Der Weg nach Berlin:Kampf um Platz sechs

Früher hat Judith Skudelny sich am liebsten mit Punks darüber gezofft, wer denn eigentlich wirklich spießig ist. Doch auf dem Parteitag der baden-württembergischen FDP sind nicht Punks die Gegner, sondern Parteifreunde. Es geht um die wenigen Listenplätze für die Bundestagswahl.

Roman Deininger, Stuttgart

Politiker "sind doch alle gleich", lautet das Pauschalurteil vieler Deutscher. Sind sie nicht. Die Süddeutsche Zeitung begleitet bis zur Bundestagswahl 2013 sieben Menschen aus sieben Parteien auf ihrem Weg in die Politik - Fehler, Rückschläge und Niederlagen inklusive.

Vor ein paar Wochen saß Judith Skudelny in einem Stuttgarter Café in der Herbstsonne. Sie sagte, dass sie Spaß habe an der Auseinandersetzung, auch mal am Streiten: "Wo andere es persönlich nehmen, laufe ich erst warm." Mit 18 Jahren sei sie zu den Jungen Liberalen gegangen, und am liebsten habe sie sich mit Punks darüber gezofft, wer denn hier nun wirklich spießig ist. Am Samstag im Schwarzwald, der Herbst hat nur noch Kälte und Nebel übrig. Die baden-württembergische FDP nominiert in der Villinger Tonhalle ihre Bundestagsliste für 2013 - ein Prozess, der unweigerlich einigen Teilnehmern den Spaß an der Auseinandersetzung verderben wird.

Hier sind nicht Punks die Gegner, sondern Parteifreunde. Skudelny, 37, ist 2009 in den Bundestag eingezogen. Damals hat ihr Platz zwölf gereicht. Nun tritt sie für Platz sechs an - recht viel mehr als sechs Mandate werden für die Südwest-Liberalen wohl auch nicht abfallen, sollte die FDP die Fünf-Prozent-Hürde überhaupt packen. Wenn Skudelnys Karriere also weitergehen soll, muss sie die schwere Kampfabstimmung um Platz sechs gewinnen. Gegen Birgit Reinemund, die Vorsitzende des Bundestags-Finanzausschusses.

Skudelnys Mutter ist mit in der Halle, sie ist aufgeregter als ihre Tochter. Skudelnys Mann ist verreist, die Kinder sind bei seinen Eltern. Sie wird sie abends abholen und wenn sie dann heimkommt nach Leinfelden bei Stuttgart, wird eine Freundin aus Australien auf sie warten. Das sei ganz gut, sagt Skudelny, weil Freundinnen aus Australien nur eine vage Vorstellung davon haben, was Liberale bei einem Listenparteitag treiben. "Egal wie es ausgeht", sagt sie, "wir werden was trinken."

Sind das nur die Stuttgarter Delegierten, die jubeln?

Skudelny und Reinemund müssen lange warten auf ihren Moment. Während sich vorne im Saal Birgit Homburger und Walter Döring bekriegen, die Bewerber um Platz eins, unterhalten sich die Bewerberinnen um Platz sechs hinten so freundlich, als wollten sie sich das Ding einfach teilen. Die Nervosität kommt erst langsam. Skudelnys Büromitarbeiter gibt ihr einen Klaps auf die Schulter, es geht ja auch um seinen Job.

Reinemund redet zuerst - freundlicher Applaus. Bei Skudelny wird es schnell lebhafter. Die FDP müsse den "Elefanten Union bewegen", sagt sie. Sind das nur ihre Stuttgarter Delegierten, die jubeln? Beim Bezirksverband Kurpfalz, bei Reinemunds Leuten, rührt keiner einen Finger. Skudelny konzentriert sich auf wenige Punkte aus ihrer Arbeit, etwa Energiepolitik. Eine gute Idee, weil vor und nach ihr fast jeder Redner Europa höchstpersönlich rettet. Dann muss sie warten, verfrühte Gratulationen abwehren. Um 16 Uhr gibt der Wahlleiter dann bekannt: 121 Stimmen für Reinemund, 270 für Skudelny. Platz sechs. Es ist längst dunkel, als sie nach Hause fährt, die Kinder holen. Und dann irgendwie der Freundin aus Australien erklären, was sie heute so erlebt hat.

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