Der Deutsche Herbst - Tage 32 und 33:"Hexenjagd" auf Heinrich Böll

6. und 7. Oktober 1977: Heinrich Böll wird quasi als Komplize der RAF massiv angegriffen. Seit dem ersten Tag der Entführung Schleyer gleicht das Regierungsviertel der Hauptstadt einem Heerlager.

Robert Probst

Donnerstag: Das Magazin Stern veröffentlicht ein Gespräch mit Heinrich Böll. Der Schriftsteller ("Die verlorene Ehre der Katharina Blum") und Nobelpreisträger wird seit Jahren von den bürgerlichen Medien als geistiger Wegbereiter und Sympathisant des Terrorismus bezeichnet. Seit der Schleyer-Entführung wird er von Publikationen des Springer-Verlags quasi als Komplize der RAF massiv angegriffen.

Der Deutsche Herbst - Tage 32 und 33: Der deutsche Schriftsteller Heinrich Böll (Archiv)

Der deutsche Schriftsteller Heinrich Böll (Archiv)

(Foto: Foto: dpa)

Böll spricht davon, "mit welch unglaublicher Gemeinheit die Bild-Zeitung meine Familie in die Verfolgung miteinbezogen" habe. "Ich habe Grund, um meine Familie zu fürchten." Er selbst nennt sich einen kritischen Demokraten, die Strategie seiner Gegner erklärt er so: "Wenn man einen dieser freien Vögel wie mich abschießt, kann man auch die wenigen noch nicht Eingeschüchterten, junge Lehrer, junge Arbeiter, die zudem finanziell abhängig sind, erschrecken. Falle ich, kann man die anderen wie Fliegen totschlagen."

Hilfe erfährt Böll von seinem Kollegen Günter Grass, der von einer "Hexenjagd" spricht und sich wünscht, Böll würde vom Bundespräsidenten vor den Angriffen geschützt. Die Welt dagegen kommentiert: "Aber man hat bis heute keinen Widerruf gehört, kein Eingeständnis den jungen Menschen gegenüber, daß man sie falsch beraten habe. (...) Die Verstrickung geht zu tief. Es muß wohl noch mehr Blut fließen, ehe wenigstens die Wirksamkeit der geistigen Väter ein Ende hat; auf Einsicht wagt man nicht zu hoffen." Im Bundestag warnt Kanzler Helmut Schmidt vor "Hysterie" bei der Terror-Bekämpfung - und verteidigt Böll.

Freitag: In Bonn treten Schmidt und einige Minister im Kleinen Krisenstab zweimal zu Beratungen zusammen. Seit dem ersten Tag der Entführung von Hanns Martin Schleyer gleicht das Regierungsviertel der Hauptstadt einem Heerlager. Panzerwagen des Bundesgrenzschutzes fahren durch die Straßen, Stacheldrahtzäune werden rund um die Ministerien gezogen, hinter Sandsäcken patrouillieren mit Maschinenpistolen bewaffnete Polizisten, die Ministerien, das Kanzleramt und die Häuser wichtiger Politiker werden nachts angestrahlt, alle Personen, die sich den Ministerien nähern, werden streng kontrolliert. Öffentliche Auftritte von Spitzenpolitikern finden nur noch unter höchsten Sicherheitsmaßnahmen statt.

Das Magazin Quick titelt am 22.September: "Bonn - Stadt in Angst". In der Zeit ist von einem "Planquadrat in Verteidigungsstellung" die Rede: "Der Zwang, hinter Stacheldraht regieren zu müssen, behütet von Polizeihunden, wird mit Ingrimm nach Kräften verdrängt. Doch das ist nicht so einfach. Denn auch diese Sorge nistet sich häuslich ein: Die Art und Weise, wie der Staat sich aufrüste und präsentiere, könne in der Öffentlichkeit Animositäten wecken gegenüber den Gutgeschützten." Doch allen Assoziationen vom Kriegszustand zum Trotz: Vor allem an den Wochenenden kommen Hunderte Neugierige und lassen sich vor den gepanzerten Fahrzeugen fotografieren.

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