Süddeutsche Zeitung

Der Fall al-Bakr:Kein Stammheim für Islamisten

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Heiko Maas lehnt es ab, Terroristen in einem zentralen Bundesgefängnis zu inhaftieren. Er weist zudem Vorwürfe zurück, der Generalbundsanwalt habe den Fall al-Bakr zu spät übernommen.

Von Cornelius Pollmer und Robert Roßmann, Berlin/Dresden

Bundesjustizminister Heiko Maas hat sich am Dienstag zum ersten Mal zu der Kritik am Verhalten seines Ministeriums im Fall Dschaber al-Bakr geäußert. Die Unionsfraktion hatte von dem Sozialdemokraten bereits am Wochenende wissen wollen, warum die Bundesanwaltschaft, die im Zuständigkeitsbereich des Ministers steht, nicht viel eher das Verfahren gegen den mutmaßlichen Terroristen übernommen hat. Der Generalbundesanwalt hatte den Fall erst am 9. Oktober an sich gezogen, sodass bis dahin die Ermittlungen von den nicht darauf spezialisierten Behörden in Sachsen geführt werden mussten. Außerdem beklagte die Unionsfraktion, dass der mutmaßliche Terrorist nicht sofort nach Karlsruhe überstellt worden war. Al-Bakr hat sich am Mittwoch vergangener Woche in einem Leipziger Gefängnis das Leben genommen.

Experten sollen aufarbeiten, was bei der Inhaftierung des Syrers schief gelaufen ist

Maas wies die Kritik der Union vehement zurück. Er sagte der Süddeutschen Zeitung, der Generalbundesanwalt (GBA) habe "im Rahmen seiner Zuständigkeiten und seiner Befugnisse angemessen und adäquat gehandelt". Die Verfolgung von Straftaten nach § 89a des Strafgesetzbuches (Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat) sei "grundsätzlich Aufgabe der Landesstaatsanwaltschaften". Die Übernahme eines solchen Ermittlungsverfahrens durch den GBA sei "nur im Fall des Vorliegens einer besonderen Bedeutung möglich". Bis zur Mitteilung der Menge und der Art des aufgefundenen Sprengstoffs hätten jedoch "keine zureichenden, tatsächlichen Anhaltspunkte für eine solche besondere Bedeutung bestanden". Erst mit "der Mitteilung dieser Erkenntnisse am Nachmittag des 9. Oktober 2016 bestand ein Anfangsverdacht einer in die Zuständigkeit des GBA fallenden Straftat". Der Generalbundesanwalt habe "in unmittelbarer Folge dieser Mitteilung" noch am Nachmittag desselben Tages ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat eingeleitet und das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Dresden übernommen.

Maas wies auch Forderungen nach einem Bundesgefängnis für Terroristen zurück, in dem eine "zentrale Inhaftierung beim GBA" möglich sein solle. "Der Strafvollzug ist nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes Ländersache", sagte der Minister. Beschuldigte und Verurteilte aus Ermittlungs- und Strafverfahren des Generalbundesanwalts befänden sich deshalb "seit jeher in Justizvollzugsanstalten in ganz Deutschland". Das habe "sich bewährt". Maas sagte, er sei "auch nicht bereit, aufgrund dieses einen - sicherlich schwerwiegenden - Vorfalls, per se allen Ländern die Kompetenz zur Unterbringung solcher Häftlinge abzusprechen". Auch bei früheren Fällen wie dem der Sauerland-Gruppe sei es so gewesen, dass die Beschuldigten "nur zur Eröffnung des Haftbefehls nach Karlsruhe verbracht wurden und nachfolgend umgehend wieder in die dezentrale Haftanstalt".

Das Problem sei "weniger die geforderte Hochsicherheit als der notwendige sensible Umgang mit suizidgefährdeten Häftlingen". Dies gelte nicht nur in Terrorismusverfahren. Maas verwies dabei auch auf die Erfahrungen im Umgang mit RAF-Terroristen. Der Justizminister sagte, es sei "höchst zweifelhaft, ob mit einer Konzentration der Zuständigkeit für die Unterbringung terroristischer Beschuldigter in einem Gefängnis" in der Sache etwas gewonnen wäre. Denn die Unterbringung mehrerer Terrorverdächtiger an einem Ort könne "mit Blick auf Isolation, Überwachung und Unterbindung von Kommunikation innerhalb der Anstalt und nach außen auch erhebliche Nachteile nach sich ziehen". Dies zeigten Beispiele aus der RAF-Zeit. Außerdem seien "auch in Stammheim die Selbstmorde der RAF-Attentäter nicht verhindert" worden.

Unterdessen hat die sächsische Landesregierung Details zur Einsetzung einer Expertenkommission präsentiert, die den Fall al-Bakr aufarbeiten helfen sollen. Demnach wird Herbert Landau, ehemaliger Richter am Bundesverfassungsgericht, den Vorsitz der vierköpfigen Kommission übernehmen. Ihr wird auch Heinz Fromm angehören. Fromm leitete als Präsident viele Jahre das Bundesamt für Verfassungsschutz, im Juli 2012 ließ er sich in den vorzeitigen Ruhestand versetzen - die Behörde war im Zuge der beginnenden Aufarbeitung der Verbrechen des Nationalsozialistischen Untergrunds massiv in die Kritik geraten. Inhaltlich beginnt der Auftrag der Landesregierung bei der Untersuchung "der Umstände rund um die Fahndung, den polizeilichen Zugriff und die Festnahmen der beiden Verdächtigen", inklusive der Zusammenarbeit von Bundes- und Landesbehörden. Hier wird sich etwa die Frage stellen, welche Versäumnisse es womöglich beim gescheiterten Zugriff auf al-Bakr in Chemnitz gegeben hat. Das Ermittlungsverfahren und die Rolle des GBA soll die Kommission genauso untersuchen wie Umstände der Inhaftierung der beiden Verdächtigen in Dresden und Leipzig. Der mutmaßliche Komplize al-Bakrs bleibt in Dresden in Untersuchungshaft. Der 33 Jahre alte Syrer wurde am Dienstag am Bundesgerichtshof in Karlsruhe einem Ermittlungsrichter vorgeführt. Dieser erließ einen neuen Haftbefehl, wie die Bundesanwaltschaft am Abend mitteilte.

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SZ vom 19.10.2016
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