Der Gatte der künftigen Kanzlerin:Hauptsache, die Chemie stimmt

Bisher hat sich Joachim Sauer, der Professor an Angela Merkels Seite, öffentlich rar gemacht. Er redet nicht mit Journalisten. Nun steht er vor dem Beginn eines größer angelegten Feldversuchs.

Marcus Jauer

Die Frage ist doch, ob man jemanden beschreiben kann, der nicht mit einem reden will.

Merkel Sauer ddp

Joachim Sauer mit seiner Gattin

(Foto: Foto: ddp)

Joachim Sauer redet nicht mit Journalisten. In den letzten Wochen haben es wieder welche versucht, in den Monaten zuvor auch, eigentlich versuchen sie es seit Jahren, aber alles, was sie bisher von ihm bekommen haben, sind zwei Sätze.

"Meine Person steht in keinem Verhältnis zu der politischen Arbeit von Angela Merkel. Deshalb bin ich für die Öffentlichkeit auch nicht interessant."

Sauer ist Wissenschaftler, Quantenchemiker, einer der besten des Landes. Außerdem ist er Ehemann von Angela Merkel, Politikerin und bald erste Bundeskanzlerin des Landes. Joachim Sauer findet, dass das eine nichts mit dem anderen zu tun hat. Deshalb redet er nicht. Aber versuchen kann man es ja mal.

Er arbeitet am Institut für Chemie der Humboldt-Universität. Ein neues Gebäude aus rotem Stein, das in einem Wissenschaftspark in Adlershof liegt, weit draußen am Rande Berlins. Auf den Fluren reihen sich Labors aneinander, Schaubilder zeigen komplizierte Moleküle, Menschen in weißen Kitteln hantieren mit Reagenzgläsern und Bunsenbrennern.

Es sind Experimentalchemiker. Joachim Sauer ist das nicht. Auf dem Flur, auf dem sein Büro liegt, gibt es nur Computer, groß wie Schränke, und eine Sekretärin, klein und freundlich. Ihr Gesicht verrät nicht, ob ihr Chef-die Tür zu seinem Zimmer ist nur angelehnt-gerade nebenan sitzt. "Er wird sich bei Ihnen melden", sagt sie.

Die fast heimliche Heirat

Bis dahin liest man ein paar Dinge, die schon bekannt sind über ihn. Sie sind es vor allem deshalb, weil sie fast alle mit Angela Merkel zu tun haben.

In den Biografien, die über sie erschienen sind, steht, dass Joachim Sauer 1949 in Sachsen geboren wurde, in Hoyerswerda, als Sohn eines Konditormeisters. Mit 20 Jahren heiratet er eine Schulfreundin, sie bekommen zwei Jungen, Daniel und Adrian, die bei der Mutter bleiben, als die Ehe später auseinander geht. 1998 heiratet er Angela Merkel. Da ist er 49, sie 44.

Es ist für beide die zweite Ehe. Sie schließen sie fast heimlich. Zur Trauung laden sie weder Eltern noch Trauzeugen. Erst Tage darauf steht eine Annonce von der Größe einer Streichholzschachtel in der Zeitung: "Wir haben geheiratet."

In den Interviews, die Angela Merkel zu Beginn ihrer Karriere gegeben hat, findet sich kaum ein Satz über Joachim Sauer. Erst in letzter Zeit erzählt sie, dass sie sein Selbstbewusstsein möge, seine Ruhe und Distanz zu vielen Dingen, und dass er dennoch ein fröhlicher Mensch sei. Ein "prima Kerl", wie sie sagt.

Auf den Fotos, die entstehen, wenn die beiden die Festspiele in Bayreuth besuchen, sieht man einen sportlichen, attraktiven Mann, der sehr angestrengt lächelt. Er mag die Oper, sie auch, aber nicht den Auftritt. Als sie zuletzt in Bayreuth waren, antwortet sie einem Reporter, der sie auf dem roten Teppich fragt, was sie heute Abend denn trage: "Ein Kleid." Und er antwortet der Dame, die am Tisch ein wenig Konversation treiben will und fragt, ob er nun an der Freien oder an der Humboldt-Universität arbeite, nur mit: "Ja."

Dabei ist das wahrscheinlich die einzige Sache, für die Joachim Sauer auch bekannt wäre, wäre er nicht der Mann von Angela Merkel - seine Arbeit.

Er beschäftigt sich mit Zeolithen, Siliziumoxiden. Der Laie würde sagen Sand. Aber der Laie sieht im Sand auch nur die Körner. Joachim Sauer sieht Moleküle, die sich zu unregelmäßigen Gittern verbunden haben. Es gibt in ihnen Hohlräume wie in einem Schwamm, in die kann man etwas hineinbauen. Einen Katalysator zum Beispiel, einen Stoff, der eine chemische Reaktion beschleunigt, die Aufspaltung von Erdöl etwa.

Dafür werden Zeolithe heute millionentonnenfach verwendet, gerade deshalb versucht man sie wirksamer zu machen. Das Problem aber ist, dass die Hohlräume für die Katalysatoren so klein sind, dass keiner sie sehen kann. Man kann nur versuchen, sie zu berechnen, dann erhält man eine Formel, die beschreibt ein Bild, doch es bleibt ein Modell. Die Chemie des Joachim Sauer ist unsichtbar. Sie lebt von der Berechnung, nicht vom Experiment.

Promotion mit 28 Jahren

Er war erst 28 Jahre, aber bereits promoviert, als er nach Adlershof kam. Damals befand sich hier noch die Akademie der Wissenschaften der DDR. 27000 Leute, die Forschungselite des Landes, saßen hinter einem Zaun in Baracken und Plattenbauten, nur ein Reaktor, dessen Form an ein Molekül erinnert, steht davon heute noch.

Menschen, die mit Joachim Sauer in jener Zeit an der Akademie gearbeitet haben, beschreiben ihn als ehrgeizig, zielstrebig und fähig. Einer, der sich vergleichen wollte. Er veröffentlichte die Ergebnisse seiner Forschung auch in Fachzeitschriften im Westen. Doch reisen durfte er dorthin nicht. Er war nicht in der Partei und wollte auch nicht hinein. Andere waren es, die durften. Er blieb in der Akademie, die so nah an der Grenze lag, dass man die Mauer sehen konnte.

Hauptsache, die Chemie stimmt

Immer wieder gab er seine Formeln in die Rechner ein, die aus der Sowjetunion stammten und groß waren wie Autos, sie surrten nächtelang, bis sie irgendwann eine Lochkarte auswarfen. Eigentlich aber stanzten sie Löcher in seine Zeit. Es half ihm nicht, dass er so schnell denken konnte wie seine Kollegen aus dem Westen, so schnell rechnen konnte er nie.

"Die Schwierigkeit war, sich nicht müde machen zu lassen von den Verhältnissen damals", sagt Michael Schindhelm, "und da war Sauer eine Urkraft."

Schindhelm war in den achtziger Jahren an der Akademie. Bis sie ihn müde machte. Heute leitet er in Berlin die Opernstiftung. Ein Foto von 1986 zeigt Sauer und ihn auf der Promotionsfeier einer jungen Doktorandin. Sie sitzt genau zwischen ihnen. Es ist Angela Merkel. Sie lächelt und trinkt. Schindhelm lächelt und isst. Sauer lehnt sich zurück.

"Ein distanzierter Mensch"

"Er war ein distanzierter Mensch, einer, der mit Leidenschaft, fast monomanisch, der Forschung nachgegangen ist", sagt Schindhelm, "unabhängig und intelligent. Sicher hat sie das angezogen."

Als das Foto entsteht, kennen Joachim Sauer und Angela Merkel einander bereits länger. Er lebt inzwischen getrennt. Sie sitzt oft in der Kantine mit ihm zusammen. Ein enger Kollege, der für die Stasi spitzelt, gibt das zu den Akten. Sauer erfährt es nach der Wende.

Der Mann war einer von denen, die reisen durften. Nun forscht er weiter mit öffentlichem Geld, da setzt sich Sauer hartnäckig dafür ein, dass er das nicht mehr kann.

Joachim Sauer hat bis 1988 auf die erste Reise in den Westen warten müssen. Sie ging nach Karlsruhe zu Reinhart Ahlrichs, Professor für Chemie. Ihm hatte er oft Postkarten geschrieben, damit er ihm Kopien aus Fachzeitschriften zuschickt. Nun kam er für ein halbes Jahr. Ahlrichs müsste erzählen können von Sauer, aber er will nicht. Er mag ihn und möchte ihn nicht verärgern. "Warum lassen Sie den Mann nicht in Ruhe?", fragt er.

Ja, warum eigentlich nicht?

Wahrscheinlich ist es gar nicht die Frage, ob man jemanden beschreiben kann, der nicht mit einem reden will. Natürlich kann man. Die Frage ist, ob man soll.

Das Land wählt einen Kanzler, darum hat es einen Anspruch, etwas über ihn zu erfahren. Es wählt nicht den Menschen, der mit dem Kanzler verheiratet ist. Darum hat es ihm gegenüber auch keinen Anspruch. Es kann ihn sich nicht aussuchen. Es bekommt ihn einfach mit dazu.

Die gütige Rut Brandt, die patente Loki Schmidt, die scheue Hannelore Kohl.

Kanzlergattin sein, ist kein Amt, aber es ist eine Rolle, und die kann man spielen. Keine hat das so deutlich getan wie Doris Schröder-Köpf, die Alleinerziehende. Sie äußerte sich zu Kampfhunden und Kindern und auch zu den Grenzen der Pressefreiheit, wenn ihr Mann mal heftiger kritisiert wurde. Was er nicht sagen konnte, weil er ein Amt hatte, sagte sie, weil sie keins hatte. Am Ende hieß es, die Neuwahl sei ihre Idee gewesen. Dagegen hat sie geklagt. Das Spiel mit der Rolle hatte sich verselbstständigt.

"Ein guter Ratgeber"

Die Bundesrepublik hat Erfahrungen mit Kanzlergattinnen, ein Kanzlerinnengatte ist ihr fremd. Dabei geht es nicht darum, ob Joachim Sauer auf Staatsbesuchen künftig das Damenprogramm absolvieren, ob er seinen Beruf aufgeben und sich um das Gemeinwohl kümmern wird.

Als Dagmar Schipanski Bundespräsidentin werden wollte, hat er deren Mann, einen stellvertretenden Landrat, gefragt, was er dann machen werde, da sagte der: Müttergenesungswerk. Das wird es mit Joachim Sauer nicht geben. Er will nicht der Gatte der Kanzlerin werden. Aber er bleibt doch der Mann seiner Frau.

Angela Merkel sagt, die Gespräche mit ihm seien für sie "fast lebenswichtig". Er sei "ein wirklich guter Ratgeber".

Er las ihre Doktorarbeit über "die Berechnung von Geschwindigkeitskonstanten, von Elementarreaktionen am Beispiel einfacher Kohlenwasserstoffe" gegen. Im Nachwort dankte sie ihm für die "kritische Durchsicht des Manuskripts".

Er half, als sie die erste wichtige Pressemitteilung formulieren musste. Da war sie Sprecherin des "Demokratischen Aufbruch", dessen Spitzenkandidat Wolfgang Schnur gerade als Stasi-Spitzel enttarnt worden war, nur wenige Tage vor der Volkskammerwahl. Niemand in der Partei hatte damals einen klaren Kopf, sie rief ihren Mann an, der hatte einen.

Hauptsache, die Chemie stimmt

Er schaut heute im Fernsehen manchmal, ob sie bei einer Debatte wieder den Zeigefinger erhebt, und er liest einige ihrer Parteitagsreden, bevor sie sie hält.

Doktorarbeit, Pressemitteilung, Parteitagsrede. Dokumente einer erstaunlichen Karriere. Man hätte gern gewusst, was Joachim Sauer seiner Frau dazu gesagt hat. Man würde gern seinen Einfluss kennen. Aber dazu müsste man erst einmal wissen, was für ein Mensch er ist.

Harald Mau könnte das sagen. Er kennt ihn schon lange. Mau ist Chef der Kinderchirurgie in der Charité, ein Professor wie fast alle, mit denen man über Sauer spricht. Mau nennt ihn einen Freund. Deshalb sagt er auch nur, weshalb er nichts sagen wird. "Der Mann möchte als Wissenschaftler anerkannt werden und nicht aufgrund irgendwelcher anderer Erscheinungen."

Nach dem Ende der DDR hat Joachim Sauer eigentlich nur seine Arbeit fortführen wollen, nur plötzlich gab es den Platz dafür nicht mehr. Die Akademie der Wissenschaften wurde aufgelöst, all ihre Forscher mussten gehen. Viele bewarben sich auf die wenigen Stellen, die die Humboldt-Universität zu vergeben hatte.

Sie traten dabei nicht nur gegeneinander an, sondern auch gegen Kollegen, die nun aus dem Westen kamen. Aber Sauer setzte sich durch. Er wurde Professor.

"Mir ist das Beste passiert, das einem Akademieforscher nach der Wende widerfahren konnte", sagte er einmal.

Von der Kamera überfallen

Dazu gehört, dass er morgens in seinen Golf steigen und von der Wohnung, die der Museumsinsel gegenüber liegt, ins Institut fahren kann. Dazu gehört nicht, dass es Gerüchte gibt, er trenne sich von seiner Frau, nur weil mal Kartons im Hausflur stehen.

Dazu gehört, dass er für die Studenten, die ihn für seine klaren Vorträge achten, Seminare abhalten kann. Dazu gehört eher nicht, dass in der Fachschaft ein Zeitungsausriss mit seinem Foto hängt und der Schlagzeile: "Wird er Deutschlands erster Kanzlergatte?" Dazu gehört schließlich, dass er abends in eine ruhige Wohnung zurückkehrt. Dazu gehört nicht, dass gleich in der Zeitung steht, wenn er sich beim Bezirksamt beschwert hat, weil ihm mal ein nahes Freilufttheater zu laut war.

Joachim Sauer möchte die Dinge seines Lebens in der Hand behalten. Aber das ist schwer, sobald sich die Öffentlichkeit für einige davon interessiert.

Kurz vor der Wahl erschien in einer Boulevardzeitung ein Foto von Angela Merkel und ihm. Es zeigt sie am Ufer eines Sees bei einem Fischer, der stolz einen Karpfen in die Höhe hält. Es war die erste Aufnahme aus dem Privaten, die sie für eine Fotografin inszeniert haben.

Angela Merkel trägt Turnschuhe und Streifenbluse, Joachim Sauer steht ungelenk neben ihr. Beide sehen aus, als habe man sie gerade überfallen. Eigentlich sollte der Fischer gar nicht mit auf das Bild, nur sein Fisch, aber am Ende war er der Einzige, der in die Kamera geschaut hat.

Ländliche Idylle

Das Foto entstand in der Uckermark, unweit des kleinen Dorfes, in dem Merkel und Sauer ein Grundstück besitzen. Ein Haus, umgeben von Büschen, Wiese, Obstbäumen und einem Beet. Von dem großen Fenster im Giebel aus sieht man einen Bach, dahinter ein Feld, durch die Bäume schimmert ein See.

Abends kommen Wildschweine und Rehe aus dem Wald bis an den Zaun. Sauer verbringt oft seine Wochenenden hier. Zuletzt kam er auf dem Weg hierher an Plakaten vorbei, auf denen ihm seine Frau entgegenlächelt, da war sie noch die Kandidatin.

Einige Tage, nachdem man die Anfrage bei seiner Sekretärin hinterlassen hatte, antwortet Joachim Sauer mit einer Mail. "Ich habe mich entschlossen, keine Interviews zu geben und auch keine Journalistengespräche zu führen, die nicht durch meine Tätigkeit als Hochschullehrer und Forscher, sondern ausschließlich durch die politische Tätigkeit meiner Frau veranlasst sind", schreibt er.

Irgendwie kann man verstehen, dass jemand nicht allein deshalb für die Öffentlichkeit interessant sein will, weil seine Frau jetzt Bundeskanzlerin wird. Aber ganz so ist es ja auch nicht.

Joachim Sauer scheint ein Mensch mit Prinzipien zu sein. Bald wird er in Situationen kommen, in denen sich diese Prinzipien nur schwer durchhalten lassen. Jemanden, der eine solche Aufgabe zu lösen hat, würde man auch beschreiben wollen, wenn er nicht der Ehemann von Angela Merkel wäre. Aber das ist er eben auch noch.

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