Der neue Westerwelle:Im Amt Mensch geworden?

Guido Westerwelle

In einem Interview des Stern zeigt sich Guido Westerwelle sehr offen

(Foto: dpa)

Alles nur Show oder echte Wandlung? In einem Interview mit dem "Stern" bekennt sich Guido Westerwelle wie nie zuvor zu seinen Fehlern, zeigt sich verletzlich und redet selten offen über seine Homosexualität. Vielleicht brauchte er das Amt, um zu sich selbst zu finden.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Wer ist eigentlich dieser Guido Westerwelle? Ja, ok, Außenminister ist er. Ex-FDP-Chef. Der 18-Prozent-Mann. Derjenige, der die Liberalen 2009 zu ihrem größten Triumph geführt hat. Und kaum anderthalb Jahre später vom Hof gejagt wurde.

Alles bekannt. Aber wer ist er wirklich? Wer ihm regelmäßig begegnet, bekommt so viele Westerwelles zu sehen, dass einen das Gefühl beschleicht, da sitze eine multiple Persönlichkeit. Mal Spaß-Politiker, mal Staatsmann, mal Lautsprecher, mal Sirene, mal Analytiker, mal Populist. Und von allem immer eine Spur zu viel.

Nur wenige in der FDP gibt es, die von sich behaupten können, den wahren Guido Westerwelle kennengelernt zu haben. Den, der mal nicht in Schutzpanzer und Angriffsrüstung unterwegs ist. Und selbst die sagen, dass das nur seltene Momente sind, in denen sie Westerwelle so erleben durften.

Egal welche Seite Westerwelle von sich zeigt, immer hat es den Anschein, dass es dafür einen strategischen Grund gibt.

Jetzt hat der Außenminister dem Stern ein bemerkenswert offenes Interview gegeben. Eines, in dem er eigene Fehler nicht nur ganz allgemein irgendwie für möglich hält, sondern sie konkret benennt. Eines, in dem er seine Homosexualität bespricht wie selten zuvor. Eines, in dem er zugesteht, Schwächen zu haben. Vor wenigen Jahren noch wäre so ein Interview mit Westerwelle unmöglich gewesen.

Verletzt sei er gewesen, sagt er. Weil er in der Zeit seiner Metamorphose vom FDP-Superstar zum Grabschaufler des Liberalismus "von Menschen persönlich attackiert wurde, bei denen ich mir sicher war, dass sie nicht nur politisch, sondern auch menschlich eng und verlässlich mit mir verbunden waren". Wenn gerade die unter den Ersten seien, "die sich besonders abschätzig äußern, dann lernt man daraus fürs Leben".

Seine schwerste Zeit, sein größter Fehler

Seine schwerste Zeit aber sei die nach dem Tod von Jürgen Möllemann gewesen. Es stimme wohl, dass er in beiden Phasen wie versteinert gewirkt habe. "Man zieht Schutzmauern um sich hoch", sagt Westerwelle. Das Jahr nach Möllemanns Tod "war für mich das mit Abstand schlimmste meines politischen Lebens".

Und seine größten Fehler? "Ich habe vor allem einen schweren Fehler begangen. Nach der Wahl 2009 habe ich zu lange gebraucht, um vom Wahlkämpfer und Oppositionsführer in die Mechanismen, Techniken und Kommunikationsformen einer Regierung reinzufinden. Ich hätte anfangs nicht drängen, sondern gelassen erkennen müssen, dass eine Legislaturperiode vier Jahre dauert."

Auch das: völlig richtig. Fast täglich ist er damals genau darauf angesprochen worden. Westerwelle aber wirkte nach den 14,6 Prozent wie in einem Rausch, wie im Tunnel. Zu einer distanzierten Betrachtung seiner Rolle war er nicht fähig.

Ähnlich erging es ihm mit seiner Äußerung über die "spätrömische Dekadenz". Als der Begriff fiel, hat er ihn bis aufs Blut verteidigt. Nicht mal für die Möglichkeit, Hartz-IV-Empfänger beleidigt zu haben, wollte er sich entschuldigen.

Im Stern sagt er jetzt: "Es ärgert mich ungemein, dass ich diesen Begriff verwendet habe. Er war einfach töricht. Es hieß, ich hätte Sozialhilfeempfänger beschimpft. So hatte ich es aber gar nicht gemeint, ich wollte bloß klarmachen, dass sich Leistung lohnen muss. Auf diese Weise aber habe ich mir den Vorhang selbst zugezogen."

Ein spätes, aber ungemein ehrliches Bekenntnis.

Kontakt zum Boden

Über seine Homosexualität hat er jahrelang nicht gesprochen. Seinen Lebenspartner Michael Mronz hat er auf Reisen mitgenommen, die Beziehung damit öffentlich gemacht. Aber darüber reden wollte er lange nicht. Jetzt aber spricht er offen über die Anfeindungen von Politikern und seine persönlichen Erfolge:

"Sehen Sie das bitte mal mit meinen Augen. Als ich schon nicht mehr FDP-Chef war und in Berlin meinen 50. Geburtstag gefeiert habe, kamen Repräsentanten aller Parteien und gesellschaftlichen Kräfte, einschließlich der Kirchen. Für jemanden, der 1980 angefangen hat, als Schwuler zu studieren und die Kießling-Wörner-Affäre erlebt hat, ist das eine große menschliche Freude und ein Triumph für die Gesellschaft."

Der weißrussische Despot Lukaschenko hat mal nach einem Besuch Westerwelles öffentlich gesagt: "Besser Diktator als schwul." Bis heute kämen "die schrecklichsten Droh- und Schmähbriefe ins Auswärtige Amt, oft mit Namen und Adresse." Aber die Absender seien doch nur (hier gibt er dem CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt noch einen mit) "eine kleine, schrille Minderheit".

Guido Westerwelle wird menschlicher. Erst kürzlich hat er sich für ein Porträt im SZ-Magazin geöffnet. Jetzt dieses Interview. Also: Was bitte soll das, wenige Wochen vor der Bundestagswahl? Ist das alles doch nur wieder eine Strategie, nur Taktik, nur der berechnete Versuch, sich gut zu verkaufen, sein ramponiertes Image aufzupolieren?

"Zum Staatsmann wird man im Rückblick"

Zuzutrauen ist ihm das. "In der Demokratie hat jeder eine zweite, dritte oder auch vierte Chance." Er will sie haben, seine nächste Chance. Das ist offensichtlich. Das mag der Grund sein, weshalb er sich jetzt von dieser sehr persönlichen Seite zeigt.

Aber vielleicht ist es auch ganz ok so. Nach gut 20 Jahren auf der politischen Überholspur hat er gegen Ende der ersten Wahlperiode im Auswärtigen Amt offenbar zu einer gewissen Gelassenheit im Umgang mit sich selbst gefunden.

Ob ihn der Begriff Staatsmann reize, fragt ihn der Stern. "Übertreiben Sie nicht. Zum Staatsmann wird man im Rückblick", antwortet Westerwelle. Früher wäre so eine Frage eine Steilvorlage gewesen. Er hätte sich aufgeplustert und in wortreicher Demonstration seiner Bescheidenheit so ein Etikett weit von sich gewiesen. Nur geglaubt hätte es ihm niemand.

Ist das jetzt ein neuer Westerwelle? Sicher nicht. Aber ein anderer. Ein veränderter. Wenn er nicht wieder allen etwas vormacht, dann hat das Amt einen Menschen aus ihm gemacht, der zu sich und seinen Macken stehen kann. Andere verlieren in solchen Ämter den Kontakt zur Realität. Westerwelle hat es vielleicht gebraucht, um den Kontakt zu sich und zum Boden wieder zu finden. Mal sehen, ob das anhält.

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