demonstranten einschlagen. Die Bilder in den Videos haben nichts miteinander zu tun, aber jemand hat sie zusammengeschnitten, um beim Zuschauer Unruhe auszulösen. Dazu elektronische Klänge, die wohl unheimlich klingen sollen. Die eingeblendeten Texte haben immer denselben Tenor: Die Deutschen würden unter den Sanktionen gegen Russland leiden, sie seien wütend, der "Wirtschaftskrieg" gegen den Kreml müsse enden. Ohne eine Quelle zu nennen, wird auf "eine Umfrage" verwiesen, der zufolge die Mehrheit der Befragten meint, die Bundesregierung "macht zu wenig für ihre BürgerInnen". Die obere Ecke der Videos zeigt das SZ-Logo der Süddeutschen Zeitung.

Doch die Videos sind gefälscht, sie sind prorussische Propaganda. Sie stehen im Netz nicht auf der echten Webseite der SZ, sondern auf gefälschten Seiten. Deren Macher haben einigen Aufwand darauf verwendet, im vermeintlichen Namen der SZ Stimmung gegen den proukrainischen Kurs der Bundesregierung zu machen. Die Gestaltung der Webseite, die Webadresse oben im Browser, das SZ-Logo, der farbige Untergrund der eingeblendeten Texte: All das ist der SZ nachempfunden. Teils täuschend echt, teils dilettantisch.

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Offensichtlich ist die Marke der SZ für eine Kampagne missbraucht worden, mit der Unbekannte seit Wochen große deutsche Medien imitieren. Mit den einigermaßen echt wirkenden Videos streuen sie prorussische Botschaften. Die Urheber versuchen augenscheinlich jene Menschen zu erreichen, die bekannten Medien vertrauen und obskure Kanäle eher meiden, beispielsweise den in Russland entwickelten Messenger Telegram, auf dem sich nationalistische Gruppen tummeln.

Dutzende große Nachrichtenseiten wurden für die Kampagne nachgebaut, darunter finden sich Imitationen von Spiegel, T-Online, Bild, Welt und FAZ. Erstmals berichteten ZDF und T-Online Ende August darüber. Bundesnachrichtendienst und Bundesverfassungsschutz prüfen den Fall. Täuschend echte Fakes wurden auch von internationalen Medien wie der britischen Daily Mail erstellt.

Rechtschreibfehler und ungelenke Formulierungen

Das Vorgehen ist immer gleich. Die Macher registrieren Domains, die den Originalen ähneln, etwa sueddeutsche.me statt sueddeutsche.de. Unvorsichtige Nutzer sollen den Unterschied beim schnellen Blick auf die Webadresse nicht gleich bemerken. Solche sogenannten Top-Level-Domains kosteten in diesem Fall vermutlich nur eine Handvoll Euro. Der Domain-Inhaber ist aber in entsprechenden Online-Verzeichnissen nicht zu finden, er hat seine Identität verschleiert, versteckt sich hinter der Firma Privacy Guardian, die sich auf derartige Anonymisierungen spezialisiert hat.

"Eine außergewöhnliche Mischung aus Raffinesse und Holzhammermethode": Auszug aus einem gefälschtem Youtube-Video. (Foto: youtube/screenshot)

Optisch sind die Video-Klone fast perfekt, inhaltlich eher billig. Artikel und Untertitel der Videos strotzen vor Rechtschreibfehlern und ungelenken Formulierungen, manchmal tauchen Wörter in kyrillischen Buchstaben auf. Zur Verbreitung setzen die Unbekannten auf soziale Medien. Sie teilen die Links auf Twitter und Facebook, teils in Form bezahlter Anzeigen, teils als Beiträge im Kommentarbereich von Facebook-Seiten wie der des Goethe-Instituts. Die SZ hat sich wegen des Missbrauchs an Facebook gewandt. Der Konzern erklärte jedoch, er könne nichts tun, weil die Videos von außerhalb stammten und auf Facebook lediglich auf sie verlinkt werde. Im Netz war am Mittwoch zumindest eines der Videos nicht mehr erreichbar.

Um die gefälschten Seiten zu teilen, kamen auch Fake-Konten zum Einsatz. Per Software wurden Hunderte automatisiert erstellt. Sie weisen auffällige Gemeinsamkeiten auf wie computergenerierte Profilfotos, die keine realen Menschen zeigen, und verbreiten massenhaft Propaganda-Links.

Die Hintermänner erfassen auch den Internetverkehr auf den gefälschten Seiten, so wurde in die falschen SZ-Seiten ein sogenannter Redirector eingebaut. Mithilfe der Website-Umleitung kann der Verursacher sehen, von wo aus die Seite wie oft aufgerufen wird. Diese Technik ist fester Bestandteil der Kampagne.

Der Aufwand war wohl größer als der Ertrag

Einige der verwendeten Videoschnipsel sind im Internet wiederzufinden und stammen aus der Zeit vor dem Beginn des Krieges. Das zeigen Analysen frei verfügbarer Daten aus dem Netz. Mit der Bildsuche von Suchmaschinen und Screenshots der Videos lassen sich viele Schnipsel zeitlich zuordnen. Das deutet darauf hin, dass die Akteure sich auf billiges, frei verfügbares Archivmaterial stützen, welches sie sich von Plattformen wie Youtube holen. Ein Schnipsel etwa zeigt eine Szene, in der Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer im Januar von Demonstranten verbal angegangen wurde. Die Schnipsel sind jeweils etwa fünf Sekunden lang, was auf einen gewissen Grad der Software-Automatisierung hinweist. Die Fälscher wollten wohl nicht alles per Hand zusammenschneiden.

Trotz all dieser Tricks hält sich der messbare Erfolg der Desinformation in Grenzen. Man findet zwar viele Fake-Accounts, aber kaum Reaktionen auf die Videos, die sie verbreiteten. Stichprobenartige Überprüfungen zeigen, dass die Links zu den Fälschungen selten bis nie von echten Menschen geteilt wurden. Auch auf Telegram spielten die Fakes keine Rolle. Dort existieren etliche große Gruppen und Kanäle, die sich inhaltlich auf russischer Propaganda-Linie bewegen. Trotzdem tauchen die nachgebauten Seiten dort fast nie auf. Allem Anschein nach war der Aufwand für die Kampagne größer als ihr Ertrag.

Bei Verdacht: Liebe Leserinnen und Leser, sollten Sie auf manipulierte oder verdächtige Internetseiten aufmerksam werden, die mit dem Logo und im Stil der Süddeutschen Zeitung erscheinen und möglicherweise gefälscht sind, schicken Sie uns gern an debatte@sz.de eine E-Mail mit dem entsprechenden Link.

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