Der Fall Friedman:Das Ende des Privaten

Das Beispiel Michel Friedman zeigt, wie sich das Verhältnis von Medien und Politik gewandelt hat. Denn wenn das Politische privat wird - dann wird in der Konsequenz auch das Private politisch.

(SZ vom 25.06.03) - Wer über Michel Friedman schreibt, dem ergeht es wie dem König Ödipus, der vor seinem Orakel wegrannte und am Ende doch den Vater erschlagen und die Mutter geheiratet hat: Man will nicht über das Privatleben anderer spekulieren und hat es dann doch getan.

Hat er gekokst oder nicht? Hat er die Dienste illegaler Prostituierter in Anspruch genommen oder nicht? Keine Zeitung, kein Sender entkommt dem Thema: Der Fernseh-Moderator Friedman ist prominent und als Vizepräsident des Zentralrats der Juden zugleich eine moralische Instanz.

Diese Rollendiffusion lässt den Vorfall zum Skandal wachsen. Als Willy Brandts Sonderzug vor der Bundestagswahl 1972 durchs Land dampfte, machten sich die Journalisten einen Spaß daraus zu spekulieren, welche Dame wohl wie lange und zu welchem Zwecke im Abteil des Kanzlers war - geschrieben haben sie darüber nicht.

"Es war über Jahrzehnte hinweg klar, dass der Erste, der über Frauengeschichten von Politikern berichten würde, für immer aus den Bonner Zirkeln verstoßen wäre", sagt der Wiener Medienwissenschaftler Walter Langenbucher.

Es waren nicht der Spiegel oder die Bunte, die damals Informationen über das Liebesleben des Kanzlers sammelten, sondern das Bundeskriminalamt, und sein Dossier PR 1/74 hat wohl auch ein wenig zum Sturz des Kanzlers Willy Brandt beigetragen.

Privatleben ist Privatleben

Für die Journalisten aber war klar: Privatleben ist Privatleben - gelobt oder kritisiert wird ein Politiker für die Politik, die er vertritt. "Es gab auch schon damals Ausnahmen", sagt der damalige SPD-Politiker und heutige Medienexperte Peter Glotz.

"Der Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein ist auch mal mit Kokain erwischt worden, darüber wurde auch berichtet". Aber insgesamt, so hat es auch Glotz erlebt, hielt die ungeschriebene Diskretions-Vereinbarung, solange es die Bonner Republik gab.

Das Tabu ist mittlerweile löchrig. Einmal, so sagt der Medienwissenschaftler Langenbucher, "weil wir uns daran gewöhnt haben, dass Menschen öffentlich ihr Privatestes preisgeben - es gibt Untersuchungen, dass Talkshow-Teilnehmer vor der Fernsehkamera Dinge offenbaren, die sie ansonsten überall geheim halten würden".

Der Politiker als Gesamtkonzept

Dann aber auch, weil Politiker nicht mehr allein auf die Kraft des politischen Arguments setzen, sondern auch auf die Wirkung der liebevoll inszenierten Homestory - der Politiker als Gesamtkonzept, als Marke, der am Ende lieber in der Talkshow übers Menschliche plaudert als einem Polit-Magazin Rede und Antwort zu stehen.

"Wenn man aber die Ehefrau ins Wahlkampfkonzept integriert, dann sind die Journalisten geradezu verpflichtet, auch eine Scheidung aufzugreifen", sagt Langenbucher. Wenn das Politische privat wird - dann wird in der Konsequenz auch das Private politisch.

Wie sehr die Instrumentalisierung des Privaten schief gehen kann, musste der damalige Verteidigungsminister Rudolf Scharping bitter erfahren - die desaströsen Badefotos während des Kosovo-Krieges hätten eine nette Homestory werden sollen.

Nun hat zwar Michel Friedman durchaus als Talkmaster und Zentralratspräsident energisch die Öffentlichkeit gesucht - man kann ihm aber nicht vorwerfen, sein Privatleben offenbart zu haben, um seine Popularität zu erhöhen oder seinen politischen Forderungen größere Glaubwürdigkeit zu verleihen.

Opfer einer Entwicklung, die er selbst nicht befördert hat

"So gesehen ist Friedman Opfer einer Entwicklung, die er selber nicht befördert hat", sagt Glotz. Eine Entwicklung, beschleunigt durch die zunehmende Konkurrenz der Medien und Journalisten untereinander, wo die Frage, wie wichtig eine Geschichte zu nehmen ist, von der Frage verdrängt wird, wie hoch die Konkurrenz das Thema hängt.

Medien-kompatibel zu sein heißt auch, skandal-kompatibel zu sein. Friedman muss das gerade bitter erfahren. "Und Friedman ist ein Repräsentant der jüdischen Gemeinden in Deutschland", sagt Glotz - "auch das lässt aus dem möglichen Vergehen den Skandal entstehen."

Nicht, weil er in der Berichterstattung irgendwo offenen oder verdeckten Antisemitismus entdeckt hätte - "da sind die Journalisten bislang erfreulich sensibel". Aber "natürlich erhöht es die Aufmerksamkeit unerhört, wenn ein prominenter Jude mit solchen Vorwürfen konfrontiert wird."

Hätte Glotz selber, wäre er Journalist, über den Fall Friedman geschrieben? "Natürlich", sagt Glotz. "Es bleibt einem ja nichts anderes übrig."

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