Desinformation:Geheimdienste warnen vor Russland
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Die CIA glaubt, Putin habe die US-Wahl zugunsten Trumps beeinflusst. BND und Verfassungsschutz sind überzeugt, Moskau stecke hinter der Veröffentlichung geheimer Bundestagsakten bei Wikileaks. Ist das erst der Anfang der digitalen Einmischung?
Von Georg Mascolo und Nicolas Richter
Im Frühjahr bat Bundeskanzlerin Angela Merkel ihre Geheimdienste herauszufinden, ob sich Russland in die deutsche Politik einmischt, ob es falsche Informationen streut, Staatsgeheimnisse ausspäht und verrät, ja sogar versucht, Wahlen zu beeinflussen. Auslöser war der Fall Lisa: Die Jugendliche, eine Russlanddeutsche aus Berlin, hatte sich als Opfer südländischer Vergewaltiger dargestellt, wobei sich herausstellte, dass dies eine Lüge war. Allerdings hatten russische Staatsmedien mit dem Fall Stimmung gegen arabische Einwanderer in Deutschland gemacht, und das Kanzleramt vermutete, dass die russische Regierung damit Merkels Flüchtlingspolitik angreifen wollte.
Der Verdacht gegen Russland hat sich, seitdem Süddeutsche Zeitung, NDR und WDR Anfang des Jahres erstmals darüber berichteten, zu einem Großthema entwickelt. Was Merkel in Deutschland vermutete, soll in den USA so ähnlich tatsächlich geschehen sein: Im Sommer tauchten plötzlich interne E-Mails der Demokratischen Partei auf der Enthüllungsplattform Wikileaks auf, sie waren peinlich für die Partei und besonders für die demokratische Kandidatin Hillary Clinton. Die Demokraten beschuldigten sofort Moskau, die E-Mails gehackt und an Wikileaks gegeben zu haben, um Clinton zu blamieren und ihrem republikanischen Gegner Donald Trump zu helfen.
Der Kreml stört mit Absicht den politischen Frieden
Glaubt man westlichen Geheimdiensten, ist aus dem Verdacht gegen Moskau etwas gereift, das sich der Gewissheit nähert. Sicherheitsexperten Deutschlands und der USA geben sich überzeugt, dass der Kreml mit Absicht den politischen Frieden im Westen stören will. Und sich dabei gern der Dienste von Wikileaks bedient. Bruno Kahl, der Chef des Bundesnachrichtendienstes (BND), warnte kürzlich vor Cyber-Angriffen, "die keinen anderen Sinn haben, als politische Verunsicherung hervorzurufen".
Vorher schon hatten deutsche Sicherheitsexperten im Bundestag erklärt, Russland wolle die Entschlossenheit und Einheit des Westens "unterminieren", die deutsche Gesellschaft spalten: Die hier lebenden russischsprachigen Bürger sollten regelrecht "gegen den deutschen Staat aufgehetzt werden", sagte Hans-Georg Maaßen, Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV). Verantwortlich hierfür sei das Direktorat Außenpolitik des russischen Präsidialamts - also der Kreml von Wladimir Putin. Auslöser soll die Ukraine-Krise sein, seit der die Kanzlerin für Sanktionen gegen Russland kämpft.
Diese These verfestigt sich auch in den Vereinigten Staaten. Die CIA soll ausgewählten US-Senatoren erklärt haben, Russland habe nicht nur versucht, das Vertrauen in die Demokratie zu zersetzen, sondern es sei auch "ziemlich klar", dass Moskau gezielt Donald Trump geholfen habe. Wie die Washington Post berichtet, hätten die US-Dienste demnach "Personen mit Verbindungen zur russischen Regierung" identifiziert, die das E-Mail-Material der Demokratischen Partei an Wikileaks weitergegeben hätten. Dies sei "Konsens" unter US-Diensten.
Wenn sich Geheimdienste einer Sache sehr sicher sind, heißt das allerdings nicht unbedingt, dass sich die Öffentlichkeit genauso sicher sein muss. Zweifel kamen sofort auch aus dem US-Kongress: "Seid skeptisch bei Behauptungen ungenannter Experten", verlangte der republikanische Abgeordnete Justin Amash bei Twitter. Nicht zu vergessen ist ein mögliches politisches Interesse der scheidenden Regierung Barack Obamas, Trump und Putin bloßzustellen.
Die Russland-These ist also von Indizien gestützt, aber nicht bewiesen. Um die Sache aufzuklären, hat der Bundesnachrichtendienst (BND) nach der Bitte Merkels seinen Arbeitskreis PsyOps ("Psychologische Operationen") eingesetzt und das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) die Arbeitsgruppe "Sputnik", eine Anspielung auf den ersten sowjetischen Satelliten. Offenbar fühlt man sich von den Russen eingekreist, aber sie operieren weit weg, im dunklen Raum. Die Ergebnisse der Arbeitsgruppen sollen im Januar bekannt werden, aber es zeichnet sich ab, was die Experten denken: Die Russen spuken im Netz.
Für eine Rolle Russlands spricht, dass Putin mit dem Westen im Streit liegt, und es spricht dafür auch eine Systematik: Mal werden geheime Dokumente wie Bundestagsakten oder Demokraten-E-Mails an Wikileaks durchgestochen, mal schüren russische Medien Unruhe, indem sie etwa den Fall Lisa ausschlachten. Für eine russische Rolle sprechen auch technische Hinweise. "Die Spuren, die im Internet hinterlassen wurden, erwecken den Eindruck, als habe man geradezu demonstrieren wollen, was man alles kann", sagt BND-Chef Kahl. Beim Hackerangriff auf den Bundestag 2015, beim Angriff auf deutsche Politiker in diesem Herbst und auch beim Angriff auf den Server der Demokratischen Partei in Amerika führen jeweils Spuren zu der Hackergruppe APT 28, die von westlichen Diensten Russland zugerechnet wird.
Wild-West-Methoden der Spionage
Das Problem der Cyberwelt aber ist es, dass hier eindeutige Belege meist fehlen, einschließlich einer direkten Spur in den Kreml. Auch fehlen öffentlich zugängliche Beweise dafür, dass das Material absichtlich bei Wikileaks abgeliefert wurde. Schwierig ist es auch, einzelnen Tätern einen klaren Regelverstoß zuzuordnen. Hier rächt es sich, dass im Cyberspace keine verbindlichen Regeln gelten, sondern nur die Wild-West-Methoden der Spionage. Das Hacken einer politischen Partei gilt jedem Dienst als erlaubt, auch dem BND und der NSA. Als ungehörig gilt dem Westen allein das Veröffentlichen solchen Materials.
Bei so vielen offenen Fragen mag es erstaunlich wirken, mit welcher Vehemenz die Chefs der Geheimdienste öffentlich vor den Russen warnen. Aber es ist Teil einer Strategie: Das Kanzleramt und das Weiße Haus wollen Moskau abschrecken. Der Kreml soll wissen, dass man sein Spiel - wenn es eines ist - durchschaut hat. Dass man sich Gegenangriffe vorbehält. Die Russen sollen gewarnt werden vor möglichen Folgen. Vielleicht kommt daher auch der Name der BfV-Arbeitsgruppe Sputnik: Der kleine sowjetische Satellit funkte drei Wochen lang und verglühte dann im All.