Süddeutsche Zeitung

Der Tod von Bin Laden: Panne im Weißen Haus:Eine fehlende Waffe und eine bedrohliche Bewegung

Wie starb Osama bin Laden wirklich? Fest steht, dass der Al-Qaida-Chef unbewaffnet war. Doch Barack Obamas Anti-Terror-Berater John Brennan informierte die Presse in diesem und mindestens einem weiteren Punkt falsch. Nun hat das Weiße Haus alle Hände voll zu tun, den Schaden zu begrenzen - damit der Triumph des Präsidenten nicht getrübt wird.

Oliver Das Gupta

Als Jay Carney, der Sprecher des Weißen Hauses, vor die Washingtoner Presse tritt, ist er um seinen Auftritt nicht zu beneiden. Es geht um entscheidende Details der Kommandoaktion gegen Al-Qaida-Führer Osama bin Laden. Carney muss Schadensbegrenzung betreiben - und wirkt wohl deshalb fahrig, und verhaspelt sich.

Es geht um die Frage: Wie starb Amerikas Staatsfeind Nummer eins wirklich? Denn es war zumindest nicht so, wie es aus dem Weißen Haus am Tag zuvor berichtet wurde.

Carney versucht bei seiner Pressekonferenz eine Scharte auszuwetzen, für die ein anderer Kopf der US-Administration verantwortlich ist: John Brennan. Der war als Anti-Terror-Berater des Präsidenten im situation room dabei, als Barack Obama die geheime Aktion im fernen Pakistan verfolgt hat.

Brennan war es auch, der nach der abendlichen Rede des Präsidenten offen über Details der Tötung Bin Ladens plauderte. Es klang nach Kampf bis zum Ende, weit entfernt von allem, was in irgendeiner Form den Ruch einer Hinrichtung haben könnte - für die Bewertung der Völkerrechtler ist es von entscheidender Bedeutung, ob von vornherein eine Tötungsabsicht bestand.

US-Medien wie die Washington Post kolportieren folgende Sätze Brennans, die später von der Presse in aller Welt übernommen wurden: "He was engaged in a firefight with those that entered" sowie "(Bin Laden had been) hiding behind women who were put in front of him as a shield."

Zu Deutsch: Bin Laden habe sich hinter Frauen als menschlichen Schutzschilden versteckt, er sei bei einem Schusswechsel getötet worden.

Falsch, muss Regierungssprecher Carney nun eingestehen. Bin Laden sei "nicht bewaffnet" gewesen, kann also auch nicht auf die US-Soldaten geschossen haben. Und auch die Version von dem menschlichen Schutzschild ist laut Obamas Sprecher nicht zutreffend.

Brennans Schilderung vom Vortag entpuppen sich als peinliche Kommunikationspanne, die den ohnehin kursierenden Verschwörungstheorien neue Nahrung geben könnte.

Der Coup ist in Gefahr

Dabei konnte Präsident Barack Obama anfangs hochzufrieden sein. Der Schlag gegen den Staatsfeind Nummer eins war bislang weitgehend positiv aufgenommen worden: Regierungen aus aller Welt drückten den Amerikanern Anerkennung aus, Blitzumfragen ergaben, dass die meisten US-Bürger die waghalsige Unternehmung goutieren, Obamas Zustimmungswerte gehen nach oben.

Die Aktion galt bislang als Coup - nun drohen die unrichtigen Aussagen, diese öffentliche Wirkung der Mission zu vermasseln.

Um es nicht dazu kommen zu lassen, gibt Carney weitere Details zum Ablauf preis. Demnach kamen die gut zwei Dutzend Navy Seals mit zwei Hubschraubern. Ein Team nahm sich ein kleineres Haus auf dem Gelände vor, die zweite Gruppe stürmte das größere Gebäude. Dort kam es in der ersten Etage zu einem Feuergefecht. Dabei starben Carney zufolge zwei Männer - bei einem davon handelte es sich um den Kurier, der die Amerikaner unfreiwillig zu dem Versteck geführt hatte. Außerdem wurde eine Frau tödlich verletzt, ob durch die Amerikaner oder die Al-Qaida-Kämpfer bleibt offen. "In Crossfire", sagt der Pressesprecher, sie starb beim Schusswechsel.

Danach drangen die Soldaten in die anderen beiden Stockwerke vor. Dort habe man die Familie Bin Ladens gefunden, sagt Carney. Im dritten Stock stießen sie schließlich auf den Terrorpaten und seine Frau. Es habe zuvor die Sorge gegeben, Bin Laden würde sich einer Gefangennahme widersetzen - "und in der Tat: Er leistete Widerstand", so Obama-Sprecher Carney in seinem eilig vorgetragenen Statement.

Seinen Worten zufolge sei die Frau auf die Soldaten zugestürmt, daraufhin schoss man ihr ins Bein. "Bin Laden was then shot and killed", sagt der Sprecher knapp, auf Bin Laden sei anschließend geschossen worden, er starb dabei. Er sei unbewaffnet gewesen. Einen Schusswechsel im dritten Stock erwähnt er nicht.

Nachfrage eines Journalisten, der aus Versehen "Obama" sagt und "Osama" meint: Wie habe sich der Terrorführer gewehrt, wenn er unbewaffnet gewesen ist?

Carney weist daraufhin, dass man keine Feuerwaffe haben müsse, um sich zu wehren. Dann stellt er fest, dass er zu diesem Punkt nichts Weiteres sagen könne, aber er sei sich sicher, dass weitere Details folgen würden.

Noch eine Reporterfrage: "Hatte Bin Laden irgendeine Waffe?"

Carney: "Er war nicht bewaffnet, soweit ich verstanden habe."

Bedrohliche Bewegung

Erhellender sind die Ausführungen, die andere zu der heiklen Causa beitragen: CNN etwa zitiert einen anonymen Offiziellen, der nicht nur erwähnt, dass man auf dem Areal keine Wachen angetroffen habe. Die Quelle erläutert, was Regierungsprecher Carney damit meint, wenn er sagt, Osama bin Laden habe sich "gewehrt": Er habe eine "bedrohliche Bewegung gemacht" - was auch immer das zu bedeuten hat.

Die Navy Seals fürchteten wohl, dass ihre Zielperson einen Sprengstoffgürtel angelegt haben könnte, schließlich waren seit Beginn der Aktion etliche Minuten vergangen - Zeit genug, ein Selbstmordattentat nach Al-Qaida-Manier vorzubereiten: "Sie wussten nicht, ob Bin Laden den Finger auf einem Knopf hatte", sagt der republikanische Kongressabgeordnete Mike Rogers der Washington Post.

Und John Bellinger III., Mitglied im Nationalen Sicherheitsrat unter Obamas Vorgänger George W. Bush, erklärt der New York Times, wenn "dieser extrem gefährliche Kerl" jemandem im Raum "zunickt" oder man glaube, er trage eine "Selbstmörderweste", dann habe man allen Grund ihn umzubringen.

Das Online-Magazin politico.com meldet unter Berufung auf drei Quellen, Bin Laden habe Bargeld im Wert von 500 US-Dollar sowie zwei Telefonnummern in seine Kleidung eingenäht gehabt - dies wird als Zeichen gewertet, dass der Al-Qaida-Chef bereit war, notfalls in Sekundenschnelle zu fliehen.

Deutlich wird auch der Mann, der die Kommandoaktion dirigierte: CIA-Direktor Leon Panetta räumt im Gespräch mit dem Sender NBC ein, der Befehl an die Sondereinheit habe gelautet, den aus Saudi-Arabien stammenden Terroristen zu töten. "Aber dazu gehörte auch", versichert der CIA-Chef, "wenn Bin Laden plötzlich die Hände erheben und anbieten würde, sich gefangen nehmen zu lassen, die Elitesoldaten die Chance hätten, ihn gefangen zu nehmen."

So hat es Carney, der Sprecher des Weißen Hauses nicht formuliert. Aber seine Aufgabe war es schließlich vor allem, Brennans falsche Darstellungen zu revidieren - und seinen Präsidenten zu schützen.

Obama selbst hatte bislang keinen Grund zur Korrektur. In seiner Rede am 1. Mai hatte der Staatschef den Tod Osama bin Ladens nur geschildert, aber offenbar zutreffend.

"After a firefight, they killed Osama bin Laden" - so hat es Obama selbst in seiner Rede an die Nation ausgedrückt: "Nach einem Feuergefecht töteten sie Osama bin Laden." Nach dem Gefecht also, nicht im Gefecht.

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