Der Weg der Milliarden:Russische Waschmaschine

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Zwielichtige Hintermänner, Briefkastenfirmen, Scheingeschäfte und ehrbare Kaufleute - wie mutmaßliches Schwarzgeld aus Osteuropa in die Kassen deutscher Firmen kam.

Von Hannes Munzinger

Vier Zahlungen waren es. Zusammen eine sechsstellige Summe für Herren- und Damenbekleidung. Ein russischer Kunde. Eigentlich keine Besonderheit bei Bogner, der Münchner Modefirma. Die Luxus-Skihosen, Lederjacken oder Handtaschen haben ihren Preis. Da sieht man es Kunden schon mal nach, wenn sie beim Überweisen etwas schlampig sind, die Rechnungsnummer vergessen oder sogar den Namen. Trotzdem wurde die Rechnung irgendwie bearbeitet. Und da ist es dann vielleicht nicht weiter auffällig, wenn nicht der Kunde selbst bezahlt, sondern eine Firma mit Sitz in London, von einem Konto in Lettland. Die Buchhalter bei Bogner machte das jedenfalls offenbar nicht stutzig. Das Geldwäschegesetz verpflichtet nur ausgewählte Branchen zu besonderer Sorgfalt. Zum Beispiel Finanzdienstleister, Anwälte oder Juweliere. Modeunternehmen hingegen nicht. Die vier Überweisungen an Bogner, weiß man aber heute, waren offenbar russisches Schwarzgeld. Und jetzt war das Geld gewaschen und in Umlauf. Im November 2013 war das.

Im Jahr darauf deckten Journalisten des Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP, siehe Kasten unten) ein gigantisches Geldwäsche-System auf, das mutmaßlich von Russland aus gesteuert wurde. Sie nannten es "The Russian Laundromat" - die russische Waschmaschine. Dem OCCRP und der russischen Tageszeitung Nowaya Gazeta wurden seither Daten zugespielt, die Einblick in die Mechanik des Geldwäsche-Systems ermöglichen. Medien aus 32 Ländern, darunter die Süddeutsche Zeitung und der britische Guardian, haben die Daten gemeinsam ausgewertet.

Sie zeigen, dass in den Jahren 2010 bis 2014 Schwarzgeld in Höhe von mindestens 20,7 Milliarden US-Dollar aus Russland in die Europäische Union flossen. Und sie legen nahe, dass die tatsächliche Summe noch weitaus größer gewesen sein dürfte.

Insgesamt 662 Fälle konnten in Deutschland nachverfolgt werden

Wer besitzt so viel Geld, und warum muss er es ins Ausland bringen? "Offensichtlich war es entweder gestohlenes Geld oder aus krimineller Herkunft", sagt eine Direktorin der lettischen Finanzmarktaufsicht, nachdem sie vom OCCRP auf die Sache aufmerksam gemacht worden war. Die Aufklärer vermuten eine Gruppe sehr reicher Oligarchen als Hintermänner - reich auch an politischem Einfluss. Das Geld wurde immer auf dieselbe aufwendige Weise verschoben: Die Drahtzieher nutzten zwei Briefkastenfirmen in Großbritannien, die von bezahlten Scheindirektoren geleitet wurden. Dann schlossen die beiden einen Vertrag miteinander. Die eine Firma gewährte der anderen einen Millionen-Kredit. Als Bürgen setzten sie einen moldauischen Strohmann ein und eine dritte Firma mit Sitz in Russland. Auf deren Konten lag das Schwarzgeld.

Doch der Kredit wurde nie ausbezahlt, es war ein klassisches Scheingeschäft. Das hinderte die Drahtzieher allerdings nicht, von der Schuldner-Firma eine Rückzahlung zu fordern. Da neben der russischen Firma auch der Moldauer bürgte, zogen sie vor ein moldauisches Gericht. Dort urteilten die Richter prompt: Die Bürgen müssten einspringen. Die Sache war nur, dass die Richter vermutlich bestochen waren und wussten, dass das Ganze ein Scheingeschäft war. Wie auch immer: Die russische Firma überwies das Schwarzgeld auf Konten der moldauischen Moldindconbank. Die richterliche Anordnung gab allem den legalen Anstrich. Gerichtsvollzieher leiteten das Geld weiter auf Konten, die die britische Briefkastenfirma bei der lettischen Trasta Komercbanka eröffnet hatte. Damit war das Geld in der EU. Nun konnte es weiterverteilt und ausgegeben werden. Auch in Deutschland.

Erklär-Video, So funktioniert das Geldwäsche-System (Video: Süddeutsche Zeitung)

Wenn dieses Video nicht abgespielt wird, können Sie es unter diesem Link aufrufen.

In einem Datensatz von etwa 70 000 Überweisungen konnte die Süddeutsche Zeitung 662 Fälle identifizieren, in denen das Geld von den lettischen Konten genutzt wurde, um in Deutschland Rechnungen zu bezahlen. Firmen oder Menschen aus Russland, der Ukraine oder Weißrussland kauften Produkte im Einzelhandel oder ließen sich Waren liefern. Die Bezahlung übernahmen immer die Briefkastenfirmen. 66,5 Millionen US-Dollar landeten auf diesem Weg in den Büchern deutscher Unternehmen oder bei Privatpersonen. Die Liste liest sich wie ein Luxus-Einkaufszettel: Rolex-Uhren für eine halbe Million, getunte Autos, teure Kleidung.

Bei Bogner bestreitet man nicht, das Geld erhalten zu haben. Man habe aber keinen Anlass gesehen, an der Legalität der Zahlungen zu zweifeln. Obwohl eine britische Briefkastenfirma für einen der wenigen russischen Vertragspartner bezahlte? Bogner lässt mitteilen, dass man sich reorganisiere, "um auch Transparenz und Risikosteuerung zu optimieren".

Aber Bogner war bei Weitem nicht allein. Die Geldwäscher finanzierten neben Luxusartikeln auch den Import von Maschinen- und Anlagenteilen, Lebensmitteln oder Baustoffen nach Russland. Ein deutscher Lebensmittelkonzern verschickte 15 Tonnen Blätterteig nach Moskau. Der Chemie-Riese BASF verkaufte Lacke im Wert von mehr als 1,6 Millionen Euro. Das Unternehmen teilt mit, man habe keine Verdachtsmomente gegen die Auftraggeber gehabt.

Einer der Hintermänner ist offenbar Alexeij Krapivin. Er soll die höchsten Zahlungen aus dem System erhalten haben. Mehrere Hundert Millionen Dollar. Viel ist nicht über ihn bekannt. Sein Vater war ein Berater und alter Freund Wladimir Jakunins, der lange die russischen Staatsbahnen leitete und immer wieder dem Vorwurf ausgesetzt war, staatliche Aufträge in Millionenhöhe an unbekannte Unternehmen zu vergeben, die ihre wahren Eigentümer verschleierten. Jakunin gilt als enger Freund des russischen Staatschefs Wladimir Putin und wurde nach der russischen Annexion der Krim mit US-Sanktionen belegt.

Viele der deutschen Unternehmen, die in dem Datensatz auftauchen, sind nicht bereit, die Namen der Käufer und Geschäftspartner offenzulegen. Der Münchner Elektronikkonzern Rohde & Schwarz, Hersteller von Überwachungstechnologie für Polizei, Militär und Geheimdienste, teilte mit, man richte sich bei allen Aktivitäten nach geltenden Gesetzen und Vorgaben. Das Unternehmen soll den russischen Firmen, hinter denen die mutmaßlichen Geldwäscher stehen, Waren im Wert von mehr als 950 000 Euro verkauft haben.

Wer der Spur des Geldes quer durch Deutschland folgt, stößt aber auch auf mittelständische Familienbetriebe, viele Zwischenhändler, zum Beispiel für Industriebedarf. Am Telefon klingt ein Geschäftsführer verunsichert, er könnte viel erzählen, werde das aber nicht tun. Auf weitere Anfragen reagiert er nicht mehr. Andere erzählen freimütig, weit mehr Zahlungen erhalten zu haben als zunächst ersichtlich. Wieder andere, unauffällige Kleinunternehmen, leisten sich teure Medienanwälte, die alle Nachfragen kategorisch abblocken. Ermittlungen deutscher Behörden zu diesen Fällen sind bislang nicht bekannt. Das Bundeskriminalamt teilte lediglich mit, man habe keine Erkenntnisse über dieses Geldwäschesystem.

In Moldau versuchen unterdessen Ermittler des nationalen Zentrums gegen Korruption, die Betreiber der Geldwaschmaschine vor Gericht zu bringen. 14 beteiligte Richter haben sie bereits angeklagt. Ihnen wird vorgeworfen, vorsätzlich rechtswidrige Urteile gefällt und an Geldwäsche mitgewirkt zu haben. Gegen vier Gerichtsvollzieher und sieben Mitarbeiter der Moldindconbank wird ebenfalls ermittelt. Über Konten dieser moldauischen Bank flossen allein fünf der 20,7 Milliarden Dollar von der Russischen Landbank (RZB). In deren Direktorium wiederum saß zu dieser Zeit ein Cousin des russischen Präsidenten: Igor Putin.

In Moskau ist man offenbar verärgert wegen der Ermittlungen. Laut einer Erklärung des moldauischen Parlaments wurden in den vergangenen Monaten 25 moldauische Beamte, Militärangehörige, pro-europäische Politiker und sogar der Chef des nationalen Zentrums gegen Korruption an russischen Grenzen oder Flughäfen festgesetzt und stundenlang verhört. Das moldauische Parlament jedenfalls geht davon aus, dass diese Vernehmungen kein Zufall waren.

© SZ vom 21.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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