Der Deutsche Herbst - Tag 44:Aktion "Feuerzauber'' und die Selbstmorde in Stammheim

Dienstag, 18. Oktober 1977: Die Spezialkräfte der GSG 9 stürmen die Landshut, befreien die 86 Geiseln und töten drei Terroristen. Daraufhin begehen die in Stammheim inhaftierten RAF-Mitglieder Selbstmord.

Robert Probst

Auf dem Flughafen von Mogadischu verhandeln die Entführer der Lufthansa-Maschine Landshut mit dem Tower über die genauen Modalitäten des Austauschs der Gefangenen, den die Bundesregierung zum Schein zugesagt hat. Um 0.05 Uhr deutscher Zeit beginnt die Aktion "Feuerzauber''. Vor den Cockpitfenstern detonieren Blendgranaten, die die vier Entführer kurzzeitig außer Gefecht setzen sollen.

RAF; Landshut; Tag 44

Befreit: Die Passagiere der Landshut nach ihrer Rückkehr in Frankfurt.

(Foto: Foto: dpa)

Gleichzeitig dringen über die vier Außentüren und die zwei Noteingänge zahlreiche Spezialkräfte der Bundesgrenzschutzeinheit GSG9 in die Maschine ein. Es kommt zum Schusswechsel mit den Entführern, die sich heftig wehren.

Drei von ihnen werden sofort erschossen, eine der Frauen überlebt schwerverletzt. Eine der Handgranaten explodiert, richtet aber kaum Schaden an. Um 0.12 Uhr gibt die GSG 9 durch: "4 Gegner niedergekämpft, Geiseln befreit, 3 Geiseln vermutlich durch Gegnereinwirkung verletzt, 1 Angehöriger des Sturmtrupps leicht durch Halsdurchschuß verletzt."

Staatsminister Hans-Jürgen Wischnewski ruft umgehend in Bonn an und teilt mit: "Die Arbeit ist erledigt.'' Kanzler Helmut Schmidt treten Tränen in die Augen, als er erfährt, dass keine der Geiseln ernsthaft verletzt ist. Er war entschlossen zurückzutreten, wäre die Aktion schiefgegangen.

Um 0.38 Uhr sendet der Deutschlandfunk eine Eilmeldung: "Die von Terroristen in einer Lufthansa-Boeing entführten 86 Geiseln sind alle glücklich befreit worden." Diese Nachricht hört wohl auch der RAF-Terrorist Jan-Carl Raspe in seiner Zelle in Stuttgart-Stammheim. Er hat dort ein kleines Transistorradio versteckt.

Nacht von Stammheim

Am Morgen entdecken die Justizvollzugsbeamten Unfassbares: Andreas Baader, 34, hat sich mit einer eingeschmuggelten Pistole von hinten in den Kopf geschossen, er ist tot; Raspe, 33, hat sich in die rechte Schläfe geschossen, er stirbt Stunden später im Krankenhaus; Gudrun Ensslin, 37, hat sich mit einem Elektrokabel am Gitter des Zellenfensters erhängt; Irmgard Möller, 30, hat sich mit einem Besteckmesser in der Herzgegend verletzt, sie überlebt als Einzige.

Die "Nacht von Stammheim" wird schnell zum Mythos. Bald verbreitet sich im Umfeld der RAF die These, die drei seien ermordet worden. (RAF-intern werden die Geschehnisse jedoch als "suicide action'' bezeichnet.) Die Gerichtsmediziner - es wurden eigens anerkannte Pathologen aus dem Ausland herbeigerufen - entdecken "keine Anhaltspunkte, die einen Selbstmord in Zweifel ziehen könnten".

Trotz diverser Ungereimtheiten ist sich die Forschung einig: Nach dem gescheiterten Freipressungsversuch in Mogadischu haben sich die vier, wie oft angedeutet, zum Selbstmord verabredet.

Freude und Entsetzen

Kanzler Schmidt erinnert sich an den Moment, in dem die Nachricht bekannt wurde: "Ich war wie von einer Keule getroffen, empört, entsetzt. Jetzt hatten wir gerade einen großen Erfolg errungen, und nun dieser Tritt in den Unterleib."

Freude und Entsetzen liegen an diesem Tag nah beieinander. Unzählige ausländische Regierungen schickten Glückwunschtelegramme für die gelungene Aktion in Afrika nach Bonn, Medien im In- und Ausland loben die "militärische Blitzaktion". Gegen 14Uhr landen die befreiten Geiseln von Mogadischu in Frankfurt; in den Jubel mischt sich die Trauer um den ermordeten Kapitän Jürgen Schumann.

Am Abend gibt Bundespräsident Walter Scheel eine Erklärung im Fernsehen ab. Er wendet sich direkt an die Entführer von Hanns Martin Schleyer: ,,Ich appelliere an Sie, Ihre Geisel freizugeben. Mit der sinnlosen Eskalation von Gewalt und Tod muß Schluß sein. Kehren Sie zurück zu menschlichem Handeln. Dieser Augenblick gibt Ihnen noch eine letzte Chance dazu.''

Doch zum Zeitpunkt von Scheels Ansprache ist Schleyer aller Wahrscheinlichkeit nach bereits tot. Die RAF hat ihn ermordet.

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