Der Fall Julia Timoschenko:Wie Merkel die Ukraine beeinflussen kann

In dem Konflikt mit der Ukraine geht es um weit mehr als das Schicksal der Politikerin Julia Timoschenko: Es geht um die Zukunft der Ukraine als souveräner Staat. Besonders die Haltung Deutschlands wird dabei mitentscheiden, ob sich Kiew zurück auf den Pfad Richtung Demokratie begibt oder unrettbar an Moskau zurückfällt.

Thomas Urban

Der Vorschlag von Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU), bei der Fußball-Europameisterschaft im Juni den Besuch der Schlagerpartie Deutschland gegen die Niederlande in Charkow mit einem Besuch der dort inhaftierten Oppositionsführerin Julia Timoschenko zu verbinden, ist - gelinge gesagt - ziemlich unglücklich.

Erstens würde die ukrainische Führung dies nie zulassen; zweitens nähme ein derartiger Vorstoß der Bundesregierung Kiew jegliche Möglichkeit, ohne Gesichtsverlust aus der selbstverschuldeten Lage herauszukommen. Vor allem geht es in dem Konflikt um viel mehr als das Schicksal einer pro-westlichen Politikerin, die ohne jegliche Beweise verurteilt und überdies wegen unterlassener medizinischer Hilfeleistung faktisch Folteropfer ist.

Es geht um die künftige Ausrichtung der Ukraine. Bleibt sie als souveräner Staat erhalten, der sich letztlich doch wieder auf den Weg der Demokratisierung zurückbegibt? Oder fällt sie unrettbar an Moskau zurück und erlaubt dem künftigen Präsidenten Wladimir Putin, ein neues russisches Imperium aufzubauen, dessen Macht auf dem Erdgas-Monopol beruht?

Es können keine Zweifel daran bestehen, dass das Regime des ukrainischen Staatspräsidenten Viktor Janukowitsch von schwersten Rechtsbrüchen geprägt ist. Dies begann vor zwei Jahren mit dem verfassungswidrigen Sturz Julia Timoschenkos als Regierungschefin, den die Gefolgsleute Janukowitschs im Obersten Gericht abgesegnet haben. Doch liegt es im Interesse Berlins, ausgerechnet diesen Janukowitsch gegenüber dem Kreml zu stärken - damit Putin nicht seine imperialen Träume verwirklichen könnte.

Ein Fall der Ukraine würde nicht nur eine drastische Erhöhung der Energiepreise für die Deutschen bedeuten, sondern auch das Ende jeglicher Demokratisierung in diesem Teil Europas. Auch die hinter Janukowitsch stehenden ostukrainischen Industrieoligarchen wollen verhindern, dass ihre Konzerne unter Kontrolle des Kremls geraten. Und sie sind auf Technologietransfer aus dem Westen angewiesen.

Chance für Janukowitsch

Kiew kann sich also den Bruch mit der EU und besonders mit Berlin nicht leisten. Es ist die Frage, warum Janukowitsch die goldene Brücke nicht beschreitet, die Bundeskanzlerin Angela Merkel ihm gebaut hat: die Oppositionsführerin zur medizinischen Behandlung nach Berlin transportieren zu lassen. Er bekäme nicht nur für eine derartige humanitäre Geste Lob, sondern durchbräche auch seine internationale Isolierung. Janukowitsch gewänne neuen politischen Spielraum gegenüber Putin, den er offenkundig persönlich nicht mag. Denn der Kremlchef soll sich wiederholt herabsetzend über den Mann aus der Ostukraine geäußert haben.

Allerdings ist nicht klar, inwieweit Janukowitsch überhaupt die politische Lage überblickt. Möglicherweise schneidet ihn der Hofstaat, den er um sich geschaffen hat, von einem Teil des Nachrichtenflusses ab - was ihm selbstverständlich nicht die Verantwortung für die Causa Timoschenko und die anderen Rechtsbrüche nimmt. Manches spricht auch dafür, dass im Kiewer Präsidialamt die ostukrainischen Stahlbarone zugunsten der pro-russischen Gaslobby an Einfluss verloren haben.

Die Bundesregierung hat einen großen psychologischen Vorteil. Die Deutschen sind bei den Ukrainern traditionell hochangesehen, sowohl im katholischen Westen wie im russisch geprägten Osten. Wenn Bundeskanzlerin Merkel diplomatisch verbrämt auf Janukowitsch Druck ausübt, so kann sie sich auch des Beifalls der Kiewer Presse sicher sein, die die Freiheit des Wortes bislang noch verteidigen kann, die sie sich mit Hilfe Timoschenkos vor acht Jahren während der orangenen Revolution erkämpfte. Das Kanzleramt tut also gut daran, Janukowitsch weiter unter Druck zu setzen, dabei aber jegliche Schärfe in der Öffentlichkeit zu vermeiden.

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